Edward Bellamy
Looking Backward 2000-1887


Gliederung



Edward Bellamy wurde am 26.März 1850 als Sohn eines Babtistenpredigers in dem kleinen Ort Chicopee Falls in Massachusetts geboren. Während seines Jurastudiums besuchte er Europa und verbrachte ein Jahr in Dresden. Dort lernte er die Schattenseiten der Industrialisierung kennen. Er bricht daraufhin sein Studium ab und wendet sich dem Journalismus und der Schriftstellerei zu. In den Jahren zwischen 1875 und 1884 veröffentlichte Edward Bellamy mehrere Kurzgeschichten und seine Romane "The Duke of Stockbridge" (1879), "Dr. Heidenhoff’s Process" (1880) und "Miss Ludington’s Sister" (1884).

Diese Romane und Erzählungen, die meistens über die geistigen und religiösen Unruhen der Jahrzehnte nach dem amerikanischen Bürgerkrieg berichteten, gehören in der heutigen und auch damaligen Zeit nicht zur großen Weltliteratur. Erst durch sein Werk "Looking Backward 2000-1887" errang Edward Bellamy Weltruhm. Seine Utopie ist eines der einflußreichsten Werke des 19.Jahrhunderts, von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden und welches in viele Sprachen übersetzt wurde. Die deutsche Erstausgabe erschien 1890 mit dem Titel "Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887".

Dabei sah es zum Anfang nicht nach einem großen Erfolg aus, sondern eher danach, daß "Looking Backward 2000-1887", wie die anderen vierzig vorher erschienen Utopien in Amerika, in der Versenkung verschwinden würde. Viele günstige Umstände, die später unter Punkt 4. noch genauer zu betrachten sind, verhalfen Bellamys Utopie zu dem Erfolg, den sie heute hat.

Bellamy glaubte an die Möglichkeit einer evolutionären Verwirklichung seiner in "Looking Backward 2000-1887" geschilderten Konzepte. Edward Bellamy konnte mit seinen Artikeln in "The Nationalist" (1889-1891) und "The New Nation" (1891-1894), aber vor allem mit seiner Folgeutopie "Equality" (1897) nicht an "Looking Backward 2000-1887" anschließen. Er stirbt am 22.05.1898 an Tuberkulose in seinem Geburtsort.

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2.1. Geschichtliche Einflüsse

Am 21.10.1878 erläßt Bismarck die sogenannten Sozialistengesetze. Diese Gesetze richten sich gegen die Vereine, "die durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen" den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezweckten. Für Bismarck und viele andere Zeitgenossen ging von den Sozialisten eine Revolutionsgefahr aus, die unbedingt bekämpft werden mußte. So verbot er mit seinem Gesetz jegliche revolutionären Vereine, Versammlungen und deren Druckschriften. Weiterhin konnten Ausweisungen gegen Personen, welche die Ordnung gefährdeten, verhängt werden und sozialdemokratischen Funktionären ein bestimmter Aufenthaltsort vorgeschrieben und zugewiesen werden.

Clara Zetkin schrieb in ihrem Vorwort zur Neuauflage von "Looking Backward 2000-1887" von 1914: "Als Bellamys ‚Rückblick‘ in Deutschland bekannt wurde, lastete der letzte Druck des Sozialistengesetzes auf dem geistigen und politischen Leben der Arbeiterklasse. Mit Begeisterung und ohne allzu strenge künstlerische Kritik nahm man damals jede Veröffentlichung auf, in der etwas vom Geiste des Sozialismus lebte und atmete."

