ABC der Klasse Pitz

© 2005 Hermann Pitz VG Bild-Kunst

Regelmäßige Textredaktion mit den Studenten der Klasse Pitz. Stand: Oktober 2005. Wortursprünge sind, wenn nicht gesondert angegeben, aus Grimms Deutsches Wörterbuch

A Akademie, alternative space, Alumni, Assistent, Atelier, Ausstellung, B Bibliothek, Bild, Bildhauerei (mit 16 Unterabteilungen), C Curriculum, D Darwin’sches Prinzip, Diplom, Dokumentation, E Evaluation, Exkursion, F Forschung, H Hand, I Installation, J Jahresausstellung K Klassengespräch, Klasse Pitz, Kunst, Kunsterziehung, Künstler als Freier Beruf, Künstlerberuf (am Beispiel Hermann Pitz), Künstler/ studierende, Kunstwelt, L Lager, M Mappe, Meisterschüler, Motiv, O Öffentlicher Raum, öffentlich/ privat, P Probewand, Professor, Professorin, Projekt, S Selbstorganisation, Semesterferien, Student, studere, Studie, Studienbeginn, Studierige, Studierende der Kunst, Studio, Studium, T Tagsitzung V Vernissage W Wechsel der Klasse Werkstatt, Z Zusammenarbeit

A

Akademie Die Akademie der bildenden Künste wird in München AdbK abgekürzt und ist ein stattliches Gebäude, das ausschließlich für die Belange der Kunst gemacht ist und als öffentliche Institution allein mit den Kunstmuseen zu vergleichen ist. Vom Kunstmuseum ist die A. allerdings in einem wesentlichen Punkt unterschieden, und das macht sie zu einem einzigartigen Platz. Denn sie wird von Künstlern (®Professor) bestimmt, während in Kunstmuseen allein die Kunstwissenschaftler und die Sponsoren das Sagen haben und Künstler nur als Zulieferer zugelassen sind.

Die A. ist damit der einzige offizielle Ort im Kunstbetrieb, wo Künstler als eigentliche Schöpfer der ®Kunst den Lauf der Dinge bestimmen. Das führt nicht immer zu besten Resultaten im Sinne modernen Managements (®Selbstorganisation). Alle anderen Institute in der ®Kunstwelt kennen diese Ausschließlichkeit nicht, da in ihnen immer noch andere (z. B. kommerzielle, modische) Faktoren mitspielen. Man kann so gesehen in gewisser Hinsicht durchaus von einem Monopol sprechen (®Diplom).

Von außen betrachtet erweckt die A. wie ein Kunstmuseum den Eindruck, ein Ort der Ruhe zu sein, der kontemplativen Elite, wie Chris Dercon das kürzlich nannte, und ohne Veränderung. Wenn man drinnen ist, entdeckt man das Gegenteil. Alles verändert sich ständig, und nichts bleibt wie es ist in der Kunstakademie.

Es arbeiten hier rund 900 Menschen, und beruflich können sich die hier ®Studierenden der Kunst in verschiedene Richtungen orientieren. Es gehen aus ihr ®Künstler, Studienräte mit dem Lehramt der ®Kunsterziehung am Gymnasium, (Innen-) Architekten, Designer von Schmuck und Gerät oder auch Gestalttherapeuten hervor und darüber hinaus moderne Ausstellungsmacher und Vermittler. Andere Absolventen werden später vielleicht einmal Web-Designer oder spezialisierte Werkstattleiter. Zur Geschichte Ausbildung zum ® Künstler als Freier Beruf ist das Buch Der Moderne Künstler von Wolfgang Ruppert (1998) lesenswert. Es enthält viele Details der fast 200 jährigen Geschichte der Münchner A.

Die A. ist zeitlich unterteilt in Winter- und Sommersemester (®Semesterferien) und örtlich in Klassen für ®Bildhauerei, Malerei und andere klassische Disziplinen (® Wechsel der Klasse). Nicht nur die Disziplinen unterscheiden die Klassen, sondern, und das ist wichtiger, ihre Ideologien und Gedankenwelten. Es ist im Interesse der A., hier möglichst große Vielfalt zu erhalten. Es gibt ®Werkstätten für alle praktischen Fertigkeiten, und die A. ermöglicht theoretische Studien in Kunstgeschichte und ®Bibliothek.

Die Tradition der Klassen ist Wissenstransfer über Generationen. Früher arbeitete der Professor in seinem Professorenatelier in der Akademie. Die Besten seiner Klasse durften Teile seines Werkes ausführen, Vorarbeiten leisten und auf diese Weise lernen und sich zum ® Meisterschüler ausbilden. Stephan Dillemuth hat kürzlich in einem Vortrag den Unterschied zwischen A. und Universität an dieser Tradition festgemacht. Die A. sei ein kommunikatives Modell (®Kunst 1) im Gegensatz zum scholastischen Verkündigungsstil der Universität. Ich nehme die Tradition wieder auf und arbeite in der A. im Atelier, so daß direkter Wissenstransfer in der Klasse Pitz möglich ist. Dabei geht es weniger darum, das professorale Wissen als Norm der Klasse Pitz auszubilden, als vielmehr darum, dies Wissen als Basis anzuwenden, von der aus die Studierenden es besser machen können, als die Generation der Lehrenden.

alternative space ist ein Begriff aus den 60er Jahren, als die Kommerzialisierung der Kunstwelt zur Sorge Anlass gab, daß wichtige Kunst, die aber nicht kommerziell verwertbar war, aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt werden könnte. Es ging um die damals in den U.S.A. praktizierte rigide Privatisierung des ® Öffentlichen Raums. Das ist lange her, aber die Debatte von damals ist in München nicht ganz uninteressant, weil die Absolventen der Akademie heute nur unter Mühen Arbeits- und Veröffentlichungsmöglichkeiten finden, so daß hier auch heute noch Alternativen zum Bestehenden gemacht werden müssten. Die Schwäche des Begriffs liegt in der Definition aus einer Negation heraus. Alternativen zum Bestehenden schließen das Bestehende ein, und sind ohne das Bestehende gar nicht denkbar. Es ist aber die einzige Möglichkeit, eine Stelle in der ®Kunstwelt neu zu gründen, die dieser ermöglicht, bisher vielleicht unverständliche ®Projekte der Künstler wahrzunehmen. Abgrenzung von was? Alternative wozu? Many alternative initiatives are ad hoc, time-based, or anti-institutional, documentation is frequently fugitive (Artwords von Patin und McLerran). Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen a.s. sind einer künstlerischen Vision, die Leute zusammenbringt, und ein gewisses organisatorisches Talent. Dafür ist in den 80er Jahren der Begriff der ®Selbstorganisation entstanden.

Alumni sind im Englischen graduales or former students of a school, auf lateinisch bedeutet das Wort ursprünglich Schüler, genährt von ihrer Akademie (Webster‘s Dictionary). A. werden bisher in der Akademie nicht zentral und nur über die Klassen betreut, etwa, wenn ein Professor den Kontakt zu ehemaligen Studenten hält und sie beispielsweise in Jurys durchsetzt und zu Ausstellungen vorschlägt. Dabei ist nicht immer sicher, ob der Geförderte oder der Fördernde den größeren Vorteil davon hat. Wenn die Akademie in Zukunft einmal weniger aus öffentlichen und mehr aus privaten Mitteln finanziert werden wird, dann werden die A. zunehmend wichtig. Oft werden sie auf das Studium als besonders schöne Zeit zurück blicken, und wenn sie zu Ruhm und Wohlstand gekommen sind, kann ihre Spende oder Stiftung die Akademie der Zukunft (mit-) finanzieren, so geht das jedenfalls in Ländern mit privatisierter Ausbildung. Dort sind die A. und ihre Leistungen darüber hinaus bedeutender Beleg für die Leistungsfähigkeit einer Akademie und damit ebenso wichtig wie die klangvollen Namen der Dozenten.

Assistent Es gibt an der Münchner Akademie seit 1989 den A. für die Professoren. Das sind in der Regel jüngere Künstler, von denen erwartet wird, daß sie bei der Betreuung der Klassen mitwirken, sei dies bei der Organisation der praktischen Dinge im Klassenalltag, sei dies als zweite Meinung bei der Diskussion der Arbeit der Studenten und anderen Belangen der Lehre. Die Tätigkeit ist jedenfalls nur zum Teil als Dienstleistung aufzufassen. Es wird erwartet, das die A. als junge Künstler die Zeit ihres Engagements an der Akademie dazu nutzen, die eigene Arbeit weiter und zugleich erste Lehrveranstaltungen selbst zu entwickeln und Lehrerfahrungen zu sammeln. A. der Klasse Pitz ist Susanne Wagner.

 

Atelier Das A. ist der Arbeitsplatz des Künstlers. Es ist ein privater Raum im Gegensatz zu den anderen Stellen der ® Kunstwelt. Es ist nicht öffentlich zugänglich, es sei denn, der Künstler öffnet es für eine ®Vernissage. Früher war der Atelierbesuch die klassische Form der ersten Kenntnisnahme einer künstlerischen Produktion. Heute werden nur noch Dias oder eine ®Dokumentation versendet. A. und ® Ausstellung sind der Gegensatz von ®öffentlich und privat. Im Französischen bedeutet A. nichts anderes als ®Werkstatt. Es ist interessant, daß wir einerseits kein deutsches Wort für die Künstlerwerkstatt haben, und andererseits nicht auf das im Englischen gebräuchliche ®studio ausweichen. Schneider und Dekorateure haben A.'s, also Berufe, die, wie die Künstler, die Allüre kreativen Gestaltens haben. Im Deutschen gibt es übrigens auch kein Wort für die Position des Künstler in der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen. Wir bemühen hierfür das französische Wort Bohème. Deren typische Merkmale sind in der Oper gleichen Titels von Giaccomo Puccini wunderbar dargestellt. Sie sind aber nicht Ausbildungsziel in der Klasse Pitz.

Ausstellung (lat.) expositio. Bei diesem Begriff bietet Grimm’s Deutsches Wörterbuch eine echte Überraschung. Es werden nur zwei historische Beispiele gegeben. Zuerst der Kunstkritiker: bei der ausstellung ihrer ersten versuche gibt die jugend einem jeden verfasser ansprüche auf billige beurtheilung (Gotter) und dann der Flaneur: man sollte aber doch in diesen tagen eine ausstellung belieben, wo die dreijährigen fortschritte der bravesten zöglinge mit vergnügen zu beschauen und zu beurtheilen wären. (Goethe). Das ist insofern sensationell, als daß A. früher einmal ausschließlich die (erstmalige) Exposition von jungen Leuten bedeutete, also die A. des Neuen für das geneigte Publikum.

Erst, wenn man unter Kunstausstellung nachschlägt, findet man die heute landläufigen Definitionen: öffentliche ausstellung von kunstsachen, kunstwerken, und es gibt ein weiteres, scharfes Beispiel von Immermann aus Düsseldorf: er kam auf die kunstausstellung, weil er glaubte, dort geschäfte machen zu können. Die Kunstausstellung ist also von Alters her mit Kommerz verbunden, während A. das nicht ist.

In diesem Sinne sind die ®Studien der Klasse Pitz jedenfalls ausstellbar. Studierende müssen sich jedoch an einer A. der Klasse Pitz nicht beteiligen. Andererseits besteht kein Automatismus , demnach etwa alle Studenten der Klasse Pitz jedenfalls an der Jahresausstellung teilnehmen dürfen. Hier wird denjenigen studentischen Arbeiten der Vorrang gegeben, die in der Lage sind, entscheidende konzeptuelle Schritte in den eigenen Studien zu zeigen und/ oder die handwerklich dem gewählten Medium entsprechend erfolgreich sind.

Die A. der Klasse Pitz ist darüber hinaus eine willkommene Möglichkeit, die losen Enden der jeweiligen Studien einmal zu raffen und den Ernstfall der A. einzuüben. Kommerzielle Kollateraleffekte sind dabei nicht unerwünscht, werden aber den Eigenheiten der Studien untergeordnet. In der ®Kunstwelt geht es trotz der Entmaterialisierung in der Kunst nicht ohne das Ritual der A. Denn Kunst hat mit Sehen zu tun und das ist in der A. das primäre Anliegen.

B

Bibliothek Die B. ist der Ort der ®Dokumentation. Es kommen mit dem World Wide Web neue Informationsquellen hinzu, aber bis heute geben diese meistens nicht mehr Information her, als sie ein Klappentext im Verhältnis zum Buchumfang bereithält. Ist die B. fürs geschriebene Wort der einzige öffentliche Ort, so ist sie für unsere Bilder ein wichtiger Ort der vielfältigsten Bewahrung. Kürzlich hat etwa eine Studentin der Klasse Pitz in der Akademiebibliothek eine Videodokumentation einer der wenigen Performances entdeckt, die ich je unternommen habe. Dies war im Jahr 1979, und ich wusste gar nicht, daß so eine Dokumentation Hotel Room Event bestand. Nur die Bibliothek kann so etwas erbarmungslos bewahren, und sei es mir heute auch noch so peinlich, was da auf dem Band zu sehen ist.

Die B. ist eine Rückversicherung für die Arbeit der Studenten. Sie ist vielleicht am besten zu nutzen, indem man findet ohne zu suchen. Bei dieser Vorgehensweise ist am Anfang nichts uninteressant, bis schließlich Weniges interessant wird. Die B. gibt für den Studenten auch Einblick in den Wissensstand seines (zukünftigen) Publikums. Um diesem einmal entgegentreten zu können, ist Information wichtig, nicht nur aus der B., sondern auch aus Kunstausstellungen im Raum München, deren Besuch für Studierende der Klasse Pitz Pflicht ist.

Bild Ein B. ist ein durch den Augensinn wahrnehmbares Artefakt und damit das Kerngeschäft sowohl des Künstlers als auch des Kunststudenten. In der ®Kunst geht es darum, ein B. zu machen. Das Sehen spielt in der Kunst immer eine unmittelbare Rolle, auch dann, wenn zum Beispiel Musik oder Buchstaben im B. verwendet werden. Wenn man dem Ursprung des Wortes B. nachgeht, dann liegt die vorstellung eines unter der schaffenden, gestaltenden, knetenden, stoszenden, schnitzenden, hauenden, gieszenden hand hervorgegangnen werks zugrunde. Ein B. war also ursprünglich ein eher dreidimensionales Gebilde, wie sich das im niederländischen beeld als Bedeutung erhalten hat im Gegensatz zur zweidimensionalen schilderij. Früher hing ein B. nicht an der Wand.

Bildhauerei An der Frühgeschichte des Wortes ® Bild wird deutlich, daß die B. einst das Primat der Künste innegehabt haben muß, welches sie seit den Zeiten der Renaissance der Malerei als “Königin der Bildenden Künste” abgetreten hat. In der Klasse Pitz wird die B. unter folgenden Aspekten untersucht:

Bildhauerei/ Abbild (lat.) effigies, gemahltes oder gehauenes kunstbild: du sollst dir kein bildnis noch gleichnis machen 2. Moses, 20, ein Bild, das etwas anderes repräsentiert. Die Puppe ist eine moderne Form des Abbilds.

Bildhauerei/ Apparat Für einen bestimmten Zweck entwickeltes Gerät, von (lat.) apparare = das Erforderliche herbeischaffen, zubereiten. (Etymologisches Wörterbuch Zentralinstitut für Sprachwissenschaften, Berlin 1989). Apparate als mechanische Geräte, Mobiles und kinetische Objekte sind in der Kunst seit langem Praxis. Wenn man mit Hunderten von Touristen zur vollen Stunde vor dem Münchner Rathaus steht, kann man die Suggestionskraft des A. immer wieder von Neuem erleben. Alle starren auf das Glockenspiel noch in einer Zeit, wo uns bewegte Bilder eigentlich schon digital gut unterhalten. Das Glockenspiel ist zwischen 1899 und 1906 nach flämischen älteren Vorbildern errichtet und hat in Kupfer getriebene, farbig gefasste Figuren auf einem mechanischen Triebwerk.

Zwanzig Jahre Später hat sich auch die Moderne des A. bedient. Zuvor gab es schon etwa mechanische Puppen wie jene von Marie-Antoinette und im 19. Jahrhundert allerlei automate à musique, wie man sie im Pariser Musée des Arts et Metiers findet. Der Apparat war also ursprünglich in der Sphäre des Jahrmarktes und der Unterhaltungsindustrie angesiedelt. Spätestens 1930 mit dem Licht-Raum-Modulator von Lázló Moholy-Nagy ist die Kinetik in der modernen Kunst angekommen, ja, sogar zum Sinnbild der Autonomie der Bildhauerei geworden, das mit den mobiles von Alexander Calder seine größte Schärfentiefe erreicht hat.

Bildhauerei/ Figur (lat.) forma, figura, formabilis, formator, (Form, Körperform, Portrait, Akt) Der Formator ist ein Formgeber, also jemand, der strenggenommen mit Design (niederländisch vormgeving) zugange ist, und er macht die Formen einer Figur. Ein interessantes Beispiel zeitgenössischer Figuration steht nur wenige hundert Meter von der Akademie entfernt vor dem Haus Leopoldstraße 36. Es ist der aus Kunststoff gemachte 17 Meter hohe Walking Man von Jonathan Borofsky aus dem Jahr 1995.

Bildhauerei/ Fiktion Der Bildner wird als Erfinder von fiktiven Figuren als (lat.) fictor, plastes bezeichnet, wenn er etwas Neues kreiert, das so auf der Welt noch nicht bestand. Erfindungen in der Kunst gibt aber es nur wenige. Das heißt, daß auch der Studierende der Kunst mit nur wenigen Erfindungen hantiert. Deshalb ist damit äußerst sorgfältig umzugehen, und der materiellen Umsetzung der Idee auch über Durststrecken der Langeweile im ® Studio Ausdauer entgegenzustellen. Für die Ökonomie im Umgang mit Ideen (melodischen Erfindungen) ist der Komponist Gioacchino Rossini ein virtuoses Beispiel. Melodien aus einer Komödie der letzten Saison können beim ihm in der Tragödie des folgenden Jahres in hemmungslos veränderte Bedeutung wieder erscheinen. Ökonomie der Erfindung ist ein Kern der Arbeit in der Klasse Pitz.

Die Tradition der F. in der Bildhauerei ist angesichts der Neuen Medien von besonderem Interesse. Wenn Bildhauer sich heute in den virtuellen Raum (®Kunstwelt) der digitalen Bilder hineinbewegen, dann scheinen sie der Tradition der F. neues Leben einzuhauchen.

In der F. der Neuen Medien liegen aber auch allerlei Tücken, die am Beispiel des Komponisten Karlheinz Stockhausen deutlich wurden, als er in einer Pressekonferenz am 16. September 2001 sich unter der Wirkung der digitale Bilder vom 9. September zu dummen Rückschüssen auf die Kunst an sich verleiten ließ.

