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Wer war Philipp Werner Sauber

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai wurde Philip W. Sauber auf einem Parkplatz in Köln erschossen, Karl­Heinz Roth wurde schwer verletzt und Roland Otto festgenommen. Wir wissen heute viel über die unmenschlichen Haftbedingungen von Karl-Heinz, wir hören gerade nach, daß Roland Otto sitzt, aber wir erfahren nichts über den Toten. Die Informationssperre der bürgerlichen Presse wurde von der linken Öffentlichkeit hingenommen, ja sogar übernommen.

Es erscheint so, als ob der Kampf um das Überleben von Karl-Heinz Roth nur mit der Verleugnung der anderen Genossen erkauft werden konnte. Warum? Philip ist kein Opfer - und das schreckt ab, nicht nur die sogenannte liberale Öffentlichkeit, sondern auch die Linken. Philip hat sich gewehrt, wenn wir der bürgerlichen Presse glauben sollen: mit einer Pistole soll der Polizist Walter Pauli erschossen worden sein. Was wirklich in dieser Nacht geschah, wissen wir nicht. Aber der Tod des Polizisten schafft das Entsetzen, das den Tod des Genossen mit Schweigen zudeckt. Wäre Philip wehrlos erschossen worden - wie so viele andere - wir wüßten heute mehr über ihn, über sein Leben, über seine Geschichte.

Weil wir aus ihm kein Opfer machen können, bleiben wir sprachlos und tun so, als hätte es ihn nie gegeben. In der Haftverschonungskampagne wurde Karl-Heinz Roth vom Makel des politischen Untergrunds gereinigt - zu welchem Preis? Wir haben für das Leben des Arztes und Schriftstellers unterschrieben, den Tod und das Vergessen der Anderen haben wir dabei hingenommen. Wenn die Ereignisse jener Nacht erwähnt werden, sehen wir nur Karl-Heinz, wir haben nicht im Kopf, daß es auch für Roland Otto in absehbarer Zeit keine Träume von Freiheit mehr geben wird, und daß auch der Tod von Philip eine Lücke reißt, die schmerzt. Noch vor wenigen Jahren wäre es auch in der BRD nicht möglich gewesen, eine Kampagne um das Leben des einen Genossen zu führen und gleichzeitig das Totschweigen der anderen in Kauf zu nehmen. Die Trennung in Opfer und Kämpfer ist Ausdruck von politischer Resignation und kaum zu rechtfertigen. Die Justiz wird uns zeigen, daß sie diese Trennung nicht macht.

Sich mit dem Kämpfer identifizieren heißt, sich mit revolutionärer Gewalt identifizieren, denn das eine impliziert das andere. Sich mit dem Opfer identifizieren, heißt sich mit der Gewalt der Herrschenden auseinandersetzen. In einem Land, in dem der bewaffnete Kampf überhaupt keine Perspektive hat, ist die Identifikation mit dem Kämpfer und seiner Tat nicht möglich. Muß man ihn deshalb totschweigen? Die Berührungsangst versteckt sich hinter dem Zwang zur Objektivität und der notwendigen politischen Diskussion über die Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Repression. Wovon niemand spricht und wonach niemand fragt, sind die Gefühle und Erinnerungen an den Menschen, Das Betroffensein Einzelner und der persönliche Schmerz Weniger, die die Schiesserei auf dem Parkplatz in Köln nicht einfach als Folge eines historischen Irrtums vom Tisch wischen können.

Aber die Geschichte von Philip W. Sauber beginnt und endet nicht mit den Schüssen jener Nacht. Seine Geschichte ist auch die unsere. Deshalb geht er uns etwas an. Die Zerstörung, die die kapitalistische Gesellschaft in uns angerichtet hat, reduziert die Geschichte der Genossen auf die Leerformel: was hat er denn politisch so gemacht? Hinter dieser Frage wird der Mensch nicht sichtbar, denn nicht die Formel macht uns zum politisch handelnden Wesen, sondern die Bewältigung des Alltags, nicht die institutionalisierte politische Arbeit bleibt in Erinnerung, sondern das, was zufällig, wie nebenbei geschieht.

Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ist unser aller Geschichte politisch austauschbar: Philip Werner Sauber, geboren 1947 in Zürich, Elternhaus Schweizer Kapitalisten, Schule, erste Arbeiten als Fotograf und Filmemacher. Philip kann 1967 mit 20 Jahren nach Berlin. Das war kurz nach dem 2. Juni und dem Tod von Benno Ohnesorg. Für viele war dieses Datum ein Wendepunkt der eigenen Geschichte. Philip ging an die Filmakademie, die 1966 gegründet worden war, dort studierte auch Holger Meins und später auch Manfred Grashof, der in Zweibrücken einer lebenslangen Haft entgegensieht. Die ersten Jahre der Filmakademie gehören zu den produktivsten. Die Filme, die damals entstanden, sind spontane und phantasievolle Äußerungen, in denen Filmsprache neu, unkonventionell und provozierend benutzt wird. Holger dreht in dieser Zeit den "Oskar Langenfeld", Philip den "Einsamen Wanderer". Für beide sind es die letzten größeren Filme, in denen sie sich als Autoren verwirklichen.

"Oskar Langenfeld" ist ein Film über einen TB­kranken Lumpensammler aus Berlin-Kreuzberg. Holger lebte einige Wochen mit diesem Mann und durchlief mit ihm seine täglichen Stationen bis hin zum Männerwohnheim, wo Oskar Langenfeld, kurz nachdem der Film fertig war, starb. Während der Arbeit an dem Film und im Film selbst ist jene Konsequenz und Kompromißlosigkeit spürbar, die sich durch Holgers ganzes Leben bis hin zu seinem Tod zog. Das Portrait dieses alten Mannes ist eindringlich und genau. Er kann sich durch Sprache fast nicht mehr verständigen. Jedes Wort wird von einem trockenen, nicht endenwollenden Husten unterdrückt. Der Husten wird zur Sprache, in ihm erschöpft sich die ganze Lebenskraft des alten Mannes.

Philips Film vom einsamen Wanderer ist eine Geschichte über die Austauschbarkeit und Beliebigkeit filmischen Codes, ein Spiel mit Bildern über den Tod. Während Holger sich ganz klar sozial engagiert und sich selbst in die Situation des Ausgestoßenen begibt, befaßt sich Philip intensiv mit Filmsprache und formal-ästhetischen Problemen. Sein Film ist schön und lockt den Zuschauer immer wieder auf eine Fährte vertrauter Symbole, die er aber sogleich wieder verläßt. Auch Philip arbeitet hart und konsequent an diesem Film, konsequent innerhalb seiner Ästhetik. Er sitzt fünf Tage und fünf Nächte am Schneidetisch. Als der Film fertig ist, hat er ihn zugleich auch überwunden und hinter sich gelassen. Er begreift, daß er nie wieder solche Filme machen wird. Die Produktion von Filmen wird danach nur noch als sekundäres Moment politischer Praxis betrachtet. Die Verbindung von politischem Anspruch und schöpferischem Gebrauch von Filmsprache konnten zu diesem Zeitpunkt kaum geleistet werden. Die Ablehnung der bürgerlichen Filmkunst und Ästhetik brachte nicht automatisch eine revolutionäre Ästhetik hervor, die auch Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Schönheit beinhaltet hätte. Gestalterische Probleme traten zunächst zugunsten neuer Inhalte in den Hintergrund.

Während der Notstandsgesetzgebung im Sommer 1968 wird die Filmakademie besetzt. Damit gelingt den Filmstudenten der Anschluß an die Studentenbewegung und den allgemeinen Streik der Berliner Hochschulen. Die Filmstudenten begreifen die Akademie als Arbeitsplatz und fordern die Kontrolle über die Produktionsmittel. Sie weigern sich, Zubringerdienste für die kapitalistische Bewußtseinsindustrie zu leisten. Die Akademie hatte ganz klar die Funktion, Nachwuchs für die Fernsehanstalten und die Filmindustrie heranzuziehen. Jede Extravaganz eines Autorenfilmers war in diesem Rahmen erlaubt, aber die konsequent kollektive Produktion politischer Filme stellte eine massive Bedrohung der Interessen der Akademie dar. Die Auseinandersetzung mit dem Direktorium und dem Senator für Wissenschaft und Kunst eskaliert sich und führt schließlich im Herbst 1968 zur Relegation von 18 Studenten, zu ihnen gehören auch Philip und Holger.