In Bellamys Heimatland führten die Auswüchse der Industriellen Entwicklung zwischen 1880 und 1990 zu einigen Wirtschaftskrisen. Er war darüber beunruhigt, wie viele andere Schriftsteller. Dazu gehörte auch Mark Twain. Der schrieb 1873 das Buch "The Gilded Age". Dieser Buchtitel gab einer ganzen Epoche den Namen, der seither auch in der Geschichtsschreibung allgemein gebräuchlich geworden ist. "Der schreiende Kontrast zwischen dem immensen Reichtum der Industriemagnaten und dem Elend der großstädtischen Slumquatiere, die sich unter dem Druck der Immigranten immer weiter ausdehnten, führte zur Artikulation einer scharf anklagenden Sozialkritik." Walt Withman in "Democratik Vitas" (1871), Henry George in "Progress and Provertie" (1879) oder Jakob Riis in "How the other half lives" und natürlich Edward Bellamy in "Looking Backward 2000-1887" (1888) äußerten sich kritisch zu diesen Thema.

Weiterhin führte auch der große Einwanderungsstrom, der sich in der Zeit von 1870 – 1880 auf insgesamt 2,8 Millionen belief, zu sozialen Unruhen. So kam es z.B. im Sommer 1877 zu einem Aufstand bei der Baltimore & Ohio Eisenbahn, der sich bald zu einer nationalen Streikaktion ausbreitete. Es kam in dessen Verlauf mancher Orts zu schweren und blutigen Zusammenstößen zwischen Arbeitern und Ordnungskräften.

Die Arbeiter selbst waren uneinig in ihren Zielsetzungen. Zwischen Immigranten und Eingesessenen und vor allem zwischen den Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen herrschte vielerorts bittere Zwietracht und Rivalität. Vor allem aber bestand kein proletarisches Klassenbewußtsein: Der amerikanische Arbeiter war freizügiger als der europäische, er wechselte seinen Job leichter und hoffte stets, nach "oben" zu gelangen und schließlich selbst zum Unternehmer zu werden. Wer diese Hoffnung aufgab, bezeugte den Verlust des Glaubens an den "American Dream" von den unbegrenzten Aufstiegsmöglichkeiten des arbeitenden einzelnen.

Betrachtet man die offizielle Innenpolitik der amerikanischen Bundesregierung in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, so kann man feststellen, daß sie den vielen privaten Bemühungen um Linderung der sozialen Ungerechtigkeit keine tatkräftige Unterstützung zugute kommen ließ. Sie verhielt sich hier ebenso passiv wie in der Kontrolle des Großkapitals.

In dieser Zeit kam es zu Gründungen von Arbeiterbewegungen und Parteien, die aber nie lange Bestand hatten. Da die Einzelstaaten in ihrer Fabrik- und Arbeitergesetzgebung völlig autonom waren, wurde die gewerkschaftliche Initiative in den verschiedenen Industriezentren mit sehr verschiedenartigen Bedürfnissen und Aufgaben konfrontiert.

Die erste Organisation, die das Bedürfnis nach einem kollektiven Verhandlungsinstrument befriedigte, war "Order of the Knights of Labor". Diese Organisation war gelernten Arbeitern aller Branchen zugänglich. Sie erlangte ab 1880 an Bedeutung, da sie Streikaktionen durchzuführen begann und damit erfolgreich war. Doch schon im Jahre 1886 begann der Niedergang als Folge des blutigen Haymarket - Aufruhrs. Dieser Aufruhr wurde zwar von einer Anarchistengruppe provoziert, aber der "Order of the Knights of Labor" zur Last gelegt.

Es ist zu erkennen, daß die Vereinigten Staaten nach dem Bürgerkrieg eine Periode ihrer Geschichte durchlebten, die von einem nie zuvor in solchem Ausmaß verwirklichten Triumph des individuellen Unternehmungsgeistes, der Abenteuerlust und des Geschäftssinnes bestimmt war. Doch nicht nur geschichtliche Ereignisse scheinen Edward Bellamy beeinflußt zu haben, sondern auch Werke anderer Schriftsteller jener Zeit.