Die Frankfurter Allgemeine vom 19. September 2001 berichtet: Nach seiner Beurteilung der Terroranschläge vom 9. September 2001 befragt sagte er, es handele sich „um das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos„. Stockhausen war hier offensichtlich von der (auch ästhetischen) Macht der digitalen Fernsehbilder so überwältigt, daß er unterschlug, daß die Terroristen keinerlei künstlerischen Anspruch mit ihrer Tat verbanden. Laut einer Tonbandabschrift des Norddeutschen Rundfunks fuhr er fort: „Daß Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, daß Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben, stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Das sind also Leute, die sich so konzentriert auf eine Aufführung, und dann werden 5.000 Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, als Komponisten. Manche Künstler versuchen doch auch, über die Grenzen des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen.“ Daß in den Utopien und den F. der Künstler auch totalitäre Momente liegen können, ist richtig. Aber die Totalität erstreckt sich ja normalerweise (und glücklicherweise) nicht über die Grenzen des Werks hinaus. Auf die Rückfrage eines Journalisten, ob er Kunst und Verbrechen gleichsetze, antwortete Stockhausen: „Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das ‚Konzert‘ gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen. Was da geistig geschehen ist, dieser Sprung aus der Sicherheit, aus dem Selbstverständlichen, aus dem Leben, das passiert ja manchmal auch poco a poco in der Kunst. Oder sie ist nichts.“

Mit derartigen Allmachtsbildern des Alles oder Nichts der Kunst verrennen sich selbst wichtige Künstler wie Stockhausen in den Labyrinthen der F., und es wäre ihnen und uns zu wünschen, daß jenes finale Konzert nie zur Aufführung kommt, das Herr Stockhausen sich so sehr zu wünschen scheint. Interessant ist die Verwendung von Begriffen wie total fanatisch, aus denen die Sprache des Dritten Reichs hindurchschimmert. Damals in Hamburg geplante Stockhausen-Konzerte wurden umgehend abgesagt.

Bildhauerei/ Film, Photographie, Video und Digitales Bild hätten als Neue Medien der flachen Projektion und Illusion eigentlich auch bei der Malerei gut unterkommen können. Wenn man jedoch die Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts in ihren Verwerfungen betrachtet, dann ist es vor allem über Begriffe wie Happening und Performance (®Bildhauerei/ Performance) und über die Biographien ihrer Protagonisten verständlich, daß diese Waisen der Neuen Medien bei der Bildhauerei ihre Geborgenheit fanden. Sie sind in der Klasse Pitz jedenfalls herzlich aufgenommen. Denn in dem Erkennen von ®Dokumentation als wesentlicher Realität von Kunst eröffnet sich den Studierenden ein weites Feld von kreativer Betätigung und modernen künstlerischen Ausdrucksformen, die diesen Medien anhaften. Es ist ein verständliches Anliegen der heute Studierenden, mit der Bilderflut des Infotainments umgehen zu wollen. Die starken Ikonen sind heute Firmenzeichen und die starken Bilder sind heute nicht von künstlerischen Konzepten geleitet, sondern von medienrelevanten Auftritten. Der Tourist, der die Flutwelle digital filmt oder die “Nine-Eleven-Flugzeuge beim Einschlag”, macht bewusstseinsprägende Bilder. Das Künstlerische Bild wendet sich vor diesem Hintergrund n hin. neuen Aufgaben zu.

Eine zentrale ®Forschung in der Klasse Pitz ist, wie sich heute sich die individuelle Bildnerei “gegen” oder “mit” dem Strom der Neuen Medien konstituiert. Was machen Künstler, wenn nicht sie, sondern andere die bewusstseinprägenden Bilder liefern? Es liegen aber offensichtlich neue Arbeitsfelder im Digitalen Bild. Zum einen sind hier allerlei ästhetische Effekte möglich, die sich allerdings schnell verbrauchen, da alle auf dieselben Tricks zurückgreifen. Zum anderen entsteht in der sogenannten Internet-Kunst ein neuer Ausstellungsraum, den die Beteiligten aber noch als von Nachteilen behaftet erfahren: Denn die Idee des ausgeführten Kunstwerks ist dort weitgehend aufgegeben mit dem Ergebnis, daß die Arbeit außerhalb der eigenen Gruppe nicht bemerkt wird, und der Zugang zum Kunstmarkt versperrt ist, weil der Digitalkünstler keine anderswo herzeigbare Ware fertigt.

Bildhauerei/ Fusion Die F. ist die Arbeit des Bildgießers, der (lat.) fusor genannt wird, ein künstler, der aus wachs, gips und erz bilder gieszt. Den in München Studierenden ist im Bayerischen Nationalmuseum ein wahrer Schatz zum Thema F. für Studien an die Hand gegeben. Die in den 1760er Jahren in der Nymphenburger Manufaktur entstandenen Porzellane von Franz Anton Bustelli führen das ganze Repertoire der F. vor. In dieser Technik, in der im geheimnisvollen Material Arkanum zwar genauestens modelliert wird, um nach dem Brennen die delikaten Details um ein Siebtel verkleinert vorzufinden, wird das Drama des durch den Künstler auch immer mit zu gestaltenden Kompromiss’ deutlich. Wenn dann darüber noch eine Glasur appliziert wird, wird der Verlust der ursprünglich in der Modelliermasse angelegten Akribie beträchtlich. Derartige materielle Verluste müssen auch heute noch bei der Fertigung eines jeglichen Artefakts mitgedacht werden. Dies ist in der Klasse Pitz ein hoch aktueller Gegenstand der ®Forschung - etwa bei der Bearbeitung des digitalen Bildes, welches die analoge Realität komprimiert und einen Realismus erlaubt, der genau kontrolliert sein will, um als künstlerischer Ausdruck zu funktionieren. Hier kann man vom Fusor Bustelli lernen.

Von Bustelli lernen ist auch in anderer Hinsicht für heute Studierende interessant: Seine Porzellane sind gemacht, um als Tischschmuck die hohe, gelangweilte Rokoko-Gesellschaft zu unterhalten. Wenn bei Tisch die Gesprächsthemen ausgingen, gaben seine Figurinen nach der Commedia dell’ Arte die Stichworte. Auch in dieser Hinsicht ist Bustelli interessant, denn heute ist der Druck auf die jungen Künstler beträchtlich, zu unterhalten.

Bildhauerei/ Material Es sind für die Bildhauerei eigentlich alle Arten von M. anwendbar. Das M. spielt seine eigene Rolle im Erschaffen des Werks. Das M. ist überall. Es ist schwer, teuer oder billig, alltäglich, altbekannt oder neumodisch. Je döfer es ist, um so sonorer der Klang, wenn man es an der richtigen Stelle erregt. An der Dachauer Straße vor der Zentrale des Goethe-Instituts und nicht weit vom Ausweichquartier der Bildhauer, steht eine markante Skulptur von Ulrich Rückriem, in der das M. des gebrochenen Steins selbst Protagonist des Werkes ist. M. ist aus (lat.) materia hervorgegangen, das heißt: der stoff für ein kunstwerk. Da man sie (die götzen) gegossen hat, fületen sie es nicht, aus allerlei köstlicher materie hat man sie gezeuget, und ist doch kein leben darin. (Baruch)

Bildhauerei/ Modell, Simulation von (lat.) exemplum, gleichnis, similitudo, figmentum. M. werden von den verschiedensten Dingen gemacht. Für Bildhauer sind sie unvermeidlich, wenn es um die Teilnahme an Wettbewerben für Kunstaufträge geht. M. sind entweder materialgetreue Maßstabmodelle, oder Massemodelle (ohne Details und Materialtreue) oder Funktionsmodelle. Letztere veranschaulichen Wirkungen, die erzielt werden sollen mit fernen Gleichnissen, also ohne detailgetreue Wiedergabe eines Sachverhalts. Das M. ist auch für autonomes bildnerisches Gestalten interessant, um ® Motive zu entdecken. Auch kann das M. helfen, große ® Projekte im Vorversuch besser zu planen (® Hand). In den Klassen gibt es ein Budget für das M., das Modellgeld, von dem das Portrait- oder Aktmodell für Naturstudien bezahlt werden kann.

Bildhauerei/ Monument Das Denkmal ist die monumentale Form der Bildhauerei, und gerade im 19. Jahrhundert, als die Akademie national erstarkte, war es das Kerngeschäft der Bildhauer. Das entstehende Reich in der Gründerzeit hatte eine gewaltige Nachfrage nach Heldenfriesen, Brunnen, Bismarcks und Kriegerdenkmalen entwickelt. In jener Zeit entworfenen Münchner Akademie zeugt der Kolosssaal noch davon, da man in ihm die Kolossalskulptur studierte. Walter Grasskamp weist in seinem lesenswerten Artikel Der lange Abschied des Klassizismus (in: Ist die Moderne eine Epoche, München 2002) nach, daß der Kolosssaal ursprünglich als Ausstellungsraum für die Sammlung der Gipsabgüsse der Akademie bestimmt war Darunter war auch eine Kopie des Koloss vom Monte Cavallo in Rom, der damit zum Namensstifter dieses Saals wurde und blieb. Seiner Größe war wohl die Form der Apsis zu verdanken, die noch heute dem Kolosssaal seine einzigartige Qualität gibt.

Ein M. zu machen und aufzustellen kann lange Zeit in Anspruch nehmen, weil hier gesellschaftliche und politische Faktoren mitwirken. 1865 war in Frankreich die Idee geboren, dem amerikanischen Volk zur Hundertjahrfeier der U.S.A. im Jahr 1876 eine Statue zu schenken. Der elsässische Bildhauer Auguste Bartholdi (1834-1904) entwarf die Idee einer kolossalen Freiheitsstatue, die von einem französisch-amerikanischen Komitee finanziert werden sollte, wobei die Franzosen die Statue und die Amerikaner den Sockel ($ 250.000) bezahlen sollten. Bartholdi machte sich 1874 an die Arbeit. Er nahm seine Mutter als Modell und machte ein Gipsmodell von 2,70 Meter Höhe und dann ein weiteres, 11 Meter hohes Modell. Schließlich wurde das Original auf einem Stahlgerüst des damals noch unbekannten Ingenieurs Eiffel, aus 300 Kupferteil von insgesamt 90 Tonnen Gewicht appliziert zum Bild der heute weltberühmten Miss Liberty. Zugleich kümmerten sich die Amerikaner um den Sockel. Es wurde ein Standort gewählt, die damals Bedloe’s Island genannte Insel vor Manhattan. 1884 wurden die Arbeiten wegen Geldmangels am Sockel unterbrochen. 1885 wurde die Plastik schließlich in Teilen verschifft und mit zehnjähriger Verspätung am 28. Oktober 1886 eingeweiht. (gekürzt zitiert nach Guide Michelin, New York, Paris 1971).

An diesen Komplikationen hat sich bis heute nichts geändert. Wenn man beispielsweise die Diskussion um das Berliner Holocaust-Monument verfolgt, sieht man, daß ähnliche Zeiträume nötig sind. Ein Unterschied ist allerdings, daß heutzutage selbst Monumentalbildhauer vom Kaliber eines Richard Serra an den Widerständen scheitern und das Geschäft den Architekten überlassen.

Bildhauerei/ Performance heißt auf Englisch Theateraufführung, aber auch the manner in which or the efficency with which something reacts or fullfills its intended purpose (Webster's Dictionary), also die Leistung von etwas, zum Beispiel the p. of a Rover car. In der Kunst ist die P. direkt mit der ®Ausstellung verbunden, und es scheinen beide Bedeutungen des Dictionary zusammenzukommen: Die P. vor Publikum kann sowohl theatralische Elemente haben, als auch jene des Aufzeigens von Prozessen, die als Leistung des Künstlers früher hinter den verschlossenen Türen des Ateliers verblieben (® Vernissage). Das Buch Artwords von Patin und McLerran stellt weiter fest: P. Art is the major genre developed in the 1960s in both the U.S. and Europe. ... and develloped out of the early twentieth-century influence of Dada. ... Still today it is an effectice form for artists interested into social protest. In der Klasse Pitz besteht die Möglichkeit, die Formen der P. zu aktualisieren. (® Installation)

Bildhauerei/ Plastik (lat.) plastica, ist die Bildnerei allgemein und die Arbeit des (lat.) plastes als modellierende Tätigkeit, also den Aufbau einer Form in Ton zum Beispiel. Obwohl diese eine ganz andere Arbeit ist, als die Skulptur, wird der Begriff P. umgangssprachlich heute oft damit gleichgesetzt. Vergleiche im Französischen sind Les Arts Plastiques für die Bildenden Künste allgemein.

Bildhauerei/ Ready-Made Jan Teeuwisse, der Direktor des neu gegründeten Skulptuur Instituut in Scheveningen/ NL macht seine Position deutlich: "Skulptur ist ein dreidimensionales Objekt, das frei im Raume steht". (NRC Handelsblad, Rotterdam 22. März 2004). Damit wäre also das Ready-Made eines Marcel Duchamp im allgemeinen Sinn auch eine Skulptur. Wenn man den Umfang der heutigen Bedeutungen von Bildhauerei sich vergegenwärtigt, dann ist das Ready-Made aber eher ein Spezialfall, in welchem (oft durch andere in industriellen Zusammenhängen gefertigte) Objekte als plastische Elemente angeeignet sind, um im spezifischen Kontext der Ausstellung ihre Bedingungen selbst zu untersuchen (® Installation). Heute wird diese Praxis unter dem Schlagwort Institutionskritik zusammengefasst. Deren Implikationen sind willkommener Untersuchungsgegenstand der Klasse Pitz.

Bildhauerei/ Skulptur (lat.) sculptura ist die Bildhauerarbeit allgemein; der Bildhauer wird lat. mit sculptor umschrieben, ... indem er weg nimmt und hauet, was am holz zum bilde nicht sol, indem fördert er auch die form des bildes. Skulptur und Plastik sind heute die zentralen, aber zu Unrecht synonymen Begriffe für die Bildhauerei. "Nein", sagt Teeuwisse vom Skulptuur Instituut weiter, "eine Videoaufnahme von so einem Objekt ist keine Skulptur. Aber im Fall einer ®Installation ist es manchmal schwierig herauszufinden, ob das noch zur Skulptur gehört oder nicht" (NRC Handelsblad, Rotterdam 22. März 2004).

Bildhauerei/ Statue (lat.) statua: standbild, bildsäule, die vom (lat.) statuarius gemacht wird. Textbeispiel: ich spatzirte einsmahls im walde herum ... da fand ich ein steinern bildnuzs liegen in lebens grösse, die hatte das ansehen als wan sie jrgends eine statua eines alten teutschen helden gewesen wäre. (Simplizissimus 1669) Das Standbild ist das Bild einer aufrecht stehenden menschlichen Figur, und diese kann auch heute noch in der Klasse Pitz gemacht werden.

Bildhauerei/ Vorbild Das V. regt zur Imitation an. (lat.) imago ad imitandum proposita, also ein Bild wird zur Imitation vorgeschlagen. Werke der Bildhauerei sind früher unter dem Oberbegriff Schönheit dem V. der Natur und heute oft dem Design eines Industrieprodukts nachgebildet. Im Sinne der Abstraktion ist es fast unmöglich, ein Artefakt zu erstellen, das nicht irgendeine Assoziation mit einem möglichen V. hervorruft (®Studienbeginner). Mit einem bewußt gewählten V. lassen sich in allerlei Fällen ® Motive für die eigene Arbeit herausarbeiten und gute Resultate in den Studien erzielen.

C

Curriculum (lat.) pl. -lums, -la. 1. the aggregate of courses of study given to a school, college, University, etc. 2. the regular or particular course of study in a school, college, etc. (lat.): course, career (lit. running), Webster’s Dictionary. In der Klasse Pitz gibt es kein festes C., sondern so viele Curricula, wie es Studenten gibt. Das. C. wird von den Studenten selbst zusammen mit dem Professor entwickelt. Es geht darum, die vorhandenen Arbeitsansätze zu analysieren und zu überlegen, in welche Richtung die Studien individuell vertieft werden können.

Es ist dabei erklärtes Ziel, mit dem Zeitkontingent von zehn Semestern zu hantieren. Für Studienbeginner, die bereits über eine gewisse eigene künstlerische Praxis verfügen, ist es sinnvoll, in den kürzeren Zeiträumen von sechs oder acht Semestern zu planen. Bei noch kürzeren Zeiträumen entfällt das ®Diplom als Abschluß. Hier kann in Einzelfällen der Titel ®Meisterschüler vergeben werden.

In der Klasse Pitz gibt der Professor das C. den Studierenden nicht vor. Das C. gewinnt seine Form, wenn Studierende ihre nahen und fernen Ziele im ®Klassengespräch benennen. Wenn sie das nicht benennen, gibt es auch kein C.

Für Studenten, die das Lehramt und Staatsexamen anstreben, stellt sich die Sache insofern anders dar, als daß hier schon allerlei Auflagen bestehen, nach denen sich das Studium aufbauen kann. Für diese Studenten gibt es gewisse Zeiteinbußen in der Atelierarbeit. Hier muß also ökonomisch mit den jeweiligen Projekten umgegangen werden.

D

Darwin’sches Prinzip Um zu wissen, was gut in der Kunst ist und was nicht, spielen eigentlich alle Faktoren der ®Kunstwelt eine Rolle. Die Kunstwelt ist ein Saisongeschäft wie die Modebranche, und es dauert gewöhnlich einige Jahre, bis ein Trend oder neues Produkt wieder vergessen ist, oder aber im Qualitätsfall sich hält. Optimisten sagen dazu: "Qualität setzt sich immer durch". Thomas Schütte bemerkte einmal im Rückblick auf seine Studienzeit, es sei seltsam, daß die besten Kunststudenten sich später draußen nicht immer bewährt hätten. Was im akademischen Institut funktionierte, hätte draußen offenbar nicht überleben können.

Für den Einzelnen lässt sich der komplexe Prozess der Qualitätsdiskussion nicht durchschauen, sondern wird eher als Darwin’sches Ausleseprinzip erlebt. Erschwerend kommt hinzu, das in der Kunstwelt eine Generation nur zehn Jahre dauert, das heißt: entschieden kürzer ist als eine biologische Generation. Was vor zehn Jahren war, ist im Kurzzeitgedächtnis der Kunstwelt oft vergessen. Dadurch entsteht der irrtümliche Eindruck, man müsste es in wenigen Jahren geschafft haben, sich in der Kunstwelt zu etablieren. Bestimmte künstlerische Produkte brauchen jedoch eine lange Entwicklungszeit (®Künstler, studierende) und sind entsprechend schwieriger vom Konsumenten annehmbar. In diesen Fällen wird das Ausleseprinzip sicher unfair bleiben.

Diplom Prüfungsnachweis, Abschlusszeugnis, Urkunde aus gr. diploma = das Verdoppelte, zusammengefaltetes Schreiben, Geleitbrief, Empfehlungsschreiben der Diplomaten. Diplomatisch die Urkunden betreffende, urkundlich buchstabengetreu (Etymologisches Wörterbuch Zentralinstitut für Sprachwissenschaften, Berlin 1989).

An der Akademie ist es also der Geleitbrief für den sie verlassenden Künstler und ehemaligen Studenten. Allerdings ziehen die ® Alumni bisher kaum als Gesandte der Akademie in die Kunstwelt. Die ® Kunstwelt fragt nie ausdrücklich nach dem D. als Zugangsdokument. Ihr genügt der Künstler als akademischer Autodidakt, der sich in das Labyrinth der Kunstinstitute einstudiert. Erst beim Wiedereintritt in die akademische Zone als Dozent wird das D. vielleicht eines Tages als "abgeschlossenes Hochschulstudium" eingefordert werden.

Künstler ohne Akademieabschluß erleben das allerdings anders: Sie können das Manko nur durch die eine Sublimation ausgleichen, mit welchem sie ihre Betroffenheit, ja, ihre Besessenheit, in Kunstsachen glaubhaft machen können.

Es ist wohl gut, daß das D. als akademisches Urteil der Professoren nicht zu schwer wiegt; denn wir haben mehr Faktoren als die Akademie allein nötig, um die Qualitätsdiskussion über zeitgenössische Kunst führen zu können (®Darwin’sches Prinzip). Daß das D. ohne formalisierte Prüfungsordnung als professoraler Segen vergeben wird, mag ein Ausdruck davon sein, daß die Akademie hier kein deutliches Urteil hat.

