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Künstler Stimmen

Wie viel Moral braucht die Kunst?

Kommende Woche wird in Berlin die umstrittene Ausstellung der Friedrich Christian Flick Collection eröffnet. Von Künstlern war in der Diskussion bislang nichts zu vernehmen. Nun reden sie


Gerhard Richter: Ich kenne die Sammlung Flick nicht, und diejenigen, die sie jetzt so hochloben, kennen sie auch nicht – das ist doch schon mal ein widerliches Theater. Da wird mit Namen gepokert, da werden Werte und Qualitäten behauptet, und eigentlich wird nur gezeigt, wie leicht und wie schnell es heute geht, eine so genannte hochkarätige Sammlung hinzuklotzen. Mit etwas Geld kann das fast jeder. Und wenn Herr Flick dann seine Sammlung den Berlinern sieben Jahre leiht, behandeln das viele schon wie ein Geschenk an die Nation. Die moralische Seite der ganzen Geschichte, sofern man diese überhaupt von einer ästhetischen Seite trennen kann, ist doch auch nur ekelhaft für mich.

Gerhard Richter, Jahrgang 1932, zählt zu den wichtigsten deutschen Künstlern; Flick besitzt mehrere seiner Bilder


Hans Haacke: Wenn Flick sich wie Jan Philipp Reemtsma mit der Geschichte seiner Familie im Nationalsozialismus auseinander gesetzt und sich ebenso beispielhaft in der Gegenwart engagiert hätte, gäbe es keine Kritik an der Ausstellung. So aber ist die ganze Sache sehr unappetitlich. Dass Flick als Steuerflüchtling in der Schweiz lebt und, um Steuern zu sparen, seine Kunstsammlung einer Briefkastenfirma auf einer englischen Kanalinsel gehört, trägt nicht zur Redlichkeit des Vorhabens bei. Anders als viele Privatpersonen mit vergleichbarer Familiengeschichte hat er sich geweigert, in den Fonds zur Entschädigung der Zwangsarbeiter zu zahlen, die ihm den Grundstock seines ererbten, auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzten Vermögens geschaffen haben. Es ist diese Sklavenarbeit, die seine Sammlung mitfinanziert hat! Erst als er in Zürich deshalb 2001 auf Widerstand stieß, hat er einen vergleichsweise kleinen Betrag in eine Stiftung gegen Toleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus investiert. Das gibt der Stiftung den Anschein eines Public-Relations-Manövers. Wie einst Peter Ludwig macht Flick seine Leihgaben vom Wohlverhalten der scheinbar von ihm Begünstigten abhängig. Die mit Steuergeldern unterhaltenen Institutionen in Berlin bieten sich ihm – anscheinend ohne Hemmungen – als Geldwaschanlage an. Wie so oft, wird auch hier die Kunst für Zwecke eingespannt, die mit den Intentionen der Künstler nichts zu tun haben.

Hans Haacke, Jahrgang 1936, lebt in New York und hat sich mit politischen und provokativen Aktionen einen Namen gemacht; von ihm stammt die Skulptur "Der Bevölkerung" im Reichstag. In der Flick Collection sind seine Arbeiten nicht vertreten


Wolfgang Tillmans: Ich finde die Art und Weise, wie dieser Sammler angegriffen wird, übertrieben und scheinheilig. Er wird zum Sündenbock gemacht, nur weil es leichter ist, alle Schuld auf seine Person zu projizieren, als sich mit dem Elend und Unrecht von heute zu beschäftigen. Die Leute gehen instinkthaft auf den Namen Flick los und lassen dabei außer Acht, dass sie sonst auch Ausstellungen besuchen, die gesponsert sind von Firmen und Banken, die noch vor fünfzehn Jahren vom Apartheidregime profitierten oder heute mit Waffenexport Geld verdienen. Ich persönlich verstehe nicht, warum Mick Flick nicht in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter einzahlt, aber respektiere auch, dass er stattdessen seine eigene Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit gegründet hat. Ich schätze Flick, obwohl ich ihn persönlich kaum kenne, als frei denkenden Sammler, der auch vor komplizierten und schwer verkäuflichen Arbeiten nicht zurückschreckt, sich korrekt den Künstlern gegenüber verhält und seine Sammlung nicht als Handelsware spekulativ benutzt. Den Vorwurf, dass er sich und seinen Namen mit seiner Sammlung schmücken will, halte ich für weltfremd, denn das wollen schließlich alle Sammler, meist in ganz bescheidener und manchmal in auffälligerer Form. Das ist seit Jahrhunderten der Fall, in der Renaissance haben die Mäzene ihr Porträt gleich mit ins Bild malen lassen. Wenn Sammler aktiv üble politische Interessen vertreten oder gegen die Interessen der Kunst arbeiten, verkaufe ich nicht an sie, wie zum Beispiel an Charles Saatchi, der selber Lügenkampagnen für die Tories gemacht hat und heute mit Kunst spekuliert und Künstlerkarrieren manipuliert. All das tut Mick Flick nicht. Seine Sammlung ist kein faules Angebot.