Das go-in beim Direktorium ist für Philip die erste politische Auseinandersetzung, auf die er sich auch physisch einläßt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ihn körperliche Gewalt nur abgeschreckt. Die Möglichkeit, sich auf diesem Weg zu wehren, mußte er erst lernen. Er tat dies bewußt und unter dem Druck der Ereignisse. Gleichzeitig bedeutete die Überwindung der Scheu vor körperlicher Gewalt auch eine Befreiung. Im Zuge der Auseinandersetzung wurde das Selbstverständnis der Filmemacher radikal in Frage gestellt. Durch die Relegation waren die 18 Studenten von den Produktionsmitteln praktisch abgeschnitten. Als der Sender Freies Berlin auf einem teach-in, das in der Uni über die Relegation veranstaltet wurde, drehen wollte, enteigneten die relegierten Studenten kurzerhand die teure 16mm Kamera.

Die Relegation beendete auch für Philip die Lebensperspektive eines erfolgreichen Filmregisseurs. Von nun an sah er in der Kamera nur noch ein Mittel im politischen Kampf – Filme als Anleitung zum Handeln und nicht mehr verselbständigte künstlerische Aussage.

Philip suchte nach einer Praxis, die außerhalb der Akademie lag. In seinem Leben gab es ein Kind, für das er jahrelang sorgte. Folgerichtig schloß er sich der Kinderladenbewegung an, die 1968 in Berlin entstanden war. Die Berliner Kinderladenbewegung war niemals nur eine Selbsthilfeorganisation. Sie stand immer im Zusammenhang mit der ganzen Studentenbewegung und begriff sich als Teil davon. Es wurde der Zentralrat der sozialistischen Kinderläden gegründet, und regelmäßige Infos herausgegeben, in denen Kindererziehung als revolutionäre Strategie für die Abschaffung des Kapitalismus diskutiert wurde. Es war klar, daß der Angriff auf Kindergärten, Schule und bürgerliche Kleinfamilie nicht zu trennen war von einem Angriff auf die gesamtgesellschaftlichen Strukturen in der BRD. Dieser Angriff auf den autoritären Staat umfaßte alle Lebensbereiche. Das schaffte ein neues Selbstbewußtsein und machte einen fähig, auch dort zu handeln, wo man sich sonst, geblendet und eingeschüchtert durch fachliche Kompetenz, abweisen ließ. Man nahm sich das Recht zu fragen und alles in Frage zu stellen.

Als Philip eines Tages einige Kinder des Kinderladens nach Hause fahren wollte, wurde die Autotür zugeschlagen und der Finger eines kleinen Mädchens im Schloß eingeklemmt und von der scharfen Kante abgetrennt. Philip raste mit dem Kind zum nahegelegenen Westendkrankenhaus, wo die Ärzte meinten, man müsse, um der sauberen Arbeit willen, den Rest des Fingers auch noch abtrennen. Wir hatten damals in der Peking-Rundschau alle von den großartigen Operationen der Chinesen gelesen und meinten, was die Chinesen können, müßte auch hier möglich sein, und man solle den Finger wieder annähen. Die Ärzte ließen sich auf keine Diskussion ein, da nahm Philip das Kind und raste zu der Stelle, wo der kleine Fingerteil in einen Gully gefallen war. Er suchte ihn zwischen dem Laub heraus, packte ihn in ein Tempotaschentuch und fuhr zu einem anderen Krankenhaus, in dem ein Freund arbeitete. Der Finger wurde angenäht, nach einigen Jahren war von der Narbe nichts mehr zu sehen.

Ich erwähne das nicht, um den Mythos eines Sozialhelden aufzubauen. Es geht eher darum, aufzuzeigen, daß Handeln damals von dem Bewußtsein bestimmt war, daß das, was notwendig ist, auch möglich sein muß.

Die politische Diskussion im Kinderladen stellte nicht nur die herrschenden Machtstrukturen in Frage, sie führte konsequenterweise auch zu alternativen Lebens- und Reproduktionsformen. Die meisten Genossen lebten 1967/68 noch in Kleinfamilienzusammenhängen - so auch Philip. Aber auch für ihn wurde der Widerspruch zwischen privater und politischer Existenz immer größer. 1969 führte sein Weg über die Kommune 2 in die ehemalige Fabriketage der Schönberger Grunewaldstraße 88. Die Diskussion um die Organisationsfrage im Sommer 69 hatte viele alte Gruppen gespalten. Viele Genossen glaubten, sich nur noch durch marxistisch-leninistische Organisationsansätze "proletarisieren" zu können und liquidierten ihre antiautoritäre Vergangenheit. Philip war immer ein Gegner zentralistischer Ansätze und sah in autonomen Stadtteilgruppen eine größere Chance, aus dem Ghetto der Studentenpolitik auszubrechen. Die Schaffung von Gegenöffentlichkeit war für ihn dabei ein entscheidender Punkt.