Andererseits ist das beurteilende D. der Akademien nicht unwichtig. In den Biographien erfolgreicher Künstler unser Zeit findet man kaum jemanden, der sich nicht durch die Inkubation einer Akademie entwickelt hätte. Man könnte in dieser Hinsicht fast von einem Monopol der Akademien sprechen. Meschac Gaba, zeitgenössischer Künstler aus Cotounou/ Benin, betont dies Monopol, wenn er sagt, die zeitgenössische afrikanische Kunst könne sich deshalb so schlecht in der internationalen Kunstwelt behaupten, weil es daheim keine Akademien gäbe und darum keinen gesellschaftlichen Diskurs über die Kunst der eigenen Kultur.

Es macht durchaus Sinn, das D. nach erfolgreichem ®Studium als Zertifikat der Ausbildung zum Autodidakten anzusehen, der sich von hier aus weiter entwickeln kann. Es bezeugt damit das Vorhandensein einer Basis für eigenständigen künstlerischen Arbeit.

Dokumentation Ein Kunstwerk zu schaffen heißt heute auch immer, über dessen D. nachzudenken. Das heißt: die Sichtbarkeit für andere mögliche Interessenten außerhalb des ®Ateliers wird erst über die D. des Werkes möglich. Kunst wird heute vor allem in der Reproduktion gesehen und konsumiert, die zwar ein Original im ®Lager des Künstlers oder Museums voraussetzt, welches allein aber nicht in der Lage ist, die Idee des Künstlers zu transportieren.

Das Original ist zu einer fiktiven Größe mutiert in einer Zeit, in der für begrenzt haltbare Photoprints, deren Auflagen aber nicht begrenzbar sind, sechsstellige Geldbeträge hingeblättert werden. Für die Studierenden der Bildhauerei, die von der Sogwirkung des Kunstmarktes noch freigestellt sind, stellt sich auch die Frage, welche Last des Machens sie noch auf sich nehmen wollen, wenn es auch ohne Materie zu gehen scheint.

Andererseits stellt die D. an sich neue Möglichkeiten für Künstler dar, weil beispielsweise das Künstlerbuch neue Ausdrucksfelder eröffnet. In der Klasse Pitz sind auch Werke in Buchform Untersuchungsgegenstand, allerdings um den Preis, daß sie in der ®Ausstellung nicht oder nur unzulänglich vergegenwärtigt sein können, da sie keine räumliche Ausdehnung kennen, sondern nur zwischen ihren Buchdeckeln funktionieren. Das gleiche gilt für Produkte im World Wide Web.

E

Environment ® Installation

Evaluation Die E. der Leistung von Mitgliedern der ®Klasse Pitz ist ein in der Kunstwelt unübliches Verfahren, da es um Effizienz geht, die dem kontemplativen Blick der Kunst eigentlich widerspricht. Die E. wird methodisch der tatsächlichen Arbeitsweise der Klasse Pitz angepasst. Kriterien sind derzeit die fünf P‘s. Sie stehen für Präsentation, Produkt, Professionalität, Prozess und Punktum. Sie zeigen die aktuelle Arbeitsweise des jeweiligen Studenten an, soweit der Student sie in der Klasse präsentiert.. Wie die Gewichtung zwischen den P's liegt, entscheidet der Student selbst im ®Curriculum, und das hat auch mit Talent zu tun. Es sind in der Klasse Pitz sehr wohl Studien denkbar, die keine deutliche Präsentationsform, sondern Untersuchungen (®Forschung) mit sich bringen und die zum Beispiel nicht in der (®Jahresausstellung) gezeigt werden müssen.

Präsentation ist die Veröffentlichung von Arbeitergebnissen nach außen hin.

Produkt ist das realisierte Artefakt in zum Beispiel materiellem oder digitalem Bild.

Professionalität ist die Fähigkeit, alle Implikationen der Materie zu bedenken und professionell die gewählte Technik zu beherrschen.

Prozess ist Untersuchung und Forschung innerhalb des aktuellen Studienvorhabens und dessen Erläuterung im ® Klassengespräch

Punktum ist die nötige Entscheidungsfreudigkeit bezüglich des anvisierten Projekts. Ohne Risiken geht es nicht in der Kunst, und wer zu lange zögert, den bestraft der Misserfolg.

Die fünf P werden nach den Kategorien ++ , + , +/- , - und -- eingestuft. Alles, was nicht ++ ist, bedeutet, daß es durch den Studenten im ® Motiv noch verbessert oder vertieft werden kann.

Exkursion seit April 2003: Panorama von Altötting, Mai 2003: Amsterdam/ Rotterdam, Monumente, Museen und neue Architektur, Dezember 2003: Asamkirche in der Sendlinger Straße (mit Führung vor Ort durch Dr. Steiner, Diözesanmuseum Freising). Als 26. Klassengespräch gab es am Freitag, dem 16. Januar 2004 die Besichtigung meiner Ausstellung Werkzeuge aus Düsseldorf im Zeppelinmuseum, Friedrichshafen und dort die abendliche konzertante Aufführung der Lichtspielmaschine von Ludwig Hirschfeld-Mack, einem Meilenstein in der Entwicklung moderner Lichtkunst von ca. 1920. Ein weiteres Ziel war September 2004 Disneyland Resort Paris. Im Oktober 2004 die Ausstellung von Franz Anton Bustelli im Bayerischen Nationalmuseum.

Die Auswahl der Ziele mag auf den ersten Blick etwas verwirren, aber es geht bei allen Destinationen um gestaltete Räume, um Unterhaltung und atmosphärische Suggestion und um Aspekte der Massenkultur. Diese Aspekte sind für die Studenten heute besonders zu vermitteln, da man eine historische Dimension der Massenunterhaltung erkennen können muß, um als Bildender Künstler heute in den großen kulturellen Unterhaltungsprogrammen wie der documenta und den Biennalen überall in der Welt, funktionieren zu können. Auch eine bewusste Abwendung von diesen Vermittlungsformen und Schaffung zukünftiger eigener Organisationsformen (®alternative space) kann eine Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit dem Mechanismus der Massenunterhaltung sein.

F

Forschung Das französische Wort Recherche scheint ergiebiger zu sein, als das deutsche F.-Wort. Recherche bedeutet auch sammeln, suchend zusammentragen, dies auch unsystematisch. Kunst und F. sind nicht zusammenpassende Begriffe. Vielleicht ist es das Ehrlichste, wie beim ®Atelier, sogleich das französische Wort zu bemühen und die Studenten zu bitten, ihre Themen und ® Motive zu recherchieren, statt zu forschen. Das brächte auch Begriffe wie Untersuchung und Ermittlung ins Spiel: Ästhetische Phänomene werden untersucht, es werden praktische Lösungen beim Machen des ®Bildes ermittelt. Daraus entsteht künstlerischer Sachverstand, wie ihn Willy Brandt in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 als für die Gesellschaft wichtig bezeichnete.

Bei uns ist der Begriff F. durch Universität und Wissenschaft monopolisiert. Was ist F.? fragt sich ein Wissenschaftsphilosoph, und er denkt: Nun, da lässt sich wenigstens sagen, daß nicht jedes Experiment oder jede Entdeckung mit F. zu tun hat. Ein Jugendlicher, der mit Drogen experimentiert, forscht nicht. Eine polizeiliche Untersuchung mag viele Entdeckungen zeitigen, wird aber dennoch nicht als F. bezeichnet, schreibt Menheer Gerard de Vries, Professor der Wissenschaftsphilosophie an der Universität Amsterdam, und er nennt drei Gründe, warum Künstler die Finger von der F. lassen sollten:

Die erste Bedingung für Forschungsbeiträge ist, daß Ergebnisse veröffentlicht werden. Sie müssen Teil des Verbreitungssystems der F. sein und zitiert werden. ... Trotz der verschiedenen Konzepte gibt es in der Wissenschaft einen wenn auch nur vage angedeuteten gemeinsamen Begriff von Wahrheit. Wissenschaftliches Forschen ist mit etwas verbunden, das man als ein hohes erkenntnistheoretisches Ideal bezeichnen kann, nämlich mit der Suche nach Wahrheit oder der Suche nach Objektivität, nach dem gesichertem Wissen. Diese Objektivität gibt es in der Kunst zugegebenermaßen so nicht, außer vielleicht in Form der allgemeinen Akzeptanz des ® Künstlers als Freien Beruf und dessen Wert fürs Gemeinwesen und als sehende, sich ausdrückende Individualität (® Motiv 2) in einer uniformierten Massengesellschaft.

Gerard de Vries: Die zweite Bedingung ist, daß jedes Forschungsergebnis einen Begründung braucht, wozu es gut ist. In den Wissenschaften gibt es eine Struktur von Türwächtern, von Leuten also, die entscheiden, ob etwas veröffentlicht wird oder nicht. Tatsächlich gibt es ein komplettes soziales System für die F. in der Welt der Wissenschaften. Die F. ist mit der täglichen Praxis in Labors und Archiven verbunden.

Eine Forschungstheorie ist eine Theorie über diese beiden Aspekte von Wissenschaft. Die Frage also: wie kriegt man die tägliche Praxis des Forschers im Labor mit den erhabenen Idealen, wie z. B. dem der Wahrheit, zusammen? ... Das Problem ist aber, daß, wenn man die Wahrheit erreichen will, man gewissen Regeln folgen muß. ... Man könnte behaupten, daß F. ein kollektiver Selektionsprozess sei. Mit anderen Worten: neue Ideen sind nur gute Ideen, wenn Kollegen oder Gleichgesinnte sie aufnehmen, sie in Artikeln zitieren oder sie in ihrer eigenen F. anwenden. Also Ideen kopieren, was ja in der Kunst auch vorkommt, aber im Gegensatz zur Wissenschaft als minderwertig gilt.

Gerard de Vries: Auf diese Weise verbreiten sich wissenschaftliche Ideen und werden sie legitimiert. Wissenschaftler müssen also wie auch immer für die Qualität ihrer Arbeit werben. Wenn man aus diesem Blickwinkel die F. betrachtet und sich auf die Verbreitung konzentriert, dann ist alles, was nicht verbreitet wird, keine F. Wenn man seine Resultate nicht veröffentlicht, fallen diese einfach aus dem Forschungssystem heraus. Von dem, was bis jetzt gesagt ist, erfüllt die ® Kunstwelt mit ihrem Distributionssystem eigentlich ähnliche Voraussetzungen, und das ® Atelier wird ja auch gern mal mit einem Labor verglichen.

Gerard de Vries: In der Kunst wäre die Fragen zu klären: wie zirkulieren Kunstwerke? Wie trägt das Kunstwerk bei zur Hohen Idee und gibt es überhaupt so etwas wie eine allgemeines Hohes Ideal in der Bildenden Kunst? Ich glaube, hier kommt man in echte Schwierigkeiten. Ich bin nicht sicher, ob der für die Wissenschaft seit Aristoteles bis zum heutigen Tag bestehende gewisse, wenn auch noch so problematische Wahrheitsbegriff der Wissenschaft als Richtlinie in den Künsten besteht.

Die dritte grundsätzlich andere Bedingung liegt in der Verbreitungsweise von Kunstwerken. Ich habe den Eindruck, daß in der ® Kunstwelt eine andere Art der Arbeitsteilung praktiziert wird als in der Wissenschaft. Bei letzterer sind die Produzenten auch diejenigen, die die Arbeit diskutieren. In der Kunstwelt gibt es eine Teilung zwischen denen die produzieren und jenen die darüber diskutieren, zwischen Künstlern auf der einen Seite und Kritikern und Kuratoren auf der anderen. Es gibt zwar Künstler, die über ihre Arbeit schreiben, aber das sind ja selten interessante Texte. Deshalb bin ich nicht sicher, daß die Kunst sich verbessern würde, wenn Künstler gezwungen wären, (zum Beispiel für Master-Studiengänge) über ihre Arbeit schreiben. Ich glaube, man muß aufpassen, in der Kunst diese Arbeitsteilung nicht zu stören und den Unterschied zwischen Kunstproduktion und dem Nachdenken über Kunst zu erhalten. Entwerfen postmoderne Architekten, die zum Beispiel Virilio lesen und diskutieren, eigentlich die Art von Gebäuden, in denen wir leben wollen?

Abschließend fast Gerard de Vries seine Überlegungen zu Kunst und Wissenschaft so zusammen: Ich bin also ein wenig skeptisch was künstlerische Produktion als Form der F. betrifft. Meiner Meinung nach würde eine Gleichsetzung von Wissenschaft und Kunst in dieser Angelegenheit eine andere Art der Verbreitung von Kunstwerken mit sich bringen. Man müsste in der Tat die Arbeitweise des Künstlers ganz ändern, um hier zu Ähnlichkeiten zu kommen. Und auch holländisch-pragmatisch gedacht sieht De Vries keinen materiellen Vorteil für die Kunst: Schließlich bin überhaupt unsicher, aus welcher Not heraus künstlerische Arbeit als F. angesehen werden sollte. Geht es ums Prestige? Geht es ums Geld? Prestige und Geld werden in der Wissenschaft jetzt bereits weniger. Wenn man in dieser Angelegenheit auf die Erfolgsschiene kommen will, sollte man eher an den Sport oder die Unterhaltungsindustrie herantreten.

H

Hand Die Hand ist direkt an unserem Körper angebracht, und es fällt schwer, die Bildhauerarbeit ohne sie auszuführen. Ausgeschlossen sind allerdings handlose Menschen nicht, denn in der Bildhauerei gibt es allerhand Arbeiten, die sich delegieren lassen an andere Hände. Das setzte allerdings eine tiefe Abstraktionsfähigkeit voraus, die der Studienbeginner oft nicht hat (®Werkstatt).

Ideen in der ®Kunst kommen sehr oft und wahrscheinlich fast ausschließlich vom Tun mit der H. Wenn man selbst nicht ans Werk geht, dann wird man auch nicht wissen, was man tun soll in der Kunst. Die Kunst ist in dieser Hinsicht der Philosophie (®Klassengespräch) nicht unähnlich, sagt man, und auch der Mathematik als Disziplinen, die sich ihre Probleme selbst stellen. Die Mathematik ist übrigens auch in anderer Hinsicht bemerkenswert: Sie kennt die faktische Schönheit (etwa eines mathematischen Beweises im Gegensatz zu uneleganten, unschönen, d.h. umständlichen Lösungen) und das faktische Genie, wenn Probleme durch Einzelne nach manchmal Jahrhunderten vergeblicher Bemühungen von Mathematikergenerationen gelöst werden.

Die Kunst ist aber auch ein Handwerk, allerdings ohne den Meisterbrief (®Diplom), den Claude Lévi-Strauss im Rahmen seiner anthropologischen Studien als auch für die Kunst überflüssig erkannt hat, indem er den französischen Begriff der Bricolage (Basteln, Bastelei) einführte. Er geht auf das Konzept des Wilden Denkens zurück. Das Merkmal dieses Denkens ist es, jenes zu tun und zu verwenden, was gerade zur Verfügung steht. Bricolage hängt - anders als geplantes Vorgehen von einem vorhandenen Lager an Ressourcen ab. Aus diesem Lager werden einzelne alternative Entwicklungspfade kombiniert. Solch ein Vorgehen fördert die strategische Flexibilität und Wandlungsfähigkeit einer Organisation und bietet die Möglichkeit, ohne risikoreiche Investitionen mit den vorhandenen Möglichkeiten neue Nischen zu besetzen. (Zitat nach einer Managerzeitschrift)

I

Installation ist als Bezeichnung für räumliche künstlerische Arbeiten seit einigen Jahrzehnten im Umlauf. Vor 20 Jahren hat es so ausgesehen, als könnte der Begriff I. jenen der ®Bildhauerei ablösen oder ihn zumindest dominieren. Inzwischen ist davon gar nicht mehr die Rede, und an Akademien sind Klassen für Installationskunst so selten wie solche für Ready-Made-Kunst, die mancher vor 40 Jahren wohl gern gegründet hätte. Das konservative Beharren der Akademie im Zulassen neuer Disziplinen scheint im Rückblick nicht nur negative Effekte zu haben.

Der Kunstwissenschaftler Sven Lütticken hat unter dem Titel , Der Triumph der Installation als Begriff und Kunstform in der belgischen Kunstzeitschrift De Witte Raaf Nr. 62, im Juli 1996 eine Studie zur Geschichte des Begriffs veröffentlicht. Die Untersuchung zeigt beispielhaft Begriffsentwicklungen, wie sie stets von Neuem in der ® Kunstwelt geleistet werden. Hier Auszüge (Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: H.P):

Sven Lütticken: In diesem Text wird versucht, die Geschichte der I. zu verdeutlichen, indem der Ursprung des Worts verfolgt wird und insbesondere zu untersuchen, wie er die frühere Bezeichnung Environment (englisch: Umgebung, im Folgenden E.) verdrängte. Anschließend wird die Entwicklung der Kunstform, für die die Begriffe E. und I. erfunden wurden, unter die Lupe genommen. Aus praktischen Gründen werden die Fakten der 60er und 70er Jahre vor allem aus den betreffenden Jahrgängen von Artforum geholt. Diese amerikanische Zeitschrift ist in jener Periode besonders auf neue Entwicklungen vor allem in den USA, aber auch in Europa gerichtet. Die europäische Quellenforschung bleibt beschränkt auf das deutsche Kunstwerk und das niederländische Museumjournaal.

Über die kurze Geschichte der Installation gab es bis 1996 gerade mal sechs kurze Essays. Zum Beispiel untersuchte Michael Archer die Vorgeschichte und macht einige interessante Bemerkungen über das späte 19. und das frühe 20. Jh. Er sieht im 19. Jh. zwei verschiedene Typen des “Gesamtkunstwerks” angelegt: einerseits das eklektische, den Motiven der Vergangenheit zuwandte Werk, zum Beispiel in der Neogotik, andererseits die moderne Mix-Kultur der Passagen, der Wahrenhäuser und Weltausstellungen. Die Installation, so wie wir sie heute kennen, soll laut Archer schließlich aus einer Kombination sowohl eher künstlerischer Visionen des Gesamtkunstwerks, als auch aus dessen kommerziellen Variante der Warenkataloge entstanden sein. (in: D. Oliveira, Nicolis, Oxley, Nicola, Petry, Michael, Installation Art, 1994)

Ein früher Versuch dieser Synthese war Schwitters’ Merzbau, worin der Wust der modernen Welt in einem geometrisch-organischen Ganzen aufgenommen wurde, wenn auch Schwitters noch eher der Welt des künstlerischen Gesamtkunstwerks des 19. Jh. angehörte. Das gilt auch für konstruktivistische Phänomene wie Lissitzkis Prounenraum. Damals wurde meistens nach einer Synthese von bis dahin abgegrenzten Künsten (vor allem Architektur und Malerei) gestrebt, was heute so nicht mehr der Fall ist. Da sind auch heute noch Marcel Duchamps Beiträge zu surrealistischen Ausstellungen relevanter. Seine Decke aus Kohlensäcken und sein Labyrinth aus Fäden versuchten nicht mehr, eine derartige Synthese zustande zu bringen. Es waren desorientierende Eingriffe, die sich jeder Kategorie entzogen.

