"Jeder muss zum Bono werden"

Als die RAF Siegfried Buback erschoss, war Jan Eißfeldt aka Jan Delay gerade mal geboren. Heute protestiert und provoziert der 30-Jährige mit seiner Musik auf dem Label "Buback" und trägt trotzdem Nikes. Warum er Dogmalinke nicht mag, aber trotzdem zum G-8-Gegengipfel im Juni mobilisieren will

 INTERVIEW KIRSTEN REINHARDT UND SUSANNE LANG

taz: Herr Eißfeldt, wäre es nicht Zeit, dass Sie Ihren RAF-Song "Söhne Stammheims" umschreiben? "Die Terroristen" sind ja alles andere als "weg" …

Jan Eißfeldt: Ja! Als ich erfahren habe, dass Bernd Eichinger gerade das Drehbuch zu "Der Baader-Meinhof-Komplex" schreibt, da habe ich sofort gewusst: Ich muss die Musik zu diesem Film machen. Wenn jemand das kann, dann bin ich das.

Weshalb?

Weshalb? Kein Campino und kein Bela B. und kein Smudo hat jemals die Sachen gesagt, die ich zur RAF gesagt habe. Und vor allem hört denen kein Kind zu. Deshalb. Ich würde auch eine Update-Version von "Söhne Stammheims" machen.

Was wäre neu?

Die Musik.

Am Text würden Sie nichts ändern?

Doch. Das Wort "Terrorist" hat ja nach dem 11. September eine komplette Werteverschiebung erlebt. Heute versteht man unter der Bezeichnung manipulierte Menschen. Die RAF-Leute waren genau das Gegenteil. Da würde sich mein Text ändern.

Wir hatten eigentlich eher an die Zeile gedacht: "Und das bisschen Gesindel, das noch in den Knästen steckt / tut sowieso keinen mehr interessieren" - nach Brigitte Mohnhaupt soll nun eventuell auch Christian Klar entlassen werden.

Das wusste ich ja schon, deshalb heißt die erste Single von meinem neuen Album ja "Klar".

Oh, wir dachten, alle Namenswitze sind gemacht …

Nee, im Ernst: Die aktuelle Debatte nervt mich so dermaßen! Letztendlich wird doch nichts Neues zutage gefördert. Da kann der Stern noch so viele Serien machen: Ob Peter-Jürgen Boock die dreißigste Pressekonferenz im Hotel Vierjahreszeiten gibt und erzählt, wie das damals alles war, ist so derbe egal.

Damals fehlte Ihnen eine Auseinandersetzung mit der RAF. Haben wir sie nun?

Das bezog sich auf die Kids. Was jetzt in den Medien passiert, wird so serviert, dass es die nicht interessiert.Ich wollte nicht, dass sie alle Terroristen werden, sondern dass sie die RAF reflektieren und merken: Damals gab es Menschen, die haben tausendmal mehr Haltung an den Tag gelegt als heute irgendjemand. Das fand ich einfach krass und bewundernswert.

Sie mussten eine erste Version von "Söhne Stammheims" entschärfen. Weshalb?

Der ursprüngliche Refrain lautete: "Sag mir, wo die Terroristen sind / Sag mir, wo sind sie geblieben / Sag mir, wo die brennenden Faschisten sind / Wo die Autos explodieren" - er war eher aufrufend und nicht beschreibend. Mein Vater hat mir abgeraten, und dann habe ich es gemeinsam mit einem Anwalt entschärft.

Man hat Ihnen ja schon öfter vorgeworfen, die RAF zu verklären. Wie wollen Sie den Jüngeren klarmachen, dass Leute umzubringen bei allen Idealen keine vertretbare Haltung ist?

Natürlich sag ich denen nicht: Knallt Leute ab. Das ist ja das Schlimmste, auf keinen Fall, niemals. Mir geht es eher um die Grundideen, die Bewegung 2. Juni finde ich gut. Aber trotzdem reimt sich nun mal "Ensslin/Benzin" so geil. Wenn man einen Dreiminutensong schreibt, kann man nicht differenziert über ein Thema reden. Da machst du dir eher Gedanken über Entertainment und gute Reime, um den Grundgedanken rüberzubringen. Das nervt mich so an diesem Linkstum: Wieso muss alles totdiskutiert werden?

Darin waren die RAF-Leute aber auch nicht schlecht.