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2.2. Literarische Einflüsse


Edward Bellamy bestritt bis zum Ende seines Lebens, daß er durch andere Literatur oder Politik zu seinem Buch inspiriert wurde. Er behauptete stets nur durch eigene Erlebnisse und Erfahrungen einen "sozialen Plan" erstellt zu haben, den er dann in seiner utopischen Geschichte niedergeschrieben hätte.

Doch es scheint so, als ob Edward Bellamy nicht ganz ehrlich war, denn R.L. Shurter widerlegt in seinem Buch "The Utopian Novel in Amerika: 1865-1900" diese Behauptung. Shurter nennt in seinem Buch drei Werke, die vor Bellamys Buch erschienen sind und im wesentlichen die selben Thesen beinhalten. So scheint Bellamy Anregungen aus Ismar Thiusen’s Werk "The Diothas" - erschienen 1883, August Bebel’s "Womans in the Past, Present and Future" sowie dem Traktat "The Cooperative Commonwealth" (1884) des dänischen Immigranten und Ökonomen Laurance Gronlund entnommen zu haben. Besonders Gronlund’s Traktat wies teilweise eine totale Gleichheit mit Bellamys Ansichten auf. Shurter argumentierte daraufhin:

"As a matter of fact, ‘Looking Backward 2000-1887’ is actually a fictionalized version of ‘The Cooperative Commonwealth’ and little more."

Weiterhin ist bekannt, daß Edward Bellamy nicht der erste amerikanische Befürworter des Sozialismus gewesen ist, wie durch Shurter bewiesen wurde. Auch in Deutschland gab es schon um 1840 die ersten Vertreter. Die wohl bedeutendsten dieser Zeit waren Karl Marx und Friedrich Engels. So wird Bellamy unserer Meinung nach bestimmt Marx’s Werke "Das Manifest der kommunistischen Partei" (1848), "Das Kapital" (1867) und Engels Werk "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" (1883) gelesen haben oder wenigstens davon gehört haben.

Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, daß Edward Bellamy durch den Inhalt von "Looking Backward 2000-1887", kombiniert mit seinem eigenen Schreibstil (Schläferutopie), erfolgreicher war als andere Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.

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3. Zum Buch "Looking Backward 2000-1887"


Als sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung der Vereinigten Staaten und die Entwicklung des Monopolkapitalismus in einem stürmischen Tempo vollzogen und gleichzeitig mit aller Schärfe die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zutage traten, da erschien vielen Menschen ein Buch wie Edward Bellamys "Looking Backward 2000-1887" (1888) wie ein Leitfaden zu einer besseren, vernünftigeren, sozialistischen Welt. "'Looking Backward 2000-1887' steht als Utopie, d.h. als literarische Manifestation einer möglichen Gesellschaft, in der an Zahl kaum überschaubaren Reihe von Staatsfiktionen, die in der Antike mit Platons "Politeira" beginnt und noch heute - zuweilen in Verbindung mit Elementen der Science-fiction, wie bei Doris Lessing- sich fortsetzt, die ernst genommen werden muß und zu faszinieren vermag."

Meistens versuchen Utopien die jeweils erfahrene Realität mit einem positiven Gegenbild zu konfrontieren. Utopien können sich aber auch ganz ins Negative begeben und der ohnehin schlechten Welt eine noch schlechtere Vision präsentieren, mit dem Ziel vor möglichen Entwicklungen zu warnen. Diese Art von Utopie nennt man "Anti-Utopie" oder" Dystopie". Deren bekanntestes Beispiel ist wohl George Orwells "1984".

Edward Bellamy wählt die "positive" Variante der Utopie. Das Buch kommt aus dem Bereich der Schläferutopien. Der Stil des Buches wechselt häufig zwischen Charakteristika einer Liebesgeschichte und den Charakteristika von Dialogen und Predigten, die Formen eines Führer-Erzähler-Dialoges und der Predigt annehmen.