Diese Werke des frühen 20. Jh. werden in Texten über die I. öfter als mythische Vorläufer zitiert. Man mag über die Bedeutung solcher Ausnahmefälle denken, was man will, wichtig bleibt festzustellen, daß es die Begriffe E. und I. damals noch nicht gab, die derartige räumliche Werke erst als eigene Kategorie analog zu Malerei und Skulptur identifizierten. Es gab noch keinen Oberbegriff, der Werke von zum Beispiel Schwitters, Moholy-Nagy, Lissitzky und Duchamp miteinander verband. In Duchamps Fall sprach sogar ein nachweislicher Bewunderer des Meisters seinerzeit nicht von einem Kunstwerk sondern von nur von“Dekoration”.

Der Begriff I. hatte einen fließenden Auftritt, der so leicht war, daß er fast unbemerkt vor sich ging. Das war das Resultat einer mehrjährigen Bedeutungsverschiebung. Davor war mit I. in der englischsprachigen Kunstwelt die Hängung von Bildern einer Ausstellung gemeint, was es ja auch heute noch bedeutet. “view of installation” oder “installation view” war die übliche Bildunterschrift in Kunstzeitschriften damals. Aus diesem Sprachgebrauch hat sich schließlich die hier im Mittelpunkt stehende Begriffsbedeutung abgeleitet.

Die begriffliche Verschiebung hing ihrerseits mit den Veränderungen in der Kunstpraxis de 60er Jahre zusammen. Eine Malerei kann in “nicht-installierter” Form reproduziert werden. Auch bei einer Skulptur ist das möglich, wenn man die Umgebung wegschneidet oder durch weißen Hintergrund ersetzt. Für “three-dimensional works” der Minimal Art war das schon oft schwieriger. “Dan Flavin, view of installation” lautete die Bildlegende unter dem Foto eines Werks in Artforum 1968. Dabei ist es wichtig festzustellen, daß der Begriff hier und bei anderen Fotos der Minimal Art noch strickt im traditionellen Sinn gebraucht wurde. Es ging nicht um eine bestimmte I., sondern allgemein um eine I. einer minimalistischen Skulptur in einem bestimmten Raum, etwa entsprechend der “Installation von” einer Vermeer-Malerei. Es gibt allerdings schon den wesentlichen Unterschied: es ist unmöglich, ein Werk wie das hier genannte von Dan Flavin in nicht-installierter Form zu reproduzieren. Das Werk existiert nur, wenn es in einem konkreten räumlichen Kontext gezeigt wird. Bei der fotografischen ® Dokumentation einer solchen Arbeit kann man die Umgebung nicht ausschließen, wie bei Malereireproduktionen. Seit dem Aufkommen der Minimal Art sah man also viel öfter die Unterschrift “view of installation” als früher, weil man das Werk auf andere Weise schlichtweg nicht zeigen konnte. Die galt für Dan Flavin, Carl Andre und Robert Morris, auch für viele Arbeiten von Donald Judd und Sol Lewitt. Tatsächlich wurde damals der Begriff I. aber längst nicht immer eingesetzt, häufig blieb es nur bei dem Werktitel, vor allem, wenn nur wenig von der Ungebung zu sehen war.

Vorläufig wurde der Begriff I. also noch im traditionellen Sinn gebraucht, und andere Begriffe halfen aus, räumliche Werke als Kategorie zu identifizieren. In dem Artikel von Jack Burnham, zu dem die bewußte Bildlegende von Flavin gehörte, benutzte der Autor den Begriff des E.. Auch einige der Minimalisten schufen laut Burnham E.s, wobei diese das Wort vielleicht zu jener Zeit bereits abgelehnt hätten. Die Minimal Art war ja die materialisierte Abweisung des bildhaft ästhetisierenden Modernismus. Sie setzte dagegen das zum Objekt gewordenen Kunstwerk ausdrücklich in denselben Raum wie den Betrachter.

Jack Burnham beschrieb in seinem Text System Esthetics (Artforum 7. September 1968, S.30) den Übergang von einer Objektkultur hin zu einer Systemkultur. In letzterer ging es der Kunst nicht mehr um das autonome Objekt, sondern um ein E., in das der Betrachter aufgenommen wird, auf das er reagiert und das sich erst durch seinen sich bewegenden Blick (und der Synthese seiner Eindrücke im Kopf) vervollständigt. Die noch objekt-orientierte Minimal Art ist, was das betrifft, nicht mehr als ein Zwischenschritt gewesen. Entsprechend zitierte Burham Hans Haacke: “A sculpture that physically reacts to it’s environment is no longer to be regarded as an object.”

Der Begriff E., hier übrigens von Haacke in seiner ursprünglichen Bedeutung von Umgebung gebraucht, wurde schon Ende der 50er Jahre durch Allan Kaprow in die Bildende Kunst eingeführt, damals fast als ein Abfallprodukt des “Happening”; denn dies mündeten aus in E.-artige Situationen, die länger als das Happening selbst andauerten. Ein bekanntes Happening mit dem Titel Yard von Kaprow bestand aus dem Aufschichten eines Berg alter Autoreifen vor Publikum im Hinterhof der Martha Jackson Gallery in New York 1961. Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre war Kaprow nicht der einzige, der mit derartigen Werken die Grenze zwischen Kunst und Leben aufheben wollte, auch im Fluxus wurde Kunst mit dem Alltagleben vermischt.

Die ursprüngliche Bedeutung von E. (Lebensumgebung und Umwelt) deutet also auf das Streben um 1960 hin, die Kunst aus dem Elfenbeinturm der Institutionen zu holen und im Alltagsleben zu verankern, ja, sie selbst im Leben aufgehen zu lassen. Dennoch blieb das E. schlußendlich vollkommen abhängig von Kunstkontext; die Rezeption eines Bergs Autoreifen ist im Rahmen des Kunstkontext völlig anders, als die Wahrnehmung eines Autoreifenhaufens woanders nur als Haufen Autoreifen. Nur innerhalb des Kunstkontext konnte ein derartiges Werk als radikale Überschreitung der Konventionen gesehen werden.

Die Benennung E. wurde nach Kaprow und Fluxus noch vielerlei räumlichem Werk angetragen, zum Beispiel bei Werken von Claes Oldenburg und Andy Warhol. Zu Beginn der 70er Jahre gab es dann eine wahre Welle von E.s von kalifornischen Künstlern wie Robert Irwin, Larry Bell und Michael Asher. Robert Morris, immer auf der Suche nach dem neuesten Trend, erfand für diese Künstler den Namen “extra-visual artists”, weil sie keine sichtbaren, als Kunst erkennbaren Eingriffe tätigten. Ihre Kunst bestand aus kahlen Räumen. Häufig manipulierten sie die Beleuchtung, um ein bestimmtes Raumempfinden beim Betrachter auszulösen. Man wurde sich seiner eigenen Sinne bewußt, der Zeit zum Beispiel, die nötig war, um bei Larry Bell in einem abgedunkelten Saal wieder richtig sehen zu können.

Eine Bildlegende zu Robert Morris’ Artikel The cut of existence three extra-visual-artists (Artforum 9. Januar 1971, S. 28) hieß: “Michael Asher, Pomona Installation”. Hier und bei einer früheren Bildlegende “Bruce Nauman, Wilder Gallery Installation” scheint der Beginn des angedeuteten Bedeutungswandels sichtbar zu werden. Während die Autoren der jeweiligen Artikel unverändert von E. sprechen, gehen die Redakteure für die Bildunterschriften zum ersten Mal bereits von der “Installation des Werkes X” über zu “Die Installation X”. Wenn ein Kunstwerk nur in installierter Form bestand, dann konnte es zu recht I. genannt werden - so schien man damals gedacht zu haben.

Seit 1975 war der neue Sprachgebrauch in den Kolumnen von Artforum Allgemeingut. Ganz selbstverständlich wird 1976 ein Werk von Dan Graham beschrieben als “The installation opposing mirrors and video Monitor on time delay”. Der Begriff I. war nun definitiv nicht mehr nur die Umschreibung eines spezifischen (Hänge-) Zustands eines Kunstwerks, sondern eine eigene Kategorie der Kunst neben zum Beispiel der Malerei oder der Skulptur. Innerhalb weniger Jahre hatte sich der Begriff I. etabliert und den alten Begriff E. marginalisiert. Offensichtlich wurden I. Vorteile gegenüber E. zugeschrieben. Welche Vorteile könne das gewesen sein?

Ins Auge springt jedenfalls, daß beim E. die Konnotation des Künstlichen und Inszenierten fehlt, die bei I. stark hervorgehoben ist. E. suggeriert eine vielleicht nicht an sich natürliche, aber doch auch los von der Kunst bestehende Umgebung und war so gesehen ideal für das Künstlerbild vom homo ludens, das Kaprow und Fluxus um 1960 mit dem dazu gehörigen Freiraum erschufen, der wiederum später Nauman, Bell und Asher den Spielraum für weitergehende Experimente mit extremen Wahrnehmungsbedingungen gab.

Letztere waren übrigens Exponenten einer breiten Bewegung um 1970, die sich mit der Stelle als Ort für Riten und Initiationserfahrungen befaßte. Auf die performance-gebundenen Werke von Paul Thek und Joseph Beuys, die ohne Scheu auf mythologische und religiöse Inhalte zugriffen, scheint aber tatsächlich allein der Begriff E. anwendbar. Am Begriff I. hängen genau jene Konnotationen, die jemand wie Beuys hinter sich lassen oder tiefgreifend transformieren wollte: die des Kunstkontext, des Installiert-Seins, und damit des ganzen Ausstellungswesens.

Die Bennennung I. impliziert, daß hier sicher keine Rede von ganz und gar puren E.s sein kann, die eine reinigende, rituelle Wirkung hätten, sondern immer von etwas Künstlichem, von konventionellen, mit bestimmten Bedeutungen belasteten Räumen. Aber Achtung: hier geht es in erster Linie um die Terminologie. Es ist nicht gesagt, daß Werke, die mit dem Etikett E. oder doch I. versehen werden, an sich dadurch bereits zwei unterschiedliche Kategorien bildeten. Vor ca. 1972 wurden in den USA alle räumlichen Werke einfach E. genannt, während nach ca. 1975 noch vom Begriff I. gesprochen wird.

Aus dem oben Genannten folgt, daß Terminologieentwicklungen in der ® Kunstwelt ihre eigenen unergründlichen Bahnen ziehen, daß aber zugleich das Aufkommen eines Begriffs wie der I. abhängt von Entwicklungen in der Kunst ist.

Wie gesagt war E. das richtige Wort für die Kunstwerke, die den Betrachter spielerisch (Kaprow) oder psychologisch-phänomenologisch (Asher) oder mit mystisch-mythischen Einschlag (Beuys) in einen den Kunstkontext transzendentierenden Raum aufnehmen wollten. Auf minimalistische und post-minimalistische Werke war E. mit seinen spezifischen Konnotationen bereits sehr viel schwieriger anzuwenden, wenn Jack Burnham das auch in o.g. Text sehr wohl versuchte.

Aber was sollte man eigentlich mit dem großen Ensemble von Werken der Konzeptuellen Kunst anfangen? Der räumliche und Umgebungscharakter war bei derartigen Werken viel weniger wichtig, und von einem “reinen”, nicht von kulturellen Konventionen befallenen Raum war da eigentlich überhaupt nicht mehr die Rede. Brian O’Doherty (Inside the white cube part II the eye and the spectator Artforum 14. April 1976, S.34) sprach damals auch nur noch bei Kaprow, Fluxus und Kienholz über E.s, während er noch etwas unsicher über “Joseph Kosuth’s installation at Castelli” sinnierte. O’Doherty belegte übrigens sehr zu recht, daß der modernistische Ausstellungsraum eine kapitale Rolle beim Entstehen der I. spielte. Schließlich wurde dort die weiße Wand zur bildnerischen Fläche, und wurde sie statt Kontext zum Inhalt und Teil der Kunst. Daß O’Doherty “installation” in Anführungszeichen setzte, zeigt, daß es damals in dieser Bedeutung zwar noch ein neuer Begriff war, der aber bei der Arbeit von Kosuth scheinbar für zutreffend gehalten wurde.

Auch Dan Grahams Opposing mirrors and Video Monitors in Time Delay wurde, wie oben gesagt, als “Video Installation” erfaßt. Graham analysierte die Rolle des Betrachters nicht einfach als die eines Betrachters im Raum, sondern als die eines Kunstbetrachters in einem Kunstraum. “Dan Graham was a gallery director before he was an artist, and from the beginning his art treated the theme of it’s own presentation..” Bei Graham sieht der Betrachter sich selbst zeitverzögert auf einem Monitor. Er repräsentierte nun nicht mehr das über allem schwebende Auge der Moderne, sondern war ein konkretes Individuum geworden. Bei Graham und Kosuth wurde was einst Kontext war deutlich zum Teil des Kunstwerks, und damit wurde Kontext nicht mehr nur räumlich aufgefaßt, sondern im Sinne der Semantik.

Nachdem der Begriff aufgrund der beschriebenen Entwicklung einmal seinen Siegeszug begonnen hatte, wurden auch Phänomene zur I.., die eigentlich besser als E. bezeichnet wären, und natürlich ist ein E. immer auch ein bißchen I.. Um es deutlicher zu sagen: ein E. ist eine I., die ihr Installiert-Sein nicht ausdrücklich betont. Im Gegenzug kann man eine I. ein selbstreflexives E. nennen. Angesichts des Niedergangs des Begriffs E. und dem Einsatz von I. als Passepartout für alles irgendwie Dreidimensionale erscheint diese Unterscheidung heute aber zugegebenermaßen etwas akademisch.

E. und I. sind keine völlig von einander abgegrenzten Phänomenen, sondern beide sind Exponenten einer Tendenz der Kunst des 20. Jh., jener vom geschlossenen zum offenen Kunstwerk. Der Bilderrahmen und der Skulpturensockel erschienen als Einschränkung, die das Kunstwerk in einer auratischen, abgeschiedenen Welt gefangen hielten. Die Skulptur wollte direkten Kontakt mit dem Grund haben und ein “Ort” werden (Carl Andre), und die Malerei wurde zum Objekt, das die ganze Wand in Beschlag nahm (Frank Stella).

Bereits in der ersten Hälfte des 20 Jh. aber gab es einen Künstler, der die traditionellen Kategorien von Bildhauerei und Malerei so radikal hinter sich ließ, daß man ihn zu Recht als ersten I.-Künstler bezeichnen könnte. Er hat den Begriff I. aber, anders als den des Ready-Made, nicht in die Kunst eingeführt, und deshalb dauerte es noch einige Jahrzehnte, bevor sich für unkonventionelle räumliche Ensembles eine eigene Kategorie in der Kunst ausbildete (® Bildhauerei/ Ready-Made).

J

Jahresausstellung ® Ausstellung

K

Klassengespräch Das K. ist eine Sitzung der ®Klasse Pitz, d.h. eine versammlung eines gerichts oder collegii - (zur sitzung einberufen, die sitzung eröffnen, schließen, aufheben, unterbrechen u.s.w.), eine Sitzung also, in der die Arbeiten und Studien der Studenten diskutiert werden und damit ihr jeweiliges Motiv. Die Phänomene der ®Kunstwelt kommen in Beziehung dazu ausführlich zur Sprache, denn es geht um die Information der Studierenden.

unmöglich kann die sitzung schon aus sein! (Schiller). Ein anderes historisches Beispiel ist die Tagsitzung: Campe will nach französischen vorbilde die sitzung die ganze periode, während derer eine körperschaft (z.B. die Reichsstände oder die Klasse Pitz) berät und beschlieszt, mit tagsitzung die einzelne verhandlung bezeichnet. So gesehen ist das K. eine andauernde Folge von Tagsitzungen.

Für Kunststudenten ist es wie für Künstler nicht leicht, über die eigene Arbeit zu reden. Die Bilder sollen ja auch für sich selbst sprechen. Wenn man den Begriff Gespräch jedoch einmal genauer untersucht, dann bietet er allerlei Möglichkeiten in der Klasse Pitz: du bist mein einiges ein, du bist die recht ohn alles gesprech. Gespräch ist also die Disputation des Für und Wider einer Sache, die nicht immer zu eindeutigen Schlüssen kommt, aber deshalb noch kein Gerede ist.

Das. K. hat jedenfalls mit Sprache zu tun. Die Wortsprache steht dann neben der Bildsprache der disputierten Studie. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Sprachebenen schafft allerdings Undeutlichkeiten. Es ist interessant, sich in diesem Zusammenhang einmal in der Philosophie umzuschauen, und hier insbesondere zu Ludwig Wittgensteins Vorstellung vom Sprachspiel zu greifen, das sich mit den Undeutlichkeiten der gesprochenen Sprache befaßt.

Klasse Pitz Die K. P. ist ein Wesen, das einem Tier mit vielen Köpfen ähnelt und mit doppelt so vielen ®Händen. Auch Beine sind zweimal so viele vorhanden, weshalb dies Wesen in allerlei Richtungen zugleich laufen kann. Wenn ein Handpaar etwas tut, zum Beispiel einen Hund in Ton modelliert, dann wenden sich einige Köpfe dem zu, aber nicht alle Köpfe. Manche schauen uninteressiert in andere Richtungen, andere konzentrieren sich auf etwas anderes, zum Beispiel ihr eigenes ®Studium.

Auf diese Weise wird die K. P. von ihren Mitgliedern bespielt und bewegt, zu lauten oder leisen Klängen verleitet, zur Langeweile niedergedrückt oder zu Momenten geistiger Erkenntnis gehoben. Die K. P. wird von ihnen bespielt wie ein Instrument, und wie jedes Instrument erfordert sie andauernde Wartung und Stimmung für beste Resultate. Jeder Studierende legt im ®Curriculum fest, welchen Beitrag die Klasse zu den aktuellen Studien bringen kann, oder anders gesagt: wozu er die Klasse brauchen kann. Die Klasse dient ihm aber nur, wenn er sie wartet.

Die K. P. hat als Körperschaft einen Ort. Das ist der Raum der Klasse und das ®Atelier der Studierenden, das allerdings individuell oft außerhalb der Akademie angesiedelt ist. In diesem Fall wird die Gruppe raum105@yahoogroups.de wichtig, unter der die Mitglieder der Klasse, allerdings nicht der ®Professor, erreichbar sind. Denn dieser ist zwar ein Mitglied der K.P., soll aber über den Informationsaustausch der Gruppe nur dann etwas wissen, wenn er eigens angeschrieben wird.

Kunst 1. Die K. ist als Ausdrucksform mit dem Augensinn verbunden (®Bild). Die Soziologen sehen Kunst als Kommunikation an (®Kunstwelt), aber der eventuelle Umkehrschluß, Kommunikation sei Kunst, ist falsch.

Die wichtigsten Sätze zur Definition von Kunst stammen von dem amerikanischen Maler Ad Reinhardt. Er hat entsprechende Texte unter dem Titel Kunst als Kunst zu Beginn der 60er Jahre geschrieben, in einer Zeit also, als in den U.S.A. die Autonomie des Kunstwerks als auf sich selbst bezogenem Wesen gefeiert wurde:

ART IS ART, EVERYTHING ELSE IS EVERYTHING ELSE. Das ist ein dogmatischer und damit eigentlich unmoderner Grundsatz, der für Studenten zunächst gut anwendbar ist und beruhigend wirkt, da er dazu ermuntert, die Kunst als etwas Gegebenes anzusehen, so, wie die Natur gegeben ist, und zugleich als etwas Künstliches im Gegensatz zu den Hervorbringungen der Natur. Kunst besteht nach diesem Dogma in gewisser Weise an sich. Auch dann, wenn der Kunststudent sein Studium abbrechen sollte, würde die Kunst weiterhin existieren und entstehen, so wie die Vegetation in den Jahreszeiten immer neu entsteht.