Wolfgang Tillmans, Jahrgang 1968, lebt als Fotokünstler in London; 2000 gewann er den hoch begehrten Turner Prize. Flick hat mehrere seiner Bildinstallationen gekauft


Luc Tuymans: Das mag zynisch klingen, aber etwas Besseres als diese Debatte hätte Flick gar nicht passieren können. Nie hätte es seine Kunst vermocht, eine solche Kontroverse auszulösen. Und ohne die Kontroverse wäre die Sammlung nur eine Sammlung unter vielen geblieben. So aber werden viele Besucher angelockt, nicht durch die Kunst, sondern durch den Streit. Sie werden – obwohl Kunst ja mit Moral eigentlich nichts zu tun – mit moralischen Fragen vor die Installationen und Bilder treten. Tja, durch sein Verhalten hat Flick wohl die Bedeutung der Kunst verändert, er hat viele Lesarten vorherbestimmt. Gewiss wäre es besser gewesen, wenn er frühzeitig etwas mehr von seinem Geld zurückgegeben hätte. Ich habe ihn auch einmal getroffen und ihm das vorgeschlagen, er wollte aber nicht. Aber soll man ihn ans Kreuz nageln, wie manche das gern möchten? Das viel größere Problem ist ja eh der deutsche Staat, der sich mit der Kunst schmücken will, um jeden Preis – und dabei völlig vergisst, nach der Vergangenheit zu fragen. Offenbar sind es manche Politiker leid, sich systematisch und auf einer strukturellen Ebene mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen.

Der Belgier Luc Tuymans, Jahrgang 1958, hat sich in seinen Bildern immer wieder mit der NS-Zeit befasst; die Tate Modern in London zeigt jüngst eine große Retrospektive seiner Werke. Etliche seiner Bilder hängen in der Flick-Sammlung


Marcel Odenbach: Was mir an der Debatte vor allem missfällt, ist das Schweigen der Künstler. Es ist ja stark in Mode, kritische Kunst zu machen. Wenn es aber mal darum geht, dass nicht nur die Kunst, sondern auch der Künstler kritisch sein sollte, ist von kaum jemandem etwas zu vernehmen. Die meisten wollen es sich halt mit niemandem verderben und meinen, sie seien ja ohnehin nur die wehrlosen Opfer des Marktes. Doch das stimmt nicht. Die Künstler sind verantwortlich für das, was mit ihren Bildern passiert. Sicher, sie können das nicht immer kontrollieren. Viele Künstler haben aber leichtfertig ihre Kunst an die Galerie von Ivan Wirth verkauft, obwohl es ein offenes Geheimnis war, dass Wirth der wichtigste Vertrauensmann von Flick ist und alles, was bei Wirth gesammelt wird, irgendwann auch in der Flick Collection landet. Mich stört an dieser Sammlung vor allem, dass sie ein Steuerflüchtling aufgebaut hat, der nun in Berlin groß gefeiert wird. Und dass sich dieser Steuerflüchtling über Jahrzehnte nicht darum geschert hat, woher sein Vermögen stammt und was aus den Zwangsarbeitern seines Großvaters geworden ist. Nun aber will er plötzlich den pompösen Auftritt, Bundeskanzler, Nationalgalerie et cetera. Dass es auch anders geht, hat ja Ingvild Goetz in München bewiesen. Sie sammelt ähnliche Kunst wie Flick, tut dies aber still und bescheiden, ohne Geltungssucht und in einem Museum, das sie sich auf eigene Kosten gebaut hat.