Ah, die haben alles totdiskutiert! Und humorvoll waren sie gar nicht. Aber Andreas Baader hat gute Klamotten getragen.

Muss Protest heute Entertainment sein?

Nicht Protest muss Entertainment sein, wenn in meiner Musik Protest passiert, dann muss das Entertainment sein.

Sie sind mit "Söhne Stammheims" auf dem Anti-G-8-Gipfel-Sampler vertreten. Was wollen Sie damit bewegen?

Man darf von so einem Sampler keine allzu romantische Vorstellung haben. Ich sehe darin einfach eine Maßnahme, die Leute zu mobilisieren. Genauso wie ein Kettenmail oder ein Flyer.

Warum sollen die Leute denn zum Antigipfel kommen?

Um zu zeigen, dass es nicht klargeht, dass sich acht Leute - die selbsternannt wichtigsten - treffen und über die Zukunft der Welt entscheiden. Allein diese Tatsache ist zum Kotzen. Und allein deshalb muss man Radau machen und zeigen, dass man damit nicht einverstanden ist.

Sind Sie bei Attac? Was Sie sagen, klingt wie deren Statut …

Nee, ich hatte eigentlich gar keine Ahnung von G 8, und da habe ich gesagt, wenn ich Interviews gebe, schreibt mir doch mal ein paar gute Sätze auf …

Auch nicht schlecht.

Ach Quatsch, ich bin da nicht Mitglied. Mir geht es nicht um einzelne Tagesordnungspunkte, sondern um die grundsätzliche Sache. Ich bin da, wenn es einfach nur heißt: Bist du dagegen? Ich bin dagegen.

Und wenn es heißt: Bist du dafür?

Tja, die UNO, die finde ich 'ne gute Sache. Weil da arme und reiche Nationen Mitglieder sind. Selbst wenn nicht alle das gleiche Stimmrecht haben, sie können ihren Protest kundtun. Niemand wird ausgeschlossen. Abgesehen davon finde ich Kofi Annan einen der respektabelsten Menschen in der Politik.

Weil er Haltung hat, Style, wie Sie es gerne nennen?

Sein Auftreten, also nicht seine Klamotten, sondern seine Politik, seine Handhabung, Dinge zu regeln, die haben definitiv Style.

Was ist mit Angela Merkel?

Nee, die hat keinen Style.

Immerhin hat sie innerhalb der CDU eine eher liberale Haltung, oder?

Sagen wir so, bei Angela Merkel ist es in keinster Weise so schlimm, wie ich dachte. Was ich gut fand, war, als sie George W. Bush bei ihrem ersten Treffen als Kanzlerin gleich auf die Gefangenenflüge der CIA angesprochen hat. Hätte ich nicht gedacht.

Haben Sie ein Grußwort für sie, zum G-8-Gipfel vielleicht?

Nee, die will ich nicht grüßen. Der Bono-Pegel würde so extrem ausschlagen, das geht nicht.

Was stört Sie denn so sehr an Bono-Linken oder der Antifa, die Sie oft kritisieren?

Das Dogmatum, das Totdiskutieren und die Haarspalterei. Das führt zu nichts. Die Attac-Bewegung finde ich dagegen gut. Die stellt diese Regeln und Normen ganz schwer hintenan. Von ihr kann etwas ausgehen, weil sie sich aus vielen verschiedenen Leuten zusammensetzt und nicht auf dieses Bauwagenniveau reduziert.

Kann man so Widerstand leisten? Oder braucht man manchmal Steinewerfer?

Egal. Alles. Auch wenn ich jetzt hier auf die Kreuzung scheißen würde und die Leute fragen: Wieso kackst du auf die Straße? Deshalb! Ich will Aufmerksamkeit erregen. Ich finde, auch das brennende Auto ist eine super Aktion. Es kommt ja niemand zu Schaden, und es gibt Schadensersatz. Die Zeitungen schreiben aber darüber und zwangsläufig auch über die Hintergründe.

Aber was ist da der Unterschied zur reinen Provokation?

Provokation ist auch gut. Die Sache muss nur ein Anliegen transportieren. Und natürlich klammere ich aus, dass Menschen zu Schaden kommen. Aber Tiere sind mir schon wieder egal …

Das bringt Sie direkt in die Hassforen der Tierschützer …

Na und? Ich finde alle Aktionen gut. Immer noch die besten sind solche, die Humor haben.