ART-AS-ART. ART FROM ART. ART ON ART. ART OF ART. ART FOR ART... . In dieser monumentalen, hier gekürzt wiedergegebenen Begriffsvariation fasst Reinhardt den Ursprung und die begrenzte Ausdehnung von Kunst zusammen. Das heißt:

Kunst kann man nur als Kunst wahrnehmen im Kontext der Kunst (®Kunstwelt).

Die Ideen der Kunst kommen von der Kunst her und von sonst nirgends (®Zusammenarbeit).

Das Thema von Kunst ist Kunst, auch dann, wenn andere Aspekte des Lebens (die Ad Reinhardt so gern aus der Kunst herausgehalten hätte) im Werk dargestellt sind.

Kunstwerke sind Werke der Kunst und verdanken ihre Existenz nicht allein der Kreativität ihres Urhebers, sondern auch den Kunstwerken, die vor ihm schon da waren.

Kunstwerke sind in dieser Hinsicht vor allem für die Kunst gemacht und für (zukünftige) Künstler. Künstler sind also das erste Publikum der Künstler (®öffentlich/ privat).

Kunst 2. Die Definitionen aus den 80er Jahren reagiert auf neuere anthropologisch-philosophische Entwicklungen. So hat beispielsweise der niederländische Schriftsteller Gerard Reve das Folgende zu Papier gebracht:

Kunst ist stilisiertes menschliches Handeln (oder ein Produkt davon), das eine Rührung hervorbringt, und sie sei somit die Zwillingsschwester der Religion, auf welche genau dieselbe Definition passe. Reve: Frage eins: Was ist die Aufgabe der Kunst, was darf man von ihr verlangen? Ihr Auftrag ist die Deutung der Wirklichkeit, was nicht bedeutet, daß sie Wirklichkeit wiedergibt, aufklärt oder enträtselt. Und: Frage zwei: Was haben alle Künste gemein, worin sind sie sich einig? Alle Kunst ist religiös. Es gibt keine andere Kunst als die religiöse. Religiöse Kunst wird hier natürlich nicht auf die damit nicht ausgeschlossene Sakralkunst reduziert, die Teile für den Gottesdienst und Ritus produziert, sondern religiöse Kunst wird verstanden als eben das eine die Rührung hervorbringende, stilisierte Handeln, das an sich einem Ritus nicht unähnlich ist.

Ad Reinhardt und Gerard Reve sind zwei Pole, zwischen denen sich die Recherche nach zeitgenössischen Kunstformen in der Klasse Pitz erstreckt.

Kunsterziehung ist ein hässliches Wort für eine schöne Sache. Denn eigentlich müsste es kaum etwas Schöneres geben können, als die Belange der Kunst den Kindern in der Schule zu vermitteln. Trotzdem hatte die K. in der Tradition der Akademie als Hervorbringerin einer darbenden Avantgarde, lange einen schlechten Ruf, da die Künstler im gymnasialen Lehramt materielle Sicherheit erreichten, ohne sich den Risiken kreativer Prozesse aussetzen zu müssen. Die Kunsterzieher sind dort Feinde der Künstler, wo sie deren in tiefem Leid errungenen ästhetischen Früchte allzu leichtfertig abernteten. Dabei ist es heute erklärtes Ziel der Akademie, für die K. unter dem Oberbegriff “Kunst in der Schule” gute Künstler als Kunstlehrer an die Gymnasien zu bringen. In der Klasse Pitz ist die K. also gern gesehen, da es für die Akademie wünschenswert ist, in möglichst alle Bereiche der Kunstwelt hineinwirken zu können, also auch in die Schulen. Studenten des Lehramts müssen allerdings für das Staatsexamen ein formales ® Curriculum absolvieren, daß sie mit den Studenten der Freien Kunst nicht immer wettbewerbsfähig erhält. Hieraus ergibt sich für manche Studenten, daß sie vielleicht das Diplom wegen der Doppelbelastung gar nicht anstreben sollten.

Künstler als Freier Beruf Die ® Akademie der Bildenden Künste bildet seit ca. 150 Jahren den K.a.F.B. aus. Daß zu Beginn ihrer fast 200 jährigen Geschichte noch kein deutlicher Unterschied zwischen den technischen und den Schönen Künsten bestand, belegt Wolfgang Ruppert in seiner lesenswerten kultursoziologischen Studie Der Moderne Künstler (1998). So ist das heute noch gültige Berufsbild vom K.a.F.B. wohl erst um 1840 ausgeprägt gewesen. Und die anderen bis dahin verwandten Berufe, wie Ingenieure usw., wurden seitdem an den inzwischen entstehenden Technischen Universitäten ausgebildet, vor deren Gründung der erste Lehrstuhl für Architektur in Bayern naturgemäß an der Akademie der Bildenden Künste angesiedelt gewesen war, und dieser hat sich als Solitär im “Aufbaustudium Architektur” bis heute erhalten.

Manche glauben, daß der K.a.F.B. mit dem von Gustave Courbet 1850 erfundenen Salon des Refusés begann. Verärgert über die Jury und die Zurückweisung seiner Bilder zum offiziellen Salon der Académie Francaise richtete er seine eigene Einzelausstellung außerhalb der offiziellen Salonräume, aber in deren Nähe ein. Wie diese durch einen Künstler selbst gehängte Ausstellung als erste ® Installation überhaupt aussah, wissen wir nicht, weil niemand eine ® Dokumentation gemacht hatte. Es war wohl das erste Mal, daß ein Moderner Künstler selbst den Kontext für sein Werk herstellte.

Genauso alt wie der K.a.F.B. ist der Arme Künstler. Wolfgang Ruppert trägt über diesen Aspekt der beruflichen Unabhängigkeit allerlei Gedanken zusammen: Für den abgrenzenden bürgerlichen Blick lud sich das Bild des gescheiterten oder in kärglichen Umständen lebenden Künstlers mit einer ambivalenten Faszination auf, da es als ein Gegenbild zur eigenen bürgerlichen Lebensführung mit dem Streben nach Sicherheit um den Preis von mentalen Verzichtleistungen wirkte (in: Ruppert, Der Moderne Künstler, S.196). Auch heute setzt sich dies Bild vom hungernden Künstler aus dem kollektiven Gedächtnis des 19. Jahrhundert unvermindert fort, wenn man etwa moderne Statistiken liest. Nur 2% der Akademieabsolventen können danach von der Kunst leben , womit wohl gemeint ist: können Geldbeträge in einer Höhe über dem Existenzminimum aus dem Kunstmarkt erzielen. Diese Statistik ist für Berufsanfänger aber nicht von Bedeutung. Hier muß es darum gehen, zunächst in einer Mischfinanzierung sich Arbeitbedingungen zu schaffen, die es erlauben, über längere Zeiträume den Atelier- und Freiraum zu unterhalten, in dem ein künstlerisches Projekt kontinuierlich weiter entstehen kann. Ob die Geldmittel dazu direkt im Kunstmarkt oder über andere Dienstleistungen erworben werden, ist zweitrangig, so lange genug Energie für die eigene Arbeit bleibt.

Der K.a.F.B. war an der Münchner Akademie vor allem ein Maler, der im Studium verschiedene Klassen durchlief, die im Rang geordnet waren. Von den Zeichenklassen nach Antiken zu den Malklassen am Aktmodell oder für Landschaft und Tiermalerei führte die Ausbildung bis in die höchsten Klassen für Komposition, wo man die Historienmalerei erlernte. Die ® Bildhauerei war und ist bis zum heutigen Tag am Rand dieser Karriereleiter gewesen. Das Angebot an ® Werkstätten hat sich als erweiternde Praxis für die Bildhauer erst um 1939 erhöht, als die Akademie mit der Kunstgewerbeschule vereinigt wurde.

Der Markt hat offensichtlich immer eher Flachware abgenommen, und die Maler im 19. Jh. entsprachen dieser Nachfrage, indem sie sich als sogenannte “Fächler” auf Sparten wie zum Beispiel “Landschaft” oder “Tiermalerei” spezialisierten. Künstler werden nur zum Teil über ihren Namen identifiziert. Häufig aber sagt man auch heute noch: “Das ist der Künstler, der das und das macht”. Man nennt also gern wie früher das Fach, in dem der meiste Erfolg errungen wurde, und man nennt nicht, was der Künstler sonst noch alles macht. Solche Spezialisierungen sind zwar auch heute noch denkbar, aber der erweiterte Kunstbegriff des 20. Jh. hat die ® Kunstwelt so weit diversifiziert, daß dem heutigen Akademieabsolventen kaum ein Rat mit auf den Weg gegeben werden kann, in welchem Fach so eine Spezialisierung sinnvoll für den Erfolg liegen könnte. Zum Erfolg bemerkte schon 1908 Lovis Corinth nach Ruppert (S.227): Ein süddeutscher Akademieprofessor behauptete nicht ganz unrichtig, daß drei Dinge notwendig wären, um eine tüchtigen Maler zu machen, nämlich: Talent, Fleiß und Geld. Von diesen dreien dürfe eines fehlen, aber nie käme man nur mit einer einzelnen von diesen Eigenschaften zu einem guten Resultat.

Künstlerberuf am Beispiel von Hermann Pitz: "Ich arbeite seit 25 Jahren an einem Bildsystem zur Erkennung und Betrachtung der Welt, meiner Welt. Die Werke sind zwar für andere Menschen gemacht, bilden aber andere Menschen so gut wie nie ab. Sie simulieren gleichsam den möglichen Blick des Betrachters auf die Welt. Das Bildsystem setzt sich kontinuierlich in Verlautbarungen im allgemeinsten Sinn fort: Vom gesprochenen Vortrag in Kunstinstitutionen bis hin zu temporären Ausstellungen in eigens dafür geschaffenen, sogenannten ® Installationen. Die Abfolge dieser veröffentlichten/ öffentlichen Situationen sind das eigentliche Werk. War zunächst Ende der

70er Jahre und noch während meines Studiums der Malerei (bei Prof. Girke an der Hochschule der Künste am Steinplatz in West-Berlin) meine Aufmerksamkeit darauf gerichtet, das Bild in die dritte Dimension, aus der Leinwand heraus in den (Ausstellungs-) Raum hinein zu entwickeln, so waren es Anfang der

80er Jahre Werke für eine bestimmte Stelle (®Installation). Es ging darum, in der Analyse einer gegebenen (historischen) Stelle im Raum (außen im Stadtraum oder innen in architektonischen Räumen) einen bildhaften Ausdruck zu finden, der sowohl das Vorgefundene kommentiert wie auch ihm einen persönlichen, eigenen Ausdruck zufügt. eine Arbeit war dabei zugleich eine Untersuchung über die Beziehung zwischen Bild und Architektur. Andrea Palladio war ein Architekt, der mich in seiner distanzierten Sicht auf die Möglichkeiten seiner Architektur damals interessierte. Das Erschließen des Stadtraum für diese Arbeiten ging nicht allein. Ich habe am 21. April 1980 unter dem Namen Büro Berlin mit Raimund Kummer und Fritz Rahmann eine ®Selbstorganisation gegründet, die Werke von vielen Künstlern in diesem Arbeitsfeld ermöglichte. Aus diesen Untersuchungen ist jedoch mit bis heute zwei Ausnahmen keine Arbeitsweise hervorgegangen, die Auftragswerke, wie “Kunst-am-Bau“ oder ähnliches, gezeitigt hätten. Dazu blieben meine Werke vielleicht zu ephemer (®Bildhauerei/ Monument). Einen Teil dieser Untersuchungen der ®Zusammenarbeit habe ich mit Künstlerkollegen unter dem Namen BÜRO BERLIN bis 1983 entwickelt (siehe hierzu

Büro Berlin Ein Produktionsbegriff, Berlin 1986, auch digital publiziert unter http://www.quobo.de/Quobo/seitendeutsch/archiv/archiv80er/80bueroberlin.html und unter quobo.de auch in englisch abrufbar). Die so entstandenen Werke waren temporär, und nicht zuletzt deshalb entstand der Bedarf nach der ®Dokumentation des Geschaffenen. Schon 1979 schaffte ich eine Mamiya RB 67- Kamera an, mit der ich noch heute meine Bilder mache. Ich habe alle Situationen künstlerischer Intervention wie auch konventionelle Ausstellungsansichten über nunmehr 25 Jahre dokumentiert. Auch Werkaufnahmen im Atelier sind regelmäßig ausgeführt worden. Es ist so ein umfangreiches Photoarchiv entstanden, daß mich in der Dokumentation meiner Arbeit bis heute weitestgehend unabhängig von anderen Photographen macht, um den Preis einer nicht unaufwendigen Verwaltung - das muß hier einmal eingestanden werden. Die sich ansammelnden Photodokumente haben darüber hinaus geholfen, in der zweiten Hälfte der

80er Jahre neue Werke zu schaffen, welche die Photos zum Teil in dreidimensionale Objekte übersetzten und mitunter eine vergangene Situation gleichsam wieder zum Leben erweckten. In dieser Zeit war die Überprüfung des Realismus der Photographie ein zentrales Anliegen. Identität und Unterschied von Gegenständen und ihrem photographierten Abbild waren in teilweise komplexen Ausstellungsszenen erfahrbar gemacht worden. Zu Beginn der

90er Jahre hatte die Untersuchung von Realismus die eigenen umgebende Lebenswelt so weit in die Bilder eindringen lassen, daß ich sie nun zunehmend autobiographisch interpretierte und ausrichtete. In diesen Zusammenhang sind die eigenen Schriften, die in der Bibliothek der Akademie einsehbar sind, zu verstehen:

PANORAMA Hermann Pitz MCMXCI (Rotterdam/ Münster 1991) ist ein Arbeitsbericht in den fünf Kapiteln Architektur, Zusammenarbeit, Außenarbeiten, Photographie und Selbstreflexion, also in den Kategorien, in denen sich die Arbeit bis zu jenem Zeitpunkt entwickelt hatte.

Bücher und Werke/ Libros y obras (Valencià 1994) stellt den eigenen Werdegang und die Ausbildung von eigenen Interessen anhand einer kompletten Liste meiner Bibliothek dar.

Orte, Ereignisse/ Éieux Evénements (Stuttgart/ Brüssel 1995) bestand aus einer monumentalen Weltkarte, in die die Orte aller damals bereits ca. 140 Ausstellungen und Veröffentlichungen eingetragen räumlich vorgeführt wurden.

Licht aus Bozen/ Werkzeuge aus Düsseldorf (Friedrichshafen 2003) beleuchtet das Denken mit der ®Hand durch die akribische Auflistung der von mir je im Atelier verwendeten Geräte. In den späteren

90er Jahren schließlich wandte sich die Arbeitsrichtung schrittweise wieder von meiner eigenen Person ab und befasste sich mit allgemeinen Aspekten der Wahrnehmung, der Spekulation über das Geschehen im Augenball selbst zu, gleichsam mit den primären Mitteln der Wahrnehmung selbst. Installationen funktionieren entweder als Zusammenklang von Photos oder von gefundenen Objekten (Möbel aus dem Düsseldorfer Sperrmüll u.ä.) und ihnen zugefügten Objekten aus meiner eigenen Produktion (von winzigen Papierobjekten bis hin zu plastischen Formen, etwa Betongüssen oder Kunstharzgüssen). In der Zeit seit

2000 tritt neben optischem auch zunehmend reprographisches und technisches Gerät. Was die gefundenen Objekte betrifft, so fallen diese mir auch durch andere Menschen, die etwas von meiner Arbeit wissen, die großen Photoapparate und Reprokameras zu. Hier spielt der Zufall also eine wesentliche Rolle: wenn Gegenstand x mir nicht zugefallen wäre, dann hätte ich wohl Gegenstand y genommen (®Hand). Das änderte zugegebenermaßen den Erscheinungscharakter des Werks, aber damit arbeite ich bewusst, und ich fühle mich darin sehr nah an dem bien fait, mal fait, pas fait eines Robert Filliou, den ich wegen seiner meditativen Grundhaltung zum künstlerischen Werkprozess und zum Material um ihn herum seit langem schon bewundert habe.

Teile von Installationen habe ich in Galerien als autonome Artefakte ausstellen können, und hin und wieder ist aus diesen Ausstellungen etwas verkauft worden. Prinzipiell lasse ich die Werke nur eine begrenzte Zeit bei den Galerien in Kommission, so daß diese Artefakte an mich zurückkommen, wenn sie sich als nicht verkäuflich erweisen, und dann können sie zurück im Atelier durchaus einer weiteren Modifikation unterliegen. Praktisch heißt das für mich, daß ich die Objekte und Artefakte wieder in den Arbeitsprozess meiner Atelierpraxis einfließen lasse. Sie behalten ihren Charakter als Teil des Bildsystems, an dem ich arbeite.

Im weiteren Verlauf gibt es zwei Vorgehensweisen: entweder ich zerlege die Objekte, zersäge sie im wörtlichen Sinn, was ich selbst aber allenfalls als einen schmerzhaften, im Grunde jedoch konstruktiven Vorgang sehen will, und ich mache zwei Teile daraus, oder ich schmeiße einen Teil weg und füge dem anderen etwas Neues hinzu. Das zielt auf eine Verdeutlichung meiner Bildsprache ab, oder, um mit Lucio Fontana zu sprechen: Fontana selbst war der Auffassung, daß zur Klärung seines Konzepts der einmalige Akt der Zerschneidung oder Durchlöcherung des Bildträgers genügt hätte. "Alles andere, die unterschiedlichen Anordnungen der Schnitte oder Löcher sind Variationen für das Publikum. Sie sind ästhetische Erläuterung". (in Kat. Lucio Fontana, München 1984, S. 118)

Auf den Kunstmarkt bezogen, könnte man sagen, daß mit der Veränderung eines Relikts aus einer früheren Ausstellung ohne Verkaufresultat der Versuch unternommen wird, das Artefakt besser verkäuflich zu machen. Man sieht aber spätestens dann, wenn die Objekte von der folgenden Ausstellung oder nach längerer Zeit im ®Lager bei den Galerien zurückkommen, daß das nicht gelungen ist. Die Anforderungen der Entwicklung meines Bildsystems sind in diesen Fällen nicht kongruent mit den Bedürfnissen und Erwartungen des Markts. Hierzu kommt ein Zitat von Ad Reinhardt in den Sinn: This painting is priceless, has no price tags, has no markets, no buyers, no sellers, no dealers, no collectors, with few exceptions.

Die andere Vorgehensweise nach der Rückkehr der Objekte ist, daß ich zunächst gar nichts daran mache, sondern sie nur im Lager behalte und sie (manchmal nach Jahren) wieder in Umlauf bringe, in der Hoffnung, daß der Markt sich weiter gebildet hat und sie dann eher aufnimmt.

Die gelagerten Artefakte erlauben mir zugleich, flexibel auf Einladungen zu Ausstellungen zu reagieren. Während ich zu Beginn meiner Karriere für alle Veröffentlichungen jeweils Neues fertigte, kann ich nun auch kurzfristig Ausstellungsteilnahmen zusagen, und Werke einsenden, ohne selbst reisen zu müssen. Das bedeutet, daß ich eine weiter reichende Präsenz aufgrund der gelagerten Werke habe, als in meinen beruflichen Anfängen.

Der weitaus größere Teil der heute circa 200 Ausstellungen in 25 Jahren zeitigte keine Verkäufe; das liegt zum einen an den Materialien, die ich verwende und die überwiegend konservatorisch bedenklich sind, das heißt: nicht bleibend oder zu fragil für öffentliche Sammlungen sind, zum anderen liegt es daran, daß ein Käufer nicht nur das Werk erwirbt, sondern hin und wieder auch die Auflage, dafür einen eigenen Raum zur Verfügung zu stellen.