Die 18 relegierten Studenten hatten inzwischen einen Musterprozeß gegen die Akademie gewonnen. Sie wurden zwar nicht wieder aufgenommen, aber dafür finanziell entschädigt. Einige verlebten das Geld in Berlin, andere fuhren nach Indien, Philip kaufte sich eine Halbzoll-Video-Anlage. Die semi-professionellen Magnet-Aufzeichnungsgeräte waren damals gerade auf den Markt gekommen und es hatte sich schnell ein Mythos gebildet über das, was alles damit gemacht werden konnte.

In der Fabriketage in der Grunewaldstraße 88 sollte alternatives Leben, alternative Reproduktion und alternative Öffentlichkeitsarbeit miteinander verbunden werden. Man wollte als politische Gruppe zusammen leben, Geld verdienen und nach außen auftreten. Alternativ wurde nicht als rückwärts gewandte Utopie oder Rückzug in vorkapitalistische Lebensformen verstanden, sondern als kämpferischer gesellschaftlicher Anspruch, der fast aus einer Position der Stärke kam.

Das Projekt in der Grunewaldstraße 88 wurde zum Teil dadurch finanziert, daß ein anderer Genosse und Philip nachts Taxi fuhren. Im Winter 1970 war auch Holger Meins, der im gleichen Bereich arbeiten wollte, in die Grunewaldstraße gezogen. Es entstanden Pläne für eine Gegen-Abendschau, die in Stadtteilläden gezeigt werden sollte. Mit der elektronischen Kamera konnte man, ohne Zeitverlust durch die Entwicklung der Filme, aufzeichnen und wiedergeben. Es sollten besonders lokale Belange, über die in der Abendschau offiziell berichtet wurde, aus eigner Sicht kommentiert und ergänzt werden. Die Verbindung von mitgeschnittenen Fernsehaufzeichnungen und Eigendarstellung des gleichen Sachverhalts schien eine ideale Möglichkeit, die herrschende Informationspolitik durchschaubar zu machen.

Parallel zur Filmarbeit wurde die Underground­Zeitung 883 eine Zeitlang in der Grunewaldstraße hergestellt und von dort aus vertrieben. Diese Zeitung wechselte ihre Herausgebergruppe oft, aber sie gehörte zu den bekanntesten und dauerhaftesten alternativen Zeitungen, die es in der Westberliner Linken je gab. Sie bezog immer entschiedende Position gegen die dogmatischen K-Gruppen, verfiel allerdings ins andere Extrem, jeden aktionistischen Ansatz hochzujubeln. Einige Zeit erschien die 883 mit dem Untertitel "Kampfblatt der kommunistischen Rebellen". Der Rebellentypus war die politische Kämpfergestalt, mit der sich die Gruppe um die 883 und auch Philip am stärksten identifizierte. In ihr waren noch all die antiautoritären Momente der Studentenbewegung vereinigt, aber es zeichnete sich auch schon der Weg politischer Praxis ab, den Philip einige Jahre später als den einzig für ihn gangbaren betrachtete. Als am 4. mai 1970 die Amerikaner in Kambodscha einmarschierten und in Kent (USA) 4 Studenten bei einer Demonstration erschossen werden, gehen in der Nacht darauf im Amerikahaus in Berlin die Scheiben zu Bruch. Zwei Leute aus der Grunewaldstr. und ein anderer junger Genosse werden verhaftet und bleiben ein Jahr lang in Untersuchungshaft, danach werden sie freigesprochen. – Ein Jahr auch hebt ein Schuster aus der Gegend eine Tasche auf, die die verhaftete Genossin zuvor zur Reparatur gegeben hatte. Er freut sich, als er sie schließlich zurückgeben kann. –