Was zum Beispiel?

Neulich, die Aktion im Reichstag, als eine Gruppe "Dem deutschen Volke" überhängt hat mit "Der deutschen Wirtschaft". Dann haben sie sich abgeseilt in den Saal und skandiert: "Paragraf 1 des Grundgesetzes: Die Würde der Wirtschaft ist unantastbar." Das fand ich geil.

Wie stand es bei Ihnen selbst mit Rebellion? Sie sind ja in einem linken Wohnprojekt aufgewachsen und haben mit Ihrer Mutter gemeinsam Prince gehört - wie haben Sie sich gegen die Eltern abgegrenzt?

Mit 10 habe ich zu meiner Mutter gesagt: Ich will Börsenmakler werden und Kohle verdienen. Das war mein Rebellieren.

Aber der Wunsch hat sich schnell geändert?

Nö. Ich habe sogar drei Tage VWL studiert, mit DJ Dynamite zusammen. Für mich war immer klar, dass ich später Geld haben will. Das Schlimme ist gar nicht gewesen, dass meine Eltern keine Kohle hatten, sondern dass ich in Hamburg-Eppendorf, dem reichsten Stadtteil, aufgewachsen bin. Wenn du in dem Kontext keine Kohle hast, ist es viel härter als unter Leuten, die auch keine haben.

Andere wollen da den ungerechten Kapitalismus abschaffen. Aber den finden Sie okay?

Nein, ich habe mich eher mit den Umständen arrangiert. Kapitalismus an sich ist trotzdem Scheiße. Aber ich habe keinen Bock, mich als Fruganer allein in die Berge zurückzuziehen und meine Lebensmittel selber anzubauen. Das Mindeste aber, was ich machen kann, ist: Bewusstsein schaffen, bei jedem Menschen für seine eigene Situation. Denn auch er wird in 30, 40 Jahren ersticken, ertrinken oder auf andere Weise elendig verrecken, aufgrund dessen, was er selbst der Welt zugefügt hat.

Was tun Sie gegen den Klimawandel?

Ich mache jetzt die Sachen, die mir meine Mutter seit 25 Jahren sagt. Das hört sich blöd an, aber dazu gehört wirklich: diese Scheiß Stand-by-Geräte ausmachen oder alle Heizungen, wenn ich gehe; ich hab mir noch nie ein Auto gekauft. Ich weiß, das kommt ein bisschen spät - aber besser als nie. Ob cool oder nicht cool: Jeder muss zum Bono werden. Auch wenn man dabei Nikes trägt, wie ich es tue.

Ohne dabei Kinder auszubeuten, wie Sie mal gesagt haben - wie geht das?

Als Nike-Marketingstratege würde ich sagen, weil die großen Konzerne mehr auf ihre Produktionsbedingungen achten, seit das publik wurde. Als ich selbst würde ich sagen: Wenn ich anfange, alles, was ich käuflich erwerbe, auf Fair Trade und diesen ganzen Scheiß abzuklopfen, dann müsste ich im Kartoffelsack in der Einöde abhängen und mein eigenes Korn anbauen. Und ich bin nun mal ein Schöngeist, das geht nicht zusammen.

Muss es denn so extrem zusammengehen?

Es geht doch darum, dass man trotzdem all diesen Idealen noch frönen kann, solange es sich in einem gewissen Rahmen verhält. Sonst verbittert man doch. Deshalb kann ich auch Fußball gucken und Deutschland-Fan sein, ohne Heil Hitler zu sagen; oder ein Palästinensertuch tragen, ohne Antisemit zu sein.

Inzwischen gibt es ja Palästinensertücher für 220 Euro aus Kaschmir …

Stimmt, sogar Beckham trägt jetzt Palituch. Das ist gefährlich. Deshalb trage ich keins. Ich habe mir dafür eine Krawatte aus einem Palituch machen lassen.

Warum wird es gefährlich, wenn Beckham auch eins trägt?

Weil jetzt auch 14-jährige Poppermädchen auf Wochenendbesuch vom Internat an der Alster rumlaufen und Palituch tragen. In dem Moment frage ich mich: Wo sind denn eure Steine?

taz vom 5.5.2007, S. 17, 355 Z. (Interview), KIRSTEN REINHARDT / SUSANNE LANG