Das aus Handel und Ausstellung zurücklaufende Material hat für mich allerdings einen hohen ideellen Wert - auch im Hinblick auf meine Lebens- und Arbeitszeit, die damit verbunden ist. Ich arbeite ohne Assistenz in einer Art Ein-Personen-Betrieb mit beschränkten handwerklichen Fähigkeiten an den Komponenten meiner Bildsprache unter großem Zeitaufwand. Das mich umgebende Arbeitmaterial hat dabei vergleichbar meinem Fotoarchiv Speichercharakter meiner Lebensenergie - und es ist Inspiration zu meiner weiteren Arbeit. Diesen hohen ideellen Wert und die Möglichkeit, Dinge weiter zu bearbeiten stelle ich manchmal deshalb über die Marktanfrage. Der Arbeitsprozess der Umformung im Atelier wird also praktisch nur durch die Kaufentscheidung von außen unterbrochen. Ein Sammler, der etwa ein Tischobjekt aus meiner Produktion gekauft hat, wäre wohl nicht damit einverstanden, wenn ich später erschiene und etwas davon absägen wollte. Das bedeutet aber auch, daß die definitiven Werke eigentlich nur jene sind, für die ein gewisser Preis gezahlt wurde und die nicht mehr in meinem Besitz sind. Eine Sammlung eigner Werke besteht zwar, aber sie ist nicht sehr umfangreich." (bisher unveröffentlichter Text aus dem Jahr 1997)

Künstler, studierende Sind Studenten auch noch keine Künstler (®Studierende der Kunst), so hören Absolventen der Akademie als beginnende Künstler nicht auf zu studieren. Ad Reinhardt bezeichnet den langen Prozess des Künstlerwerdens als getting rid of everything, also auch des an der Akademie Erlernten, bis sozusagen nur noch Kunst übrigbleibt. So ein sich möglicherweise über Jahre erstreckender Prozess setzt fortgesetzte Studien voraus, für die dem Künstler allerdings häufig weniger Zeit als für den Studenten zur Verfügung steht, und für die außerhalb der Akademie kaum Verständnis aufgebracht wird. Studierende Künstler werden in der Kunstwelt nicht ohne Herabminderung Künstler für Künstler genannt. Das heißt, sie finden eigentlich nur in Künstlerkreisen Anerkennung und bei einigen der seltenen Vermittlern, die auf das Urteil von Künstlern hören. Das ist in der heute landläufigen Vorstellung von einer Karriere in der Kunstwelt natürlich ein Mangel, aber diese Haltung hat den Vorzug, die Belange der Kunst tatsächlich einen Schritt weiter zu bringen.

Kunstwelt Die K. umfasst alle Stellen, an denen Kunst erscheint. Das Kunstwerk legt seinen Lebensweg in der K. zurück. Außerhalb der K. existiert es nicht. Die Geburt ist im ®Atelier und der Lebensabend im Museum. Dazwischen können allerlei Stationen vorkommen, die nicht immer dem Ideal der Autonomie der ®Kunst entsprechen: Erste Begegnungen mit der Kunst waren vielleicht schon am Gymnasium möglich, dann kommen die Klassen und Jahresausstellungen der Kunstakademie als erste Bühnen, dann auch alternative Kunstzentren (®alternative space), die für manche Künstler sogar Anlass sind, einen neuen Platz in der K. zu gründen.

Das eigene Atelier wird eröffnet, dann folge ein erster Auftritt in einer "jungen" Galerie, und damit verbunden ist vielleicht eine kleine Nennungen in einer Kunstzeitschrift. Ein Förderpreis oder Stipendium kann schon einmal dabei ein. Dann gibt es Beteiligungen an Ausstellungen mit Titeln wie young emerging artists, vielleicht auch schon die Einladung zu einer der vielen Biennalen, die ständig irgendwo auf der Welt stattfinden und so manchem Curator ernähren, mit schließlich Venedig an der Spitze, dem nur noch die documenta und (allerdings exklusiv für U.S.-Künstler) die Witney-Biennial Paroli bieten.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt der Karriere in der K. drängt sich der ® Öffentliche Raum auf, und es kommen Beteiligungen an entsprechenden Wettbewerben hinzu. Auch wichtigere Kunstsammler treten endlich auf, die sich in den letzten Jahren zu den finalen Kunstrichtern entwickeln. Es gibt nun auch Teilnahmen an Themenausstellungen in Kunstvereinen und Kunsthallen und Solopräsentationen in Galerien, die wichtig sind, was heißt, daß sie das Landschaftsbild der K. nachdrücklich formen.

Das Ganze passiert nicht zuletzt in Synergie mit den Exponenten der Kunstkritik. Es ist ein System hochentwickelter Arbeitsteilung (® Forschung). Wie komplex die Diskussion in der K. verlaufen kann, sieht man gut am Beispiel des Begriffs ® Installation. Auch heute werden neue Begriffe in der K. verhandelt, aber erst der kunsthistorische Rückblick wird einmal im zeitlichen Abstand hier Deutlichkeit verschaffen.

So entsteht jetzt im virtuellen Raum eine gewaltige neue Oberfläche der K. für die Bilder der Künstler, die hier aber im Wettstreit mit anderen Bildermachern von Infotainment und Werbung liegen (®Bildhauerei/ Fiktion). Was daraus wird, wissen wir heute noch nicht. Alle Gestalter der K. drängen heutzutage in den virtuellen Raum, wo sie als “Kulturelle Arbeiter” sich zum ersten Mal gestaltend betätigen und sich mit Künstlern gleichstellen, indem sie ihre Web-Auftritte visualisieren. Inzwischen stellen gestandenen Ausstellungsmacher ihre Agenda sogar in Kunstmuseen als Kunstwerk aus. Es ist noch nicht deutlich, wie die Künstler sich hier ihre Eigenheiten und ein Berufsbild bewahren können. Dies ist ein Untersuchungsgegenstand in der Klasse Pitz.

Der französische Künstler Jean-Marc Bustamante sagte einmal, die K. sei tribal, also stammesgeschichtlich strukturiert. Einmal einem Stamme zugehörig, gäbe es keinen Weg zurück oder hinüber zu einem anderen Stamm mehr. Die K. ist also eine von allerlei tribalen Sitten und Gebräuchen (® Vernissage) geprägte, lokal identifizierbare, übersichtliche Gesellschaft, die aber global agiert. Marktwirtschaftlich handelt es sich um eine diffizile Konstruktion, da nicht nur das Angebot die Nachfrage bei weitem übertrifft, sondern auch, weil die Qualitätsnormen für Aktuelles noch schwankend sind, und die teilweise astronomischen Preisausschläge nicht oder nur mittelbar an der Qualität des Werks orientiert sind. So kommt es regelmäßig zu Trendschwankungen, Preiseinbrüchen, Panikverkäufen, Über- und Unterbewertungen der verhandelten Ware. Das geschieht so offensichtlich, daß es dem großen Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann eigens auch heute noch lesenswerte Studien wert war. (Gespräch über die K. zwischen Hans-Dieter Huber und Luhmann am 13.12.90 in Bielefeld, veröffentlicht in: Texte zur Kunst, Vol. I, Köln 1991, No.4 , S. 121-133, oder http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/huber/aufsaetze/luhmann.html).

In der K. sichtbar zu sein, ist für die Künstler wichtig, um den Beruf ausüben zu können. Hier mag eine Maxime von Ad Reinhardt hilfreich sein, die er allerdings zu Lebzeiten nicht veröffentlicht hat. Darüber nachdenkend, was ein Künstler in der K. eigentlich sei, notierte er: Artist - one whose career always begins tomorrow - a man who won‘t prostitute his art, except for money.

L

Lager Das L. für Kunstwerke ist die Schwester der ®Dokumentation. Michelangelo Pistoletto, ein an Nachfrage nach seinem Werk nicht armer Künstler, sagte einmal, das Leben der Werke bestehe zum größten Teil aus der Wartezeit in Kisten und Verpackungen. Es ist in der Tat so, daß öffentliche Sammlungen nur einen kleinen Prozentteil Ihrer Bestände zeigen. Alles andere verbleibt im Dunkeln des L. oder von Privatsammlungen.

Wenn man Pistolettos Beobachtung global betrachtet, dann erscheinen die Kunstwerke für kurze Momente als eine Art von Lichtimpulse gewöhnlich an genau den Stellen des Erdballs, wo auch sonst das meiste Kunstlicht vorkommt, also in den Zentren kaufmännischen, früher hätte man gesagt, bürgerlichen Lebens.

Für die Studierenden der Bildhauerei stellt sich bei ihren ®Studien auch immer die Frage der Lagerung und des Abbaus einer Arbeit. Wie kommt ein Werk weg von der Stelle, an der es gezeigt wurde? Wie wird es zerlegt? Welches Teil wird gelagert, welches wird bewahrt und was wird bei Bedarf zukünftig nachgebaut? Was mit der misslungenen ®Studie anfangen? Solche Dinge verfolgen den Urheber wie Albträume den Schläfer.

Es ist bezeichnend für unsere Kultur, daß wir in der Architektur zum Beispiel recyclingfähige Häuser entwickeln, deren Standzeit begrenzt ist. Unsere Kultur wird zunehmend eine, die keine bleibenden Spuren hinterlassen wird, außer in neuen Produkten aus wiedergewonnen Stoffen. In der Kunst ist das Konzept der temporär an ein Werk gebundenen Materie (®Bildhauerei/ Material) in all seinen Konsequenzen noch nicht ganz deutlich, und zur Klärung dieser Fragen werden in der Klasse Pitz aktuelle Untersuchungen am Original angestellt. Wer wird welche Last des Machens noch auf sich nehmen wollen, wenn es auch ohne materielle Ewigkeit zu gehen scheint?

M

Mappe Die M. ist die hülle, der steife einschlag für die landkarten; ... auch von einem groszen bogen papier, für packen und einwickeln verwendet, ... und für concepte: mappe, charta delititia, davon man das geschriebene wieder ablesen kann. Andere Deutungen beziehen sich auf mappa mundi, also auf eine skizze der lage sämmtlicher damals bekannter erdtheile. (vergleiche: englisch map.) Die M. enthält die Übungen, die ein Studienbewerber vorlegt, um den ihm bekannten Horizont der Kunst und seine Intentionen zur Entdeckung noch unbekannter Kunstgebiete zu belegen. Nach dem Studium sollte so eine M. allerdings überflüssig sein, denn die Erkundigungen sollten genügend künstlerisches Wissen erbracht haben, daß man dann eine ®Dokumentation der Arbeit anstelle einer M. hätte.

Neben den allgemeinen Zulassungskriterien für die Akademie sind für die Klasse Pitz spezielle Zulassungsvoraussetzungen gegeben, und diese sind allein in der M. des Bewerbers einsichtig und können deshalb hier nicht allgemein verbindlich mitgeteilt werden.

der schüler geht mit seiner mappe in die schule, das mädchen trägt ihre mappe in die musikstunde. Da hat sich inzwischen etwas verändert: heute ist der Anteil der Studentinnen in der Klasse Pitz größer als der der Studenten. Wenn in diesem Text nicht politisch korrekt von “StudentInnen” gesprochen wird, dann hat das allein ästhetische Gründe, die, wie auch für die Beibehaltung der alten Rechtschreibung, subjektive meine Entscheidung ist.

Die Kandidatin oder der Kandidat für die Klasse Pitz trägt ihre/ seine M. zum Professor; gemeinsam schauen wir uns die M. an und reden über den Inhalt und die Vorgeschichte der M. Dabei geht weniger um die Bravour in der Ausführung, als um das Aufspüren von Talent zur Bricolage (®Hand). Das schließt aber handwerklich vorgeschulte Kandidaten keineswegs aus. Es geht aber nicht um die Suche nach dem fertigen Kunstwerk, denn wäre dies bereits in der M. enthalten, entfiele der Anlaß zum Studium. Die Ansicht einer M. ist die Beratung eines Kandidaten. Und es geht darum, wie der Kandidat sich zum Inhalt und den ® Motiven der M. erklärt, und sei dies auch nur stammelnd. Auch später als Künstler brauchen sie nicht rhetorisch zu brillieren. Das machen Leute in andere Berufen besser - die Schriftsteller beispielsweise. Ich lausche manchmal lieber dem Schweigen eines Bildhauers als der Rede eines Dichters. Es muß aber erst später gelingen, im Schweigen zu sprechen, was ein profundes künstlerisches Werk voraussetzt.

Meisterschüler ist der Titel, den ich selbst am 19. Februar 1980 an der Berliner Hochschule der Künste als dort damals einzig möglichen Abschluß des Studiums der Freien Kunst erworben habe. Den Titel hätte man heute in der Münchner Akademie der Bildenden Künste eigentlich nicht mehr nötig, weil er irgendwann einmal durch das Diplom nach dem Vorbild der Innenarchitekten ersetzt wurde. Er hat allerdings noch eine ihn unterscheidende Berechtigung: wird das ®Diplom als allgemeiner professoraler Segen durch das gesamte Kollegium kollektiv vergeben, so wird der M.-Titel bei individueller Willkür des einzelnen Professors zuerkannt.

Ich kann gestehen, daß diese Titelvergabe für mich zu Anfang die schwierigste Aufgabe meines Amtes war, da ich hier keine Maßstäbe außerhalb meiner eigenen Wahrnehmung hatte. Es ist mir darüber hinaus noch immer undeutlich, welche Vorteil die M. im weiteren Werdegang eigentlich haben. Der M. ist nur für solche Studenten der Klasse Pitz ein sinnvoller Titel, denen (eine künstlerische Leistung vorausgesetzt) wegen ihres ®Curriculums der Erwerb des Diploms nicht möglich ist.

Motiv hat in der Kunst gleich zwei Bedeutungen; denn es ist M. und Motivation zugleich. Der Begriff ist zuerst über die Musik in die Kunstdiskussion geraten: M. ist die kleinste selbstständige Einheit eines musikalischen Gedankens. Als M. kann ein einziger Ton genügen; in der Regel wird es aber mindestens zwei Tönen bestehen. Themen entstehen durch Widerholung desselben M. oder durch Aneinanderreihung verschiedener M. (Brockhaus Enzyklopädie 1908).

Motiv 1 ist das M., das im Werk dargestellt wird. In der Filmausstattung spricht man übrigens auch vom M. als Drehort. Das M. “Alte Villa” kann zum Beispiel in jedem Gebäude gedreht werden, das wie eine alte Villa aussieht, oder in jedem anderen Studio, das zur Villa umgebaut werden kann. Man erkennt dann später im Film die Alte Villa als Ort der Handlung, auch wenn diese eigentlich woanders aufgenommen wurde. Das in Bildern dargestellte M. ist auf ähnliche Weise erkennbar. Entweder es ist abstrakt, das heißt: es wird sich nicht mit realen Orten oder Ereignissen assoziieren und in diesem Fall beispielsweise eine freie Komposition innerhalb der Grenzen des gewählten Mediums zeigen, oder es ruft begriffliche Bedeutungen auf, die im Bild selbst verborgen liegen. Diese Bedeutungen sind erkennbare Orte, Symbole oder Metaphern, die für etwas anderes und damit also für das eigentliche Thema des Werks stehen. Auch erkennbare Handlungen eines historischen Moments sind denkbar oder Menschen und andere Lebewesen, die im Bild erscheinen. Bilder ohne M. zu machen, scheint fast unmöglich, und solche Bilder sind wahrscheinlich auch allgemein nicht das Ziel von Künstlern, with few exceptions (bis auf wenige Ausnahmen).

Motiv 2 ist das M., aus dem heraus der Künstler überhaupt handelt, also ein Bild macht. Es ist die Motivation oder der Beweggrund, aus dem heraus ein Bild entsteht. Das M.2 kann psychologisch motiviert sein, man denke hier an Sigmund Freuds Sublimationstheorie, also, daß man etwas machte, um einen Mangel woanders auszugleichen, es kann auch um ein religiöses oder anderes tiefgeistiges M. gehen, das Quell ist für die immense Energie, die nötig ist, um das Bild überhaupt zu machen. Die Brockhaus Enzyklopädie von 1908 gibt hier auch etwas schwer Verständliches her: Motivation heißt daher in der Kunstsprache die Begründung der dargestellten Begebenheit, Handlung oder Stimmung durch die innere Natur des Darstellungsgegenstandes, die Vorbereitung der einen Situation und Charaktereigentümlichkeit durch eine vorangehende andere.

M.1 und M.2 sind fast nie identisch. Man erkennt also im Bild, dessen M.1 man ablesen kann, selten die Motivation M.2 des Urhebers. Wenn M.1 und M.2 doch einmal identisch sind, dann ist das Werk allerdings meistens langweilig. Es ruft nur ein “Ach so” beim sich dann schon abwendenden Betrachter hervor. Wenn M.1 und M.2 nicht identisch sind, gibt das zu allerlei Rätseln Anlaß, die den Betrachter länger beschäftigen, und dies müßte wohl im Interesse des Künstlers liegen (® Kunst 2).

In der Klasse Pitz steht das M.1 im Vordergrund und das M.2 tritt zurück. Alles was M.1 betrifft, läßt sich trefflich analysieren und oft verbessern (® Evaluation). Alles was M.2 betrifft, wird im Gespräch irgendwann privat und hat mit Befindlichkeiten des Urhebers zu tun, zum Beispiel mit theologischen Überzeugungen, die sich nicht mehr in der Klasse, sondern nur noch über persönliche Freundschaften erörtern lassen.

Wenn M.2 hier zu kurz zu kommen scheint, dann heißt das nicht, das diese Beweggründe unwichtig seien. Im Gegenteil, sie sind extrem wichtig und wohl Voraussetzung, um überhaupt ein künstlerisches Oeuvre aufzubauen, aber sie können im Klassengespräch nur sehr selten weitergebracht werden. M.2 ist also möglicherweise beim ® Studienbeginn nicht kleiner, als nach dem Diplom. Wenn M.2 zu Beginn schon schwach ausgeprägt war, dann wird es sich auch nach dem Diplom möglicherweise nicht weiter entwickelt haben.

O

Öffentlicher Raum ist der zentrale Begriff für Bildhauer, wenn sie ihr Werk außerhalb des Museums zeigen wollen. Monumentale Arbeiten kommen eigentlich nur im Ö.R. unter (® Bildhauerei/ Monument). Trotzdem zieren sich auf Autonomie bedachte Bildhauer bei dem Begriff “Kunst im Ö.R.”, weil ihre Leistungen in diesem Kontext eben minder frei und mehr Dienstleistungen sind. Das verletzt das Künstlerego.

Der Ö.R. ist immer von politischen Entwicklungen (® alternative space) bestimmt und wird oft von kommerziellen Interessen geprägt. Um sich als Künstler hier durchzusetzen, muß gewöhnlich eine Jury überzeugt werden und danach oft auch die jeweiligen Vertreter der Nutzer des Ö.R., die naturgemäß nicht alle Kunstexperten sind. Oft haben diese Instanzen aber schon in der Ausschreibung eines Wettbewerbs so klare Vorstellungen geäußert, daß es in der Tat für den Künstler fast unmöglich ist, seine Idee geradewegs realisieren zu können. Der Künstler muß auf diese Vorstellungen eingehen und die jeweils regional variierenden Regeln des Ö.R. anerkennen, um hier zum Erfolg zu kommen. Sein ursprüngliches ® Motiv in diesem Kontext beizubehalten, ist noch schwerer als in den anderen Instituten der ® Kunstwelt. Besonders gelungene Kunst im Ö.R. sind solche Werke, die ihre unvermeidlichen Kompromisse nicht verbergen, sondern sie in formal in ihre Bildsprache einfügen.