Bei Bellamy ist die Liebesgeschichte zweitrangig, sie ist schmückendes Beiwerk. In erster Linie geht es ihm um den Entwurf eines utopischen Staates, wie er ihm vorschwebte. Der Plot des Buches entspricht einem geläufigen Muster des utopischen Erzählers. Er erläutert mit einer kurzen Darstellung die Verhältnisse in der aktuellen unvollkommenen Realität.


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3.1. "Looking Backward 2000-1887"


Bellamy beginnt seine Utopie mit einem Vorwort, welches auf den 26. Dezember 2000 datiert ist. (Anzumerken ist, daß der 26. Dezember der Geburtstag von seiner Hauptfigur Julian West und der seines eigenen Sohnes Paul ist.) Er wendet sich an das Publikum der Bostoner Shawmut Universität des Jahres 2000, um ihnen die politischen Entwicklungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorzuführen. Dies geschieht mit Hilfe der Lebenserinnerungen des Herrn Juli-an West, dem er im folgenden das Wort erteilt.

West berichtet von den Zuständen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, aus dem er aber durch einen tiefen Schlaf, der am 30. Mai 1887 begann, in die Zukunft versetzt worden ist. Er macht einige generelle Impressionen über das Zusammenleben der Menschen dieser Zeit. Er geht dabei besonders auf die Beziehung zwischen armen und reichen Menschen ein und ver-sucht diese Beziehung zu erklären, in dem er die damalige Gesellschaft mit einer riesenhaften Kutsche vergleicht. Vor der Kutsche befinden sich die armen Menschen. Diese ziehen diese Kutsche, deren Kutscher der gestrenge Hunger war.

In der Kutsche befindet sich die reiche Oberschicht, die nie ausstieg um z.B. an steilen Anstiegen zu helfen. Nach dem Kutschenreglement konnte jeder seinen Sitz überlassen, wem er wollte, aber andererseits gab es manche Zufälle, durch welche ein Sitz verloren gehen konnte. Denn obschon diese Sitze sehr bequem waren, so waren sie doch sehr unsicher. Bei jedem plötzlichen Stoß flogen Personen aus der Kutsche und fielen zu Boden, wo sie sogleich gezwungen wurden, den Strick zu ergreifen um die Kutsche, in der sie noch kurz zuvor bequem gefahren sind, fortziehen zu helfen.

Julian West gehört ebenfalls zu den Personen, die in der Kutsche sitzen. Er vertreibt seine Zeit mit Müßiggang und Gesprächen über die gärende Situation, die u.a. seine Heirat mit seiner Braut Edith Bartlett hinauszögert, da durch die anhaltenden Streiks sein Haus nicht fertig gebaut werden kann. Entspannung vor all diesen Unruhen findet West nur in seinem schalldichten, unterirdischen Schlafzimmer. Dort läßt er sich häufig von seinem Arzt hypnotisieren, da er an chronischer Schlaflosigkeit leidet. So geschieht es auch am 30. Mai 1887. Julian West läßt sich erneut von seinem Arzt in den Schlaf versetzen, doch in dieser Nacht sollte sich sein Leben schlagartig verändern. Sein Haus brennt nieder und sein ergebener Diener hat keine Chance mehr seinen Herren zu wecken. Julian wird erst 113 Jahre später bei Baumaßnahmen gefunden und erwacht im Boston des Jahres 2000. Dort findet er sich in der Obhut des gütigen Dr. Leete und dessen Tochter, die sich später als eine Nachfahrin von Julians einstiger Braut entpuppt, wieder. West glaubt zuerst an eine Verschwörung seiner Freunde, die von seinem geheimen Schlafgemach erfahren haben könnten und ihn damit auf die Gefahren des Hypnoseschlafes aufmerksam machen wollen. Doch Dr. Leete ist es dann auch, der Julian nach und nach über die neuen Verhältnisse im Jahre 2000 informiert.

