24. Juli 2006, Neue Zürcher Zeitung

Der Professor als Prüfling

Eine Website taxiert deutsche Dozenten

Auch als Journalist passiert es einem nicht alle Tage, dass man spätabends von einem unbekannten Professor angerufen wird, weil er ein Thema unserer Aufmerksamkeit empfehlen möchte. Der Mann war hell begeistert. Eine tolle Sache hätten sich die Studenten an der TU Berlin da ausgedacht. Das Internet zu nutzen, um bundesweit deutsche Hochschullehrer und ihre Lehrveranstaltungen zu bewerten, sei zeitgemässe demokratische Aufklärung, meinte der Anrufer, ein Rechtswissenschafter übrigens. Jene, die sonst die Belehrten und Benoteten seien, drehten für einmal den Spiess um. Sozusagen Volkes Stimme auf dem Campus erheben. Das kann man so sehen. Tops und Flops

Auf der Website (siehe Mehr zum Thema) erhalten Dozenten Zensuren von eins bis fünf. Bewertet werden Fairness, Unterstützung, Arbeitsmaterial, Verständlichkeit, Spass (also eine lebendige Darstellung des Stoffes) und Engagement. Es gibt Listen mit Tops und Flops. Unser Professor war gut weggekommen - sonst hätte er wohl auch nicht angerufen. Leicht geschmeichelt erwähnte er die freundliche Bewertung seiner Person im Rating. Dann gestand er ein Dilemma. Zwei seiner Kollegen seien offenbar echte Nullen, unmotiviert und uninspiriert, so miserabel, wie sie abgeschnitten hätten. Ob er jetzt nicht einschreiten müsse? Schliesslich sei er Dekan und trage für seine Fakultät Verantwortung.

Eine hübsche Geschichte. Leider ist sie nicht unbedingt repräsentativ für die Reaktionen, mit denen sich die Macher von «meinprof.de» konfrontiert sehen. Neben Zuspruch setzt es auch immer wieder Abmahnungen. Die Rheinisch- Westfälische Technische Hochschule Aachen ging gleich als Ganzes in die Offensive und drohte mit rechtlichen Schritten, sollten ihre Lehrveranstaltungen weiterhin bewertet werden. Muss die angebliche Eliteschmiede die Öffentlichkeit fürchten? Für juristische Scharmützel mit einer Institution reicht das Geld der Website-Betreiber nicht, also haben sie die Aachener fast komplett aus dem Rating herausgenommen. Auch die Fachhochschule München war nach Beschwerden zunächst entfernt worden, ist dank Protesten von Studenten nun aber wieder dabei.

Seit November 2005 ist das Forum im Netz. Mehr als 140 000 Bewertungen, verteilt auf rund 40 000 Kurse, versammelt «meinprof.de», und täglich werden es einige hundert mehr. Den Verdacht, man wolle mit dem Bewertungsportal den Professoren eins auswischen, weisen die Betreiber von sich: «Um Gottes willen kein Pranger», erklären sie. Mit Andreas Schleicher, der für die OECD die Schulstudie Pisa in Deutschland geleitet hat und sich für analoge Forschungen im universitären Bereich interessiert, stehe man in Kontakt. Natürlich sei Missbrauch nicht ausgeschlossen. Anfänglich habe es beides gegeben: Studenten, die Dozenten miesmachten, und Professoren, die sich hochjubelten. Doch die Nutzer seien wachsam und machten Meldung. «Das regelt sich ganz gut selbst», heisst es. Bedenken der Datenschützer

Der Beauftragte für Datenschutz in Berlin, Alexander Dix, sieht das anders. Zahlreiche Beschwerden seitens professoraler Spielverderber haben ihn zum Eingreifen gezwungen. Wer als Dozent in den Flop-Listen auftaucht, befürchtet Schwierigkeiten bei der Einwerbung von Drittmitteln und bangt um seine Aufstiegschancen. Das studentische Informationsbedürfnis erkenne er durchaus an, sagt Dix, aber die Website biete eine weltweit zugängliche Datenbank und sei rechtlich wie eine Auskunftei zu behandeln. Das deutsche Recht verlange eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der benoteten Professoren und der Informationsfreiheit. Hier aber würden unkontrolliert Daten abgerufen, ausserdem seien viele der Bewertungen nicht objektivierbar.

Also erhielten die Website-Betreiber letzte Woche Post vom Datenschützer. Sie sollen ihr Angebot grundlegend überarbeiten, zum Beispiel dafür sorgen, dass nur ein geschlossener Benutzerkreis Zugang erhält. Die Studenten wollen sich nicht so schnell geschlagen geben und halten mit ihrem Anwalt Kriegsrat. Wohl nicht zufällig fällt die Einrichtung ihres Professoren-Ratings in eine Zeit, da in Deutschland Studiengebühren eingeführt werden. Manche Studenten protestieren dagegen auf der Strasse, andere, wie die von «meinprof.de», scheinen mit ihrer Website zu sagen: Wenn wir schon zahlen müssen, dann wollen wir aber auch klar sehen, welche Leistungen wir erhalten. Als Reaktion auf den kapitalistischen Geist der Studiengebühren ist dies zweifellos die kongeniale Antwort.

Joachim Güntner

Mehr zum Thema:

Website: Mein Prof?

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