öffentlich/ privat Dieser Gegensatz besteht für Künstler nicht so deutlich wie für andere bürgerliche Berufe, wo Partikularinteressen als Hobbys in die Freizeit verschoben werden können. Künstler sein ist ein Seven-twenty-four-Geschäft, und man kann davon eigentlich keinen Urlaub nehmen, da auch auf der Skipiste dem Studierenden der Kunst sein ®Projekt in den Sinn kommen kann.

In der Kunstwelt werden häufig Rollen angenommen, die mehr ö. sind, als p. Das ist als veröffentlichte ®Performance dem Künstler als Privatperson oft peinlich (®Bibliothek). Die Kunstwelt stellt so gesehen der Künstlerpersönlichkeit gegenüber eine gewisse Bedrohung dar. Der belgische Bildhauer Jan Vercruysse wies zurecht einmal darauf hin, daß alle Künstler, selbst die berühmtesten, im Moment der Veröffentlichung neuer Arbeiten verletzbar sind. In diesem Moment bekennen sie sich öffentlich (®Professor) zu ihrem Werk, und sie wissen nicht, ob das darin freigelegte ® Motiv überhaupt von öffentlichem Interesse ist. Sie wenden sich in dieser Notlage zuerst an den Künstlerkollegen als den für sie wichtigsten Teil des Publikums, und dessen Kritik kann sie am meisten vernichten. Andere Exponenten der Kunstwelt sprechen immer aus ihrer jeweiligen Interessenlage, die für Künstler leicht zu relativieren ist und darum beispielsweise als Kunstkritik nicht so schwer wiegen muß.

Privat (lat.) privatus heißt übrigens nichts anderes als “der Öffentlichkeit entzogen“, separato dallo Stato, proprio di una sola persona, particolare (Pianigiani Vocabolario etimologico). Für den Künstler stellt sich also stets von Neuem die Frage: Was will ich der Öffentlichkeit weiterhin entziehen und damit vorenthalten, was will ich sehen lassen? Die Grenze zwischen ö. und p. bleibt fließend. Das gilt auch für die Klasse Pitz, die mal private Eremitage ist, mal öffentliches Podium, je nach Bedarf der Klassenmitglieder.

P

“Probewand” ist ein Begriff, den die Studentenschaft der Akademie aus dem offiziellen "Probezeit nach zwei Semestern" gebildet hat. Die Begriffsverunstaltung zeugt davon, daß diese Zwischenprüfung mit ersten praktischen Ergebnissen der Studienzeit wenig Bedeutung im studentischen Geschehen hat, was schade ist; denn sie ist der letzte Ausstieg aus diesem Studium vor dem Diplom, und wer sie leichtfertig übergeht, wird vielleicht erst Jahre später und manchmal zu spät wach, wenn er begreift, daß ® Künstler als Freier Beruf doch vielleicht nicht das richtige Ausbildungsziel war. Vielleicht ist der Begriff gar nicht verunstaltet und leitet sich nur aus der Stellwand ab, an die die Zweitsemester ihre Arbeitproben pinnten, wenn in der Klasse gerade keine Wandfläche frei war. Die “Probezeit nach zwei Semestern” ist die einzige ernste Prüfung des Akademiestudenten der Freien Kunst, da hier Sanktionen möglich sind (Wiederholung der Prüfung nach einem Semester oder sogar Ausschluß von Studium).

Professor bedeutet (lat.) professor, ein öffentlicher lehrer an einer höheren schule, ein öffentlicher lehrer etwa einer freien kunst. Hier ein markantes, schon altes Textbeispiel: mich bedunkt, der professoren sygen vill zvill, dan iren sind oft schier mer den studenten. Wie viele P. eine Akademie braucht, ist undeutlich. In den Zeiten von Einsparungen wird diese offensichtlich uralte Frage wieder aktuell. Es sollten aber in jedem Fall möglichst so viele sein, daß die heutigen Denkströmungen in der Kunst gegensätzlich in den unterschiedlichen Klassen anwesend sind.

Wenn man der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes nachgeht, dann fällt auf, daß Künstler eigentlich gar nicht zum P. berufen werden müssten, da sie bereits wesentliche Aspekte des Wortes in sich tragen: proveniente da lat. profèssus, participio passato di profitèri = dichiarare publicamente bedeutet das: (sich) öffentlich bekennen (Pianigiani Vocabolario etimologico). Das Hervortreten mit der Arbeit ist an sich ein öffentliches Bekenntnis, mit dem man sich übrigens nicht immer beliebt macht (®öffentlich/ privat). Die eigentliche mit der Berufung sich einstellende Veränderung in der künstlerischen Praxis ist aber, daß man nun als. P. in einem Institut funktioniert, und sein Arbeitsplatz in die Akademie verlegt.

Zu fragmentarisch ist welt und leben,

Ich will mich zum deutschen professor begeben,

Der weisz das leben zusammen zu setzen,

Und er macht ein verständlich system daraus.

(H. Heine Buch der Lieder). Gemäß Heines Versen verwundert es nicht, daß man sich in der Klasse Pitz siezt. Das Duzen eines P. stände im Wiederspruch zum möglicherweise vertrauensvollen, aber im Sinne des Wissenstransfers über Generationen (®Akademie) leicht distanzierten, nicht rein kollegialen Verhältnisses von Student und P. Heines Vers macht in der ihm eigenen feinen Ironie auch deutlich, warum es den Studenten nicht immer leicht fällt, dem P. zu widersprechen. Dem liegt mal ein tatsächlicher Wissensvorsprung zugrunde, mal die hierarchische Ordnung der Akademie.

All dies aber gilt nur in der Akademie. Der Sommer 2005 hat uns gezeigt, wie in der rauhen Wirklichkeit ein “P. aus Heidelberg” sogar vom Bundeskanzler diffamiert wird. Prof. Kirchhof war als finanzpolitischer Experte und Wirtschaftwissenschaftler angetreten und im Wahlkampf gescheitert. Kirchhof im Rückblick: “Wie soll sich ein Wissenschaftler im Wahlkampf verhalten, der alles, was er denkt veröffentlicht hat? Und wie geht er mit Fehlinformationen um?” Kirchhof glaubt, daß ein Wissenschaftler im Wahlkampf nicht wie ein Politiker reden müsse. “Hier reden, dort schweigen, mehr die Sonnenseiten hervorkehren als den Schatten”, das gehe nicht. Der Wissenschaftler könne dieses Spiel nicht mitspielen, weil er von seiner Zunft auf Transparenz angelegt sei. (FAZ 23. September 2005) Wenn ein P. den Freiraum der Akademie und deren Transparenz verläßt, ist er in der Gersellschaft kaum mehr wert, als ein Freier Künstler, und beide würden in der Politik scheitern, wenn sie die dafür nötigen Talente und Instinkte nicht von anderswo mitbrächten.

Man sollte darüber hinaus nicht vergessen, daß in der Kunst im scheinbaren Gegensatz zur Wissenschaft niemand Recht hat, also auch der P. nicht. John Cage sagte einmal, es ginge in der Kunst um einen Wettstreit, in dem niemand gewinnt. In diesem Sinn ist Hermann Pitz als P. Mitglied der ®Klasse Pitz.

Professorin Hier wartet Grimm’s Deutsches Wörterbuch's Wörterbuch mit einer Besonderheit auf, die ausgerechnet vom Verfechter der Emanzipation, Lessing, vorgetragen wurde: die frau eines professors; die frau professorin (nun auch die frau professor). Wenn man die noch nicht lange zurückliegende Geschichte dieser Anrede betrachtet, dann wird vielleicht deutlich, warum wir nicht mehr weibliche Dozenten haben. Professoren und Künstler waren bis vor kurzem ausschließlich Männer. Genies (®Hand) wären auch heute noch ausschließlich Männer, gäbe es sie überhaupt in unserer Branche noch, in einem Zeitalter, wo von cultural labour gesprochen wird, und Künstler kaum von anderen Kulturschaffenden wie Kuratoren unterschieden werden können.

daß die Gattin den akademischen Titel des Gemahls annahm, paßt übrigens ganz gut zur Kunstgeschichte, in der Künstlerinnen ja oft als Frauen hinter ihren berühmten Männern zurücktraten - ja, nicht selten deren Berühmtheit überhaupt ermöglichten. Undeutlich bleibt die Antwort auf die Frage, wie Lessing heute den nicht akademischen Gatten eines weiblichen Professors angeredet hätte.

In den U.S.A. hat sich eine eigene gender theory um die Frage gebildet, wie die Unterhaltung einer maskulinen oder femininen Identität in der Kultur allgemein funktioniert. Die Theorie ging aus Frauenstudien hervor mit der wachsenden Überzeugung, daß sehr wohl Sex, nicht aber das Geschlecht mit der Biologie verbunden sind. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Aspekten Bildung/ Erziehung und Marginalisierung der geschlechtlichen Identitäten. (Artwords von Patin und McLerran). Die Klasse Pitz bietet für diese Fragen die Möglichkeit zu Untersuchungen. Es ist in diesem Bereich noch einiges an Forschung zu leisten, und es gibt für die nächste Generation von Künstlerinnen und Künstlern noch bedeutende Aufgaben, um die Idee von Chancengleichheit im Beruf weiter auszubilden.

Projekt bedeutet Plan, Entwurf, Vorhaben und Absicht und ist deshalb ein unverbindlicher Begriff für Intentionen, die noch nicht an Fakten gebunden sind. Das P. ist aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb in allen Zonen der Kunstwelt gern und unvermeidlich genannt. Der damit verwandte Begriff Projektion bedeutete früher Entwurf, Darstellung und Versuch., später auch Abbildung räumlicher Körper auf eine Fläche, (lat. proiectio). Im 19. Jahrhundert kam hinzu: Vergrößerte Wiedergabe durchsichtiger und undurchsichtiger Bilder auf eine helle Fläche mit Hilfe eines Bildwerfers. In der Klasse Pitz muß es darum gehen, die im P. der Studierenden angestrebte Realität so deutlich wie möglich zu benennen. Schließlich sollen alle P. in Werke verwandelt sein, oder, wenn das nicht möglich ist, so weit angelegt sein, daß diese in Zukunft entstehen können. Die Schwierigkeit im Umgang mit dem P. hat Voltaire schon beobachtet: Le matin je fais des projets et le long du jour des sottises.

S

Selbstorganisation war in den 80er Jahren ein eher negativ behafteter Begriff, da er der Kunstwelt damals scheinbar unnötige Alternativen gegenüberstellen wollte zu einer Zeit, da die „guten“ Künstler die Knete direkt vom Kunstmarkt als „Heftige Maler“ abgriffen. Damals war die S. als Alternative eigentlich die Kunst jener Verlierer, die es scheinbar auf dem Markt nicht brachten. S. war darüber hinaus in den 80er Jahren unmodern, weil sie Ideale, zum Beispiel die der 1972 bereits aufgelösten Situationistischen Internationale, aufnimmt.

Die Situationistische Internationale hatte seit ihrer Gründung 1957 als politische Bewegung mit dem Ziel einer „generellen Selbstverwaltung der Gesellschaft“ sich zwar mit der „Aufhebung der Kunst“ befasst, sich aber zeitweise auch mit bereits international orientierten, radikalen Künstlern jener Zeit assoziiert, um in eine wirkliche Internationale überzugehen. Es gab aber ein Risiko der Regression, da das Zusammengehen (für die politische Situationistische Internationale), bedeutete, sich in eine minoritäre Position zu begeben gegenüber der zahlenmäßigen Dominanz der Maler, deren Verbindung mit dem Kunsthandel als unauflöslich erschien. Die proklamierte Aufhebung der Kunst sollte anfänglich wie folgt vonstatten gehen: Hierfür wurden künstlerische Mittel in theoretischer und experimenteller Praxis überprüft im Hinblick auf ihre Eignung für die Kritik des Alltagslebens und die Konstruktion von Situationen. Dabei kam es zur Gründung einer rein künstlerisch ausgerichteten „Zweiten Situationistischen Internationale“, dies vor allem vorangetrieben durch das dänische Mitglied Jø rgen Nash. Die Kritiker dieser Abspaltung des rechten, kunstnahen Flügels sprachen sogar von einem „Nationalsituationismus“, und dies vor allem im Zusammenhang mit den deutschen Künstlern, der ebenfalls kurzzeitig in der Situationistischen Internationale vertretenen Schwabinger „Gruppe SPUR“. Um sie herum sei ein Plan an die Oberfläche gekommen, sich als autonome Kraft regional zu organisieren.“ (Zitate bis hierher aus: Baumeister/ Negator: Situationistische Revolutionstheorie, Stuttgart 2005)

Die Idee von der Autonomie ihres Handelns ist offensichtlich ein typisches Merkmal der Modernen Künstler, und das bringt sie oft in Widerspruch zu wirklich politisch handelnden Gruppen, wie die Situationistische Internationale eine war. Die Künstler wurden schon bald wegen theoretischer Unfähigkeit ausgeschlossen, wie sich die Situationistische Internationale im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung überhaupt regelmäßig mit Ausschlüssen von Mitgliedern und schließlich ausschließlich mit ihrer Selbstauflösung befasst hat.

In den 90er Jahren hat sich das Wertbild der S. durch die globale Entwicklung verändert: sogenannte Non-Government-Organisations wurden als NGO zu neuen gesellschaftliche Kräfte, und deren Organisationsstrukturen reproduzierten teilweise, was Jahre zuvor Künstler als S. angedacht hatten. Aus Verlierern wurden so Gewinner, und von der Malerfaust der 80er Jahre will heute niemand mehr etwas wissen. Die Ästhetik der vormaligen Alternativkultur wurde in den 90er Jahren in herrschende Kunstströmungen aufgenommen, seitdem Künstler in Kunstvereine Küchen einbauen durften oder in Museen eine Bar betrieben als Ästhetik der Partizipation zelebrieren. Ob diese neuen gesellschaftlichen Gruppierungen langfristig zu bedeutenden Abnehmern von Produkten der Bildenden Kunst werden, vielleicht sogar das sich zurückziehende Bürgertum als Hauptkunden einmal ablösen, lässt sich heute noch nicht überblicken. In der Klasse Pitz werden aber mögliche Produkte für diese neue Kundengruppe jedenfalls erwogen und wird deren Form nachgegangen.

Wenn man wollte, könnte man auch an der Akademie von S. reden. Die an der Akademie Anwesenden, oder besser: die Abwesenden, verfügen mit der Wahlmöglichkeit, sich an der akademischen Selbstverwaltung zu beteiligen oder sich eben nicht zu beteiligen, jedenfalls über eine von jenen Voraussetzungen, die Stefan Römer im unten genannten Artikel als für die S. wesentlich ansieht: die Freiwilligkeit.

In den Akademien in Deutschland gab es nach 1990 „Freie Klassen“, die Stefan Römer in einem Artikel Are the Volcanoes Still Active? About the Self-Organization at Art Schools würdigt, der kürzlich in englischer Übersetzung im Heft Fall 04 des Kunstverein München noch einmal abgedruckt wurde. Hier wird auch die Geschichte des soziologischen Begriffs S. seit den 60er Jahren dargestellt.

An der Akademie sieht es heute so aus: wenn einer sich engagiert, dann aus freiem Willen und aus einem gewissen Ideal heraus. Klandestinität, also die weiter unten angesprochene Geheimnistuerei, erstreckt sich in der Akademie nicht sehr weit, wenn man bedenkt, wie schnell alles bekannt wird - und sei es als Gerücht in übersteigertem Wahrheitsgehalt. Ein paar Privilegien sind zwar zu verteilen, doch die wiegen wenig im Verhältnis zum allgemein vorhandenen Luxus, einfach abwesend und/ oder passiv zu sein. Und das gilt nicht nur für Studenten, die (noch) keine Studiengebühren zahlen müssen, sondern sogar für monatlich bezahlte Dozenten. Institutionell gesehen wären dies eigentlich ideale Bedingungen für die lebhaftesten Formen der S.

Einen wirklich interessanten Aspekt nennt Stefan Römer, wenn er darauf hinweist, daß Arbeitsgruppen in der S. sich nach erreichtem Zweck auflöst und neu konstituiert. Das müsste eigentlich noch stärker in die akademische Praxis einfließen, etwa in Form von Ausschüssen, die sich zu einem Thema oder zu einer Aufgabe zusammenfinden und dann gleich nach der Ziellinie wieder auseinandergehen, damit die Mitwirkenden sich anderen Dingen in neuen Konstellationen zuwenden könnten. Fragen und Antworten hierzu:

Zentrale Frage der S., bei Römer kurz „Selbstorga“ genannt, ist die Machtfrage. Denn Gleichberechtigung kann eigentlich doch nicht im Sinne eines Systems sein, das als S. erfolgreich sein will. Ist S. etwa nicht mit Hierarchie verbunden? Ja, sagt Römer, aber die Selbstorganisierten kreieren diese Hierarchie zunächst selbst und unabhängig von den vorgegeben Instituten (und fallen möglicherweise leider später dann in Muster der tradierten Herrschaftsformen zurück H.P.).

Römer: Gleichberechtigung scheint mir zunächst die sozialutopische Grundlage unseres politischen Systems. Wie das realisiert ist, muß man spezifisch untersuchen. Bei einem sozialen System kann nur in einem Untersystem von Selbstorga die Rede sein, wie ich den Begriff definiert habe. Selbstorga ist eine Organisationsform, die niemals hegemonial sein kann. Wir haben es hier nicht mit einem chaostheoretischen oder generalistischen Begriff zu tun, sondern es geht um Formen zuvor nicht formalisierter Organisation: Einige Leute beschließen, etwas in die eigene Hand zu nehmen, da es für dieses spezifische Interesse keine etablierte Handlungsanweisung oder Organisationsform gibt. Also geht es um das Modell des Primus inter pares, des/ der Ausgezeichneten unter Gleichen. Dieser Person wird für eine bestimmte Funktion die Leitung freiwillig übertragen, weil sie in diesem Bereich die meisten Erfahrungen oder Verdienste erworben hat (oder den meisten Ehrgeiz entwickelt H.P.). Das ist nicht gleichbedeutend mit Hierarchie, sondern es gibt nur eine Leitung für diesen speziellen Fall. Handelt es sich um institutionalisierte Organisationsformen, sollten die spezifisch gebildeten Hierarchien nach getaner Arbeit sich selbst auflösen.

Wenn Formen der Selbstorga nun in der neoliberalen Wirtschaft von der Arbeiter- bis zur Managementebene eingesetzt werden, dann handelt es sich um eine mutierte Form, die doch wieder nur das survival of the fittest favorisiert. Dabei geht es jedoch um das Überleben von Freundeskreisstrukturen, Seilschaften oder Personen, die es geschafft haben ihre Corporate Identity mit einer eigenen Mannschaft zu unterbauen: das, was ich das zirkuläre Image nenne.

Pitz: Eine andere Frage ist, wie man S. in- und außerhalb von Institutionen unterscheiden kann. In der Akademien hier in München mit der Klassenstruktur haben wir es zwar mit einer tradierten, ursprünglich hierarchischen Form zu tun, die aber heute so diffus ist, daß sie jederzeit modifiziert werden könnte. Solche Modifikation würde allerdings nur unter Formen der S. des Kollegiums und der Studentenschaft gelingen. Das erlebe ich jetzt täglich, wenn ich im Rektorat zwar institutionelle Macht praktisch ausüben darf, zugleich aber sehe, daß an Veränderungen hier nix geht, wenn das Kollegium Änderungen nicht (selbst) organisiert. Und als reiner Verwaltungsakt initiiert würde so eine Veränderung wohl ausbleiben, wenn „unten“ in den Klassen und Werkstätten die Reform nicht begrüßt und umgesetzt wird.