Der Staat des Jahres 2000 ist ohne Revolution zustande gekommen. Bellamy deutet nur vage an, wie dieser utopische Zustand erreicht wurde. Im 20. Jahrhundert wurde die Menschheit von Vernunft und Gemeinsinn erfaßt und beschloß die Errichtung eines genossenschaftlichen Staatswesens.

"Das heißt, die Nation organisierte sich zu dem einen großen Geschäftsverband, in welchem alle anderen Verbände eingegliedert wurden; sie wurde der einzige Kapitalist anstelle aller anderen Kapitalisten; der einzige Unternehmer, der letzte Monopolist, der alle früheren und kleineren Monopole verschlang, ein Monopolist, an dessen Gewinn und Ersparnis alle Bürger teilhatten... Mit einem Wort, das Volk der Vereinigten Staaten beschloß, die Leitung seines Geschäfts selbst in die Hand zu nehmen, geradeso wie es hundert Jahre zuvor die Leitung seiner Regierung selbst in die Hand genommen hatte, indem es sich jetzt zu industriellen Zwecken auf genau derselben Grundlage organisierte, auf welcher es sich damals zu politischen Zwecken organisiert hatte".

Das phantastische sozialistische System des Jahres 2000, wie es von Dr. Leete beschrieben wird, umfaßt völlige ökonomische Gleichheit, völlige Nationalisierung (Verstaatlichung) der Produktionsmittel und des Verteilungsapparates. Die Grundlage des neuen Staatswesens ist eine allgemeine Arbeitspflicht. So sind die Menschen in einer "Industrial Army" organisiert, welche eindeutige Analogien zu einer militärischen Organisation aufweist.

Dr. Leete skizziert in den Kapiteln VII und XII diese industrielle Armee als ein System der Sicherstellung eines effizienten Managements für die Produktion und Distribution, eines starken Solidaritätsgefühls, das von allen geteilt wird, und der Existenz und Aufrechterhaltung einer an den Verdiensten orientierten Hierarchie. Es gilt gleicher Lohn für alle. So wird jedem Bürger ein vollkommen gleicher Kreditrahmen zugebilligt und somit gewährleistet, daß es theoretisch keine ökonomische Hierarchie mehr gibt. Das nötigste für den Lebensunterhalt wird aus zentralen Güterdepots über jene Kreditkarte beschafft. Die Versorgung geschieht über ein weit ausgebautes Rohrsystem.

Nach Abschluß der umfassenden staatlichen Ausbildung rückt jeder Bürger im Alter von 21 Jahren in die industrielle Armee ein. In den ersten drei Jahren muß jeder als gemeiner Arbeiter dienen. Ihre Vorgesetzten können diesen neuen Rekruten "jede Arbeit" zuteilen. (Julian West trifft einen von ihnen der als Kellner arbeitet.) Auf diese Weise erreicht der Staat, daß weniger beliebte Tätigkeiten ebenfalls verrichtet werden und niemand sich dabei benachteiligt fühlt. Mit Ausnahme dieser Durchgangsperiode ist alle Arbeit freiwillig, da der vernunftbeherrschte Mensch im eigenen Interesse den Beruf ergreifen wird, für den er am besten geeignet ist. Selbst Julian West findet seine Berufung, er wird Professor für Geschichte des 19. Jahrhunderts.

Die Arbeitsuche kann bis zum 30. Lebensjahr andauern, denn dieser Prozeß beinhaltet mehrere Testverfahren, Ausbildungen und Lehrverhältnisse. Bis jeder einzelne Mensch seinen Beruf gefunden hat, wird sein Fortkommen in der industriellen Armee durch eine Reihe von Rängen und Dienstgraden bestimmt, die Einsatz, Können und Leistung widerspiegeln und durch symbolische Abzeichen angezeigt werden. Mit 45 Jahren betritt man gewöhnlich das Rentenalter, aber die Bürger unterliegen einer "besonderen Einberufung" bis zum Alter von 55 Jahren. Zu den Ausnahmen gehören Personen, die in der Forschung, Regierung und Verwaltung arbeiten. So hat auch nur eine Spitzengruppe der über fünfundvierzigjährigen Einfluß auf die Besetzung der Führungsämter und auch hier kann jeder nur innerhalb seines Spezialgebietes abstimmen.