Von nun an wird die Grunewaldstr. 88 zur offiziellen Anlaufstelle für die Polizei. Nach der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 wird zum erstenmal mit gezogener Pistole durchsucht. Später gehören M Ps? zur Standardausrüstung, um schlafende Kinder aus den Betten zu holen. Die Verbindung von sog. "normalem Leben" - z.B. ein Leben mit Kindern - und politischer Praxis im Fabrikgebäude des zweiten Hinterhofs der Grunewaldstraße 88 hat bei den Bewohnern des Häuserblocks eine Sympathie geschaffen, die auch die massiven und brutalen Polizeieinsätze, die ab Frühjahr 1970 folgten, nicht zerstören konnte. Trotz der spektakulären Aktionen der Staatsgewalt, die die Leute aus der Fabriketage als gemeingefährliche Kriminelle abstempeln sollten, wurde mit dem gesamten Häuserblock ein Streik gegen den Hausbesitzer organisiert, durch den die Miete drastisch reduziert wurde. Die Bewohner aus dem Häuserblock kamen gerne zu den Mieterversammlungen. Für die meisten war dies die einzige Gelegenheit, aus ihrer Anderthalb-Zimmer-Wohnungs-Einsamkeit herauszukommen. Das Zerrbild, das die Presse von den Leuten aus dem zweiten Hinterhof zeichnete, war für sie unwichtig, denn es hatte sich Vertrauen entwickelt durch die Kinder und durch die Offenheit, mit der ein anderes Leben nach außen hin vertreten wurde.

Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem immer perfekter werdenden Polizeiterror wuchs – und gleichzeitig auch das Bedürfnis sich zu wehren und nicht ohnmächtig zu bleiben. Das Leben in einem Haus, dessen Türen zu jeder zeit von der Polizei aufgebrochen werden konnten und auch wurden, war immer unerträglicher geworden. Als im August 1970 die gesamte Wohnung in der Grunewaltstr. verhaftet wurde, waren nach der Entlassung im September für Philip und Holger die Weichen gestellt. Für Philip war klar, daß er alles dransetzen würde, nie wieder ins Gefängnis zu kommen. Bei Holger ging der Abbau der legalen Existenz schnell – bei Philip dauerte es länger. Es war für ihn schwieriger, Bindungen zu lösen, die jahrelang viel für ihn bedeutet hatten. Der haß auf eine Gesellschaft, die menschliches Glück verbietet und die Angst davor, eines Tages Opfer dieser Gesellschaft zu sein, brachte ihn schließlich dazu, sein Bedürfnis nach Wärme und Zärtlichkeit und seine Gefühle für die Menschen, die er liebte, einem politischen Leistungsdruck zu beugen. Er zwang sich seine individuellen Bindungen an Menschen zugunsten einer abstrakten Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit zu verdrängen – nur so konnte er die Trennung schaffen.

Nach der Haftentlassung entsteht noch ein Video-Film, „reißt die Mauern ein – holt die Menschen raus“, der erste und einzige, der sich mit der Situation der politischen Gefangenen in der BRD und Westberlin befaßt. Die Ton-Steine-Scherben schreiben dafür ihr Gefangenenlied. Der Film wurde auf einem teach-in über die Black-Panther gezeigt und sollte bewußt machen, daß es auch bei uns politische Gefangene gibt, was manche linken Gruppen damals gern übersahen. Der Tagesspiegel registrierte den Film einen Tag später als "Terrorfilm".

1971 verläßt Philip die Grunewaldstr. und unterrichtet noch einige Zeit an der Hochschule für Bildende Künste im Bereich visueller Kommunikation. Dann folgt der sukzessive Rückzug. Es geschieht das, was man mit so vielen ehemals vertrauten Genossen erlebt hat: man lebt zusammen, man trennt sich, man sieht sich noch manchmal, dann immer seltener und schließlich gar nicht mehr. Und eines Morgens schlägt man die Zeitung auf, sieht die Fahndungsbilder und begreift und hofft nur noch aufs Überleben.

Philip hat versucht, sich im Untergrund eine neue "legale" Existenz aufzubauen. Er ist in die Fabrik gegangen, das war eine politische Entscheidung, die mit dem, was auf dem Parkplatz in Köln-Gremberg geschehen sein soll, nicht zusammenpaßt. Aber auch er hat es nicht geschafft zu überleben. Nach der Entführung von Peter Lorenz wurden Täter gesucht - Philip sollte einer von ihnen sein. Aber niemand kann sich erklären, wie man jemanden in Berlin entführen kann, wenn man bei Klöckner-Humboldt - Deutz in Köln an der Stanze steht.

Philip lebt weiter - nicht an den Wänden der Universität, aber in der Erinnerung der Bewohner des Häuserblocks der Grunewaldstr. 88, die sich nicht abschrecken ließen, zu einem Menschen zu halten, den sie kannten und dem sie vertrauten.

[aus: Ein ganz gewöhnlicher Mordprozess? Zum Prozeß gegen K.H.Roth und Roland Otto und der Erschießung Philipp Werner Saubers, Köln 1977] http://www.libertad.de/inhalt/spezial/holger/werner-sauber.shtml

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