Marcel Odenbach, Jahrgang 1953, nahm 1987 an der Documenta teil und zählt zu den wichtigsten Videokünstlern in Deutschland. An Friedrich Christian Flick hat er bislang nichts verkauft


Stephan Huber: Für mich zeigt der Fall Flick vor allem, dass die Großsammler viel zu bedeutend und eingebildet geworden sind. Vor allem dann, wenn ihnen vom Staat noch Museen gebaut oder hergerichtet werden. Es ist doch eine lächerliche Milchmädchenrechnung, Ankaufsetats zu kappen, dann aber Sammlermuseen bauen zu müssen, um überhaupt noch zeitgenössische Kunst zeigen zu können. Das ist die Bankrotterklärung der deutschen Museumskultur. Das ist die Verabschiedung von Staat und Ländern aus der bildenden Kunst. Die Museen verlieren ihr inhaltliches Mitspracherecht. Früher bestimmten die Museumsdirektoren, welches einzelne Kunstwerk es wert ist, im Museum aufgenommen zu werden. Heute überrollt das Konvolut der Sammlung das Museum. In vielen Sammlungen scheint mir aber der Marktwert eine wichtigere Rolle als der Kunstwert zu spielen. Einige Sammler, ihre Galeristen und unterwürfige Kulturbeamte sind zu einem Machtpol geworden, der ein ganzes Milieu neu definiert. Und hier fängt es an, unangenehm zu werden.

Stephan Huber, Jahrgang 1952, lebt als Bildhauer in München. Derzeit zeigt das Museum Folkwang in Essen einige seiner Werke. In der Flick Collection sind seine Arbeiten nicht vertreten


Thomas Schütte: Jetzt soll doch bitte die Kunst sprechen! Sicherlich ist es richtig, die überlebenden Zwangsarbeiter zu Wort kommen zu lassen. Aber von der ganzen Debatte habe ich genug. Ich konnte das am Ende gar nicht mehr lesen, den Brief der Schwester und all das, was die westdeutschen Gesinnungspolizisten geschrieben haben. Die wollen mit ihrer Moralkeule die Ausstellung niedermachen, nur damit sie sich selbst als die besseren Menschen fühlen können. In Wahrheit hat aber doch jeder von uns irgendwo einen Nazigroßvater. Ja, die Vereinnahmung der Kunst, die gibt’s immer. Die Frage ist nur, ob die Kunst das aushält. Und ich glaube, die Kunst der Friedrich Christian Flick Collection ist so schwierig, dass sie’s aushält. Außerdem ist ja kein Künstler gezwungen, sich bei der Eröffnung vom Kanzler umarmen zu lassen. Ich jedenfalls werde da lieber fernbleiben.

Thomas Schütte, Jahrgang 1954, ist ein viel gefragter Konzeptkünstler, der allein in diesem Jahr in 13 Ausstellungen vertreten ist. Er zählt zu den Zentralfiguren in der Flick-Sammlung


Thomas Struth: Wenn Herr Flick sagt, dass er mit der Präsentation der Kunst in Berlin die Geschichte seiner Familie aufhellen will, fühle ich mich vereinnahmt. Die gestische und symbolische Kraft der Kunst soll da unter einen Deckmantel gerückt werden, der inhaltlich verfälscht. In der Auseinandersetzung um die Ausstellung und die Geschichte von Flick scheint es jetzt so eng geworden zu sein, dass kein richtig konstruktiver Ausweg mehr möglich ist. Das ist nicht gut und dient niemandem. Vielleicht hatte Herr Flick auch kein Umfeld von Beratung, in dem er die naheliegenden Konflikte positiv transformieren konnte. Dabei geht es nicht um Schuld, es geht um Gesten. Warum hat er sich nicht am Ausgleichsfonds beteiligt? Warum konnte er sich nicht vorstellen, seine Sammlung oder einen Teil davon in einer Stiftung der Nationalgalerie zu schenken? Beides wäre ein großer Gewinn.

Thomas Struth, Jahrgang 1954, ist einer der einflussreichsten deutschen Fotografen; ddas Metropolitan Museum of Art in New York räumte ihm eine große Ausstellung ein. Einige seiner Bilder werden in Flicks Eröffnungsausstellung zu sehen sein


Die Beiträge wurden aufgezeichnet von Hanno Rauterberg

(c) DIE ZEIT 16.09.2004 Nr.39

Mit Großplakaten protestieren die Künstler Renata Stih und Frieder Schnock gegen die Flick Collection im Museum Hamburger Bahnhof

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