Der Präsident z.B. wird aus der Zahl der zehn Leiter der großen Berufsgenossenschaften gewählt. Die zehn kommandierenden Generäle oder Leiter der Berufsgenossenschaften werden aus der Zahl der Generäle derjenigen Einzelgewerbe gewählt, aus denen sich die Berufsgenossenschaft zusammensetzt.

Dr. Leete versucht Julian West zu erklären, daß die Männer und Frauen durch stärkere Wünsche motiviert werden, ihre Arbeit aufzunehmen. Das Streben nach Geld, wie im 19. Jahrhundert, steht nicht mehr im Vordergrund. Ihre Motivation beruht auf dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Eine weitere Motivationsquelle ist mit der Frage der Arbeitsverteilung verbunden. Die unpopulärsten und gefährlichsten Beschäftigungen haben sehr geringe Arbeitszeitanforderungen und bringen große Ehre ein. So behauptet Dr. Leete auch, daß es in ihrer Gesellschaft keine Korruption gibt. "Korruption ist ausgeschlossen in einer staatlichen Gesellschaft, wo es weder Armut gibt, die bestochen werden kann, noch Reichtum, der zu bestechen vermag, und wo durch die Art und Weise, wie man die höheren Stellen besetzt, Demagogentum und Stellenjägerei unmöglich gemacht werden."

Nachdem die Männer und Frauen das 45. Lebensjahr erreicht haben, nutzen sie diese Zeit zum genießen. Sie gehen Hobbys und Neigungen nach, für die sie sich interessieren. Aber auch im alltäglichen Leben werden für die Bevölkerung gehobene Bedürfnisse befriedigt. So lassen sich z.B. alle Musikprogramme sowie die Gottesdienste aller Religionsgemeinschaften in den Häusern empfangen. Weiterhin kann sich die Literatur, durch das Bestehen der sozialen Spannungen und Verhältnisse ihres bisherigen Hauptthemas beraubt, nun wieder mit dem Thema aller Themen beschäftigen, nämlich der Liebe.

Bei seinen Gesprächen mit Dr. Leete, lernt Julian West dessen Tochter Edith Leete immer besser kennen und es entwickelt sich daraus mehr als nur eine gute Freundschaft. Beide sind anfangs sehr zurückhaltend und erst bei einem erneuten Besuch der Schlafkammer werden sie sich ihrer Gefühle bewußt. Julian West ist emotional sehr aufgewühlt als ihn die Erinnerung dort einholt. Edith tröstet ihn und baut ihn wieder auf. Daraufhin gesteht er ihr letztendlich seine Liebe. Wie sich sogar später herausstellt, ist Edith eine Urenkelin von Julian Wests Braut aus dem 19. Jahrhundert.

Doch ein Traum scheint ihr gemeinsames Glück zu zerstören. In diesem Traum erwacht Julian West wieder im Boston des 19. Jahrhunderts. In seinem Schreck glaubt er, diese ganzen Erlebnisse im 20. Jahrhundert nur geträumt zu haben. Da er sich inzwischen immer mehr zu einem Mitglied der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, erscheint ihm die einst vertraute Stadt mit deren Zeitungen, Werbeanzeigen, Geschäften, Wohnhäusern und sogar seine Braut Edith Bartlett und deren Familie als schrecklich und fremd. West sieht das alte Boston mit neuen Augen. Für ihn ist es nur noch ein Alptraum. Zum Glück erwacht er wieder im 20. Jahrhundert und kehrt dorthin mit neuen Erkenntnissen zurück. Seine letzten Zweifel an dem System des 20. Jahrhunderts sind verschwunden und er fügt sich freiwillig wenn auch unverdient der neuen Gesellschaft. Denn eine schönere Aufgabe wäre es für ihn gewesen, die Sache der gekreuzigten Menschheit des 19. Jahrhunderts gegen ein höhnendes Geschlecht der Oberschicht zu verfechten, als hier aus Quellen zu trinken, die er nicht erschlossen, und von Bäumen zu essen, deren Pfleger er einst gesteinigt hat.


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4. Warum ist "Looking Backward 2000-1887" so populär ?


Eindrucksvolle Verkaufszahlen und Statistiken über die Häufigkeit der Ausleihe an Bibliotheken, längere internationale Bibliographien der Ausgaben von "Looking Backward 2000-1887", Zeitschriften, literarische Utopien und wissenschaftliche Arbeiten sowie die Aufnahme in unseren Kulturkurs zeigen deutlich die Wirkung von Looking Backward. Doch diese Aufzählung von Fakten erklärt nicht, warum Looking Backward so einflußreich war. Wir wollen die Frage beantworten, indem wir die äußeren Umstände untersuchen, die dazu beitrugen, aus "Looking Backward 2000-1887" eine amerikanische Erfolgsutopie zu machen.

Es sah zum Anfang nicht nach einem großen Erfolg aus, sondern eher danach, daß "Looking Backward 2000-1887", wie die anderen vierzig vorher erschienen Utopien in Amerika, in der Versenkung verschwinden würde. "Looking Backward 2000-1887" wurde 1888 vom Bostoner Verlag Ticknor und Company veröffentlicht und es verkaufte sich schlecht. Im Jahre 1888 wurden nur 35000 Exemplare verkauft. Nicht einmal eine Veröffentlichung einer Taschenbuchausgabe konnte den Absatz steigern. Erst nachdem der Verlag Houghton/Mifflin Ticknor und Company aufkaufte und eine korrigierte Auflage auf den Markt brachte, stieg der Verkauf in-nerhalb von zwei Jahren auf 213988 verkaufte Exemplare an. Zu diesem rasanten Anstieg der Verkaufszahlen trug eine attraktivere Ausgabe als die von Ticknor und Company bei. Mark Twain bemerkte einmal: "...daß,...die erste Ausgabe... so ungefähr das am schlimmstens nach Skrofulose aussehenste und heruntergekommenste Buch war, das ich jemals zu Gesicht bekam."

Houghton/ Mifflin konnten eine attraktivere Ausgabe herstellen, da sie die finanziellen Mittel dazu hatten und auf Prestige bedacht waren. Weiterhin löste ein Räumungsverkauf in einem Bostoner Warenhaus das Interesse an "Looking Backward 2000-1887" aus. Eine Utopie für ein paar Cent war damals ein gutes Geschäft.

Nachdem sich das Buch nun endlich ordentlich verkaufte, waren es Rezensionen (einflußreiche Besprechungen wurden in Atlantic, Literary World und Forum veröffentlicht), Bostons erster Bellamy – Club sowie das sich immer besser entwickelnde internationale Netz solcher Fangemeinden, die effektivere Verkaufsförderung betrieben. Dabei war es nicht ganz unbedeutend, daß oftmals bekannte Persönlichkeiten wie W.D. Howells in Amerika und Clara Zetkin in Deutschland unter den Mitgliedern solcher Clubs waren. Verbindungen mit solchen gut be-kannten und respektierten Personen erhöhte das Ansehen Bellamys und machte sein Buch über die Angehörigen der Arbeiterklasse hinaus populär.

Einflußreiche Viktorianer hofften, daß ihr Wertesystem an zukünftige Generationen durch ein Buch besonders gut weitergegeben werden könnte. Die Revolution im Druckereigewerbe zwi-schen 1830 und 1850 hatte sie in Reichweite eines ungeheuer großen Publikums gebracht.

Von daher war das späte 19. Jahrhundert eine große