Römer: Selbstorga war ursprünglich eine Gegenkulturbewegung. Man kann sich natürlich darüber unterhalten, ob es überhaupt ein Außen oder ein Kontra als (Sub-) Kultur in einer Gesellschaft geben kann. Sobald eine Gesellschaft existiert, existieren auch die Bestandteile konstitutiv, die man Institutionen (Schule, Kirche, Akademie etc.) nennt. In denen muß man sich dann wohl oder übel verorten. Selbstorga zu delegieren, geht nur in einer auf affirmativ partizipierendem Willen aufgebauten ® Zusammenarbeit. Das ist das Interessante, dann stellt sich jedoch die Frage, ob es noch Selbstorga ist, oder nicht doch angetragene Verpflichtung gegenüber der Institution. Wenn sich aber die Wirtschaftsbosse mit Herr von Pierer zusammensetzen, dann deshalb, weil sie sich einen persönlichen Kapitalgewinn und eine Machtausdehnung oder zumindest -stabilisierung versprechen. Man organisiert sich, d.h. es kommt nur ein Bruchteil von dem an die Öffentlichkeit, was sie beschlossen haben, da auch Mittel eingesetzt werden, die die Öffentlichkeit zumindest gleichzeitig nicht wissen soll, vielleicht erst später. Es kommt also immer auch ein Teil Klandestinität zum Einsatz.

Selbstorga an Akademien wie die Freien Klassen sind ja Versuche, genau diesen Dilemmata zu entgehen. Ob oder wie das geht, ist schwer generell zu beantworten. Trotzdem wurde mit der Freien Klasse (nicht unbedingt im Münchner Modell) eine Strukturänderung der Akademien angestrebt.

Römers Ideal der Akademie kommt schließlich in der folgenden Wunsch zum Ausdruck: If a seminar leader is not there the session is led by the students themselves. The prerequest is that the participants are interested in the subject. Stefan Römer in: About the Self-Organization at Art Schools in englischer Übersetzung im Heft Fall 04 des Kunstverein München, 2004)

Semesterferien bezeichnen den Zeitraum von ca. 5 Monaten, in welchem keine Vorlesungen stattfinden. Der Begriff ist missverständlich, weil er den Eindruck erweckt, daß in dieser Zeit nicht gearbeitet wird. Die. S. sind, was das betrifft, eine ganz und gar unkünstlerische Kategorie (®öffentlich/ privat). Deshalb bietet die Klasse Pitz auch in den S. Veranstaltungen an. Die S. haben jedoch auch allerlei sinnvolle Funktionen. Man kann entweder seine künstlerische Arbeit weiter verfolgen, oder in den Semesterferien mehr Zeit für Jobs etc. aufbringen. Und man kann die reale Arbeitszeit hier unabhängig vom Zeitschema der Vorlesungen und Werkstätten einteilen.

Student ist mit der Bedeutung schüler; hochschüler aus der mittellateinischen schulterminologie übernommen, in der sich das participium studens studentes zum substantiv entwickelt hatte, wohl an dem ausdruck fratres studentes, der bei den dominkanern und franziskanern die jüngeren brüder bezeichnete, die sich mit den wissenschaften abgaben. Für Künstler bedeutet der Studentenstatus im Rückblick viel. "Studente son' e povero" ist denn auch die gewählte Lüge des Grafen von Mantua, um sich als armer Student das Vertrauen von Gilda zu erschleichen (in Verdi, G., Rigoletto, 1. Akt). Sie stellt den Status jedenfalls nicht in Frage und verliebt sich prompt in den Charmeur. Das ist ein Vorteil der gesicherten Position des S. in gesellschaftlicher Anerkennung, die der ® Künstler als Freier Beruf in seiner unsicheren Existenz nach dem Studium lange Zeit nicht bietet und die er sich erst wieder erarbeiten muß. Dabei ist die Nachfrage nach den Erzeugnissen von Berufanfängern ist oft gering, so daß Gilda einem noch jungen Grafen, der sagte "artista son' e povero", wohl nicht dasselbe Vertrauen entgegengebracht hätte. Die Studienzeit wird im Rückblick häufig als Lebensabschnitt besonders intensiver Auseinandersetzung beschrieben, da im späteren Leben die Zeit zur ausschließlichen Beschäftigung mit den Inhalten der Kunst so nicht mehr gegeben ist. Zugleich werden im ®Studium Bekanntschaften mit gleichaltrigen Kollegen angelegt, die oft im weiteren Berufsleben von Bedeutung bleiben.

studere (lat.) ‘Betreiben, streben, trachten, partei nehmen, begünstigen, sich ernstlich um etwas bemühen, sich wissenschaftlich beschäftigen’

Studie bedeutet übungsstück; vorarbeit zu einem präziseren werk, secundärer singular zum plural studien von studium in dessen konkretisierter bedeutung (nicht vor beginn des 19. jahrhunderts). Dieses relativ junge Wort ist für die Definition des Kunststudiums sehr wichtig: Wenn ®Kunst ist, was Künstler machen, dann ist die S., was Kunststudenten machen. Das Anfertigen einer S. beschränkt sich nicht auf handwerkliche Aspekte, sondern es geht darum, in der S. auch Fähigkeiten zur Wahrnehmen von Kunst zu entwickelt und eigene Meinungen ausbilden zu allen Hervorbringungen der Kunstwelt. Darum ist es für Studenten wichtig, die Ausstellungen in örtlichen Kunstinstitute jedem Fall zu besuchen, auch dann, wenn das Gezeigte nicht direkt interessiert, und sich zu informieren ®(Exkursionen).

Grimm’s Deutsches Wörterbuchs Wörterbuch äußert sich auch zum Begriff Studie innerhalb des traditionellen akademischen Kontext: in der bildenden Kunst das Übungsstück, die nachzubildende vorlage - der leib könnte wirklich einem künstler zur studie dienen (H. v. Kleist); und: ein erster versuch, eine skizze, eine vorarbeit;- als er mich auf meine hauptfehler aufmerksam machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte, mit der natur verglich und mich (das wesentliche) sehen lehrte (G. Keller).

Studienbeginn Am S. geht es für die Erstsemester darum, die Möglichkeiten aller ®Werkstätten und der theoretischen Lehrangebote kennen zu lernen und sich zu entscheiden, mit welcher dieser Möglichkeiten sie experimentieren wollen, oder, wenn sie nicht schon zu Beginn ein bewusstes Projekt in ihrer Arbeit artikulieren können, welches Material dafür am besten geeignet ist. Auch die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte in den Klassen sind zu erfahren, so daß, wo passend, ein ® Klassenwechsel angestrebt werden kann. In den ersten zwei Semestern geht es vor allem darum, ein ®Curriculum zu entwickeln. Denn ohne dieses lässt sich ein Studium nicht erfolgreich absolvieren.

Es gehört zu den besonderen Enttäuschungen und zu den zu überwindenden Schwierigkeiten für Studienbeginner, daß ihre ersten Übungsstücke aussehen wie die Werke von anderen Künstlern. Das liegt zum einen daran, daß ®Kunst von Kunst kommt, zum anderen aber, daß spätestens durch den erweiterten Kunstbegriff des 20. Jahrhundert so ziemlich alles schon einmal gemacht ist, was man sich ausdenken kann. Da sich die Ähnlichkeiten nicht vermeiden lassen, ist für Studienbeginner besser, sich ihr Vorbild (®Bildhauerei/ Vorbild) selbst auszusuchen und sich dann sukzessive davon zu entfernen.

Studierige = Universität:

Was hilft euch nun in ewigkeit,

Das schöne schreiben, zeichnen, lesen,

Und das ihr auch so lange zeit

Auf der studierige seyd gewesen

(Henrich, ernst-, scherzhafte gedichte). Eine hier nicht genau datierte, aber offensichtlich schon alte Frage im Zusammenhang mit dem ® Curriculum, die sich auch heute noch stellt: Was wollen Sie noch mit dem 11. Und 12. Semester? Sollte sich diese Angelegenheit nicht auch in 5 Jahren und in 10 Semestern einwickeln lassen?

Studierende der Kunst sind keine ®Künstler. Warum ist das so? Die Anforderungen des Studiums sind darauf angelegt, während der Studienzeit mehrere Fähigkeiten (®Studie) parallel zu erwerben und viel Information aufzunehmen, die nicht notwendigerweise auf die eigene Arbeit zugespitzt sind, sondern sich von den eigenen ® Motiven aus universal ausbreitet. Das ist etwa so wie früher einmal an den Universitäten, die dieser Idee universaler Bildung ihren Namen verdanken. Der Studierende der Kunst ist damit befasst, sich als Dilettant in viele Richtungen auszubilden und zum Autodidakten in Dingen der Kunst. Der Künstler dagegen ist bereits ein solcher Autodidakt und hat nicht mehr den Schutz und die Geborgenheit der Akademie. Erst er bündelt die vorhandene Energie auf das eigentliche Machen des Produkts, also auf seine Produktion.

Studio künstlerwerkstatt, maleratelier; aus. ital. studio in derselben bedeutung: “ein maler sitzt ... in seinem studio” (Goethe). Das ist das im Englischen häufig gebrauchte Wort für ®Atelier. Man sollte vielleicht dies Wort auch im Deutschen mehr benutzen, da es andere Bedeutungen elegant mittransportiert, wie beispielsweise die aus dem italienischen Ursprung des Wortes s. hervorgehende Bedeutung vom impulso interno, was zu deutsch "eifriges Wollen" heißt und in jedem Fall den ®studierenden Künstler betont, im Gegensatz zu jenem genialen im Atelier.

Studium hat in Grimm’s Deutsches Wörterbuch drei Bedeutungen: 1. örtlichkeit, wo man studiert 2. tätigkeit des studierens 3. ergebnis des studierens (®Diplom). Aus dem Mittellateinischen wurde im 14. Jahrhundert das Wort zuerst mit der Bedeutung 1. entlehnt, aber im heutigen Sprachgebrauch ist die Bedeutung 2. üblich, und die beiden anderen Bedeutungen 1 uns 3 sind fast in Vergessenheit geraten. Deshalb fällt es beim ®Studienbeginn oft so schwer, sein Studium zu strukturieren.

Die Örtlichkeit der ®Klasse Pitz ist dabei sehr wichtig, und sie baut sich konzentrisch auf. In der Mitte steht der Student. Darum herum gruppieren sich die befreundeten Kommilitonen und der Professor, etwas weiter weg die anderen Studenten der eigenen Klasse und die der anderen Klassen, weitere Professoren und die Werkstattleiter kommen hinzu, und diagonal hindurch wirken die klassenübergreifend lehrenden Kunsthistoriker und Medientheoretiker, über die sich das Universum aller Künstler, die je in der Kunstgeschichte aktiv waren, erschließt, wie man es in der ®Bibliothek nachschlagen kann.

Die Klasse ist der Raum von dem aus die Orientierung geschieht, und dort ist der Arbeitsplatz des Studenten zu Beginn des Studiums. Dabei hat dieser Raum wechselnde Funktionen: Er ist vor allem Atelier, dann Ausstellungsraum (zu Jahresausstellung und Diplompräsentation) und er ist Lager für die Studien. Das letztere muß regelmäßig geprüft werden, um zu verhindern, daß die Lagerung zu viel Raum einnimmt. Die Ausstellungen sind spätestens Anlaß, wieder einmal Klarschiff in der Klasse zu machen. Das ®Curriculum kann aber auch andere Örtlichkeiten neben der Klasse erfordern. Hierzu bietet das Erasmus-Programm eine Reihe von Austauschakademien, und andere Destinationen, die der Student selbst aufruft, können hinzukommen.

Mit welcher Leistung im Sinne der ®Evaluation ein Studium aufgenommen ist, ist nur individuell zu definieren. Es scheint aber ratsam, daß durch den Studenten so früh wie möglich die Richtung der eigenen ®Forschung benannt wird. Eine bestimmte künstlerische Praxis wirft Fragen auf. Diese können verbal und vor allem aber visuell in Arbeitsproben benannt werden. Gelingt es einem Studenten, hier über mehrere Semester mit aktualisierten Definitionen seiner Aktivitäten hervorzutreten, dann kann von einem erfolgreichen Studium gesprochen werden.

T

Tagsitzung ® Klassengespräch

V

Vernissage Ver|nis|sa|ge [], die; -, -n <franz.> : Der Abend vor der Ausstellung eines Gemähldes, zu welcher der Künstler seine Freunde, Kritiker und möglicherweise Sammler in sein ® Atelier einlädt um dem abschließenden Auftragen des Firnis beizuwohnen. Frisch gefirnisste Bilder entfalten meist eine überzeugende Kraft und Tiefe. Üblicherweise schließen sich informelle Diskussionen an, die in (verbal-) Attacken und/ oder Vertiefungen der sozialen Netze resultieren können. Zur Beschleunigung dieser Prozesse wird mitunter Alkohol o.ä. Stimulanzien verabreicht. Am nächsten Morgen verlässt das Bild das Atelier meist unversehrt um in einer Galerie oder im Salon seine Bestimmung zu finden. Der Firnis ist mittlerweile getrocknet. (Wörterbuch der Boheme, Max Möglich Verlag Leipzig, 1925, Hinweis von Stephan Dillemuth) Die V. war also einstmals privates Ereignis vor der eigentlichen Veröffentlichung des Werkes in der ® Ausstellung. Das neugierige Publikum ist dann offensichtlich immer weiter in die V. eingedrungen, bis schließlich dieses Ereignis selbst zum Synonym für die „Eröffnung einer Ausstellung“ wurde.

Aber für die Künstler galt es nun, den bis dahin allein weggespülten Alkohol mit dem größer werdenden Publikum zu teilen. Die Künstler scheinen aber diesen Verlust materiell ausgeglichen zu haben, indem sie die Tradition begründeten, daß der jeweilige Veranstalter der V., also Galerien und Kunstvereine, die Kosten für Getränke zu übernehmen hatte. Die Definition von 1925 beschreibt Stimulanzien und Drogen als wichtige Katalysatoren des sozialen Künstlerlebens, und auch die Klassenfeste an der Akademie bauen auf einer Tradition auf, die in den legendären, alkoholseligen Kostümfesten des Schwabinger 19. Jahrhunderts ihren höchsten Ausdruck fand.

Daß die Drogen auch ansonsten im Atelier den kreativen Prozess stimulierten, bleibt ein bis heute weit verbreiteter Glaube der Künstler, die sich im Rausch einem existentialistischen Lebensgefühl hingeben wollen. Das dürfte aber ein Irrglaube sein, denn es bleibt eine unbewiesene These, daß durch Drogenzufuhr je bessere Bilder entstanden seien.

W

Wechsel der Klasse ist zu jedem Zeitpunkt des Studiums möglich, wenn ein Professor den W.d.K. begrüßt. Vor 100 Jahren noch war die Klassen hierarchisch geordnet. Der Student stieg von den Zeichenklassen zu den Naturstudienklassen auf, und ganz oben war für die Reifsten und Besten die Historienmalerei in den Kompositionsklassen. Der W.d.K. war also eigentlich einmal Anlaß des Klassensystems in der Akademie. Später hat man sich in der Akademie darauf geeinigt, daß alle Klassen gleich gut sind und daß die Leistungen der Dozenten so wenig zu beurteilen sind wie jene der Studenten. Damit war ein W.d.K. für die Karriere nicht mehr nötig.

Der Wunsch zum W.d.K. kann heute in persönlichen Unstimmigkeiten begründet sein, was allerdings für die Klasse Pitz eigentlich kein sinnvoller Grund ist in einem Institut wie der Akademie, wo alle mit Leuten auskommen müssen, die nicht immer ihre besten Freunde sind. Der bessere Grund für einen W.d.K. sollte im ®Curriculum begründet sein, das heißt, weil die Recherchen in der eigenen Arbeit in eine andere Disziplin oder Gedankenwelt führen, die in der anderen Klasse besser betreut werden kann.

Der W.d.K. kann auch die Züge einer Flucht aufweisen vor im Curriculum angelegten Widersprüchen. Diese Flucht wird jedoch in der Klasse Pitz nicht als Grund akzeptiert. Wer als Student schon davonläuft, wird kein Künstler werden, weil dieser später in der Kunstwelt sicher nicht weglaufen wird können.

Werkstatt Die Werkstätten an der Akademie sind von nicht zuletzt symbolischer Bedeutung, manifestieren sie doch das Credo, daß Kunst im Tun entsteht (®Hand). Sie sind entsprechend den Definitionen der ®Bildhauerei in verschiedene Aktivitätsfelder eingeteilt: zuerst ist da natürlich die skulpturale Steinbildhauerei, dann sind da die konstruktiven und mechanischen Tätigkeiten in Holz und Metall, weiter die chemischen Prozesse in Maltechnik, Glas und Keramik. Die plastischen Qualitäten der Bildhauerei sind bei Keramik, Kunststoff, Papier, Gips und Erzguss untergebracht. Photographie- und Druckwerkstätten mit Typographie, bilden den Kosmos der multiplizierenden Reproduktion der Bilder als ästhetische Aufgabe an, und der traditionelle Bereich der (zur Zeit bedauerlicherweise vernachlässigten) Textilwerkstatt mit den Webstühlen als Urform des modernen Rechners schlägt die Brücke zu den neuen Medien der digitalen Bildbearbeitung. So kann die Bildhauerei auch an diesem Gebiet auf ihre Gültigkeit heute überprüft werden.

Abgesehen vom mit den einzelnen Werkstätten verbundenen Zeitaufwand, deren Arbeitsweise von jungen Leuten hin und wieder als arg schwerfällig empfunden wird, ist es nicht möglich, für ein ®Projekt alle Werkstätten zugleich zu bemühen. Hier muß sehr bewusst gewählt werden und die begrenzten Zeitkontingente müssen präzise eingesetzt werden. Dieser Teil des ®Curriculum ist gut mit dem Professor zu überlegen. Planen lässt sich hier allerdings und glücklicherweise nicht alles, denn jede Übertragung vom ®Projekt ins Material birgt viele Überraschungen.

Wissenschaft ® Forschung

Z

Zusammenarbeit ist wohl ein essentieller Bestandteil von Untersuchungen zur Entwicklung neuer Bilder und Bildsprachen. Das sind kollektive Prozesse, und somit immer, wenn auch oft indirekte Formen der Z. Das steht im Gegensatz zu den Interessen großer Teile der Kunstwelt, die eine zeitliche Ordnung der Entwicklung der Kunststile proklamiert, also nachfragt, wer was wann zuerst gemacht und erfunden hat. Der Kunstmarkt sucht nach diesem Diktum der Kunstgeschichte das Original im Werk der Künstler, während diese möglicherweise ganz andere Anlässe für ihre Bildfindungen (®Bildhauerei/ Fiktion) haben können.

Die Künstler verstehen Z. etwa auch als Zusammenwirken mit anderen Disziplinen, wofür im Wissenschaftssektor das für die Kunst unglückliche Wort interdisziplinär sich durchgesetzt hat. Wenn Künstler sich aufmachen, und die Z. suchen, dann geben ihnen andere Künstler die Anlässe dafür, und das ist Z. in der Kunst. In der ®Kunst geht Z. offensichtlich anders vor sich als in anderen Branchen und in der Welt, in der Kunst nicht existiert.

Künstler sind im Dialog mit anderen Künstlern, seien diese tot oder lebendig, und nur im Erkennen der Arbeit des Anderen finden wir das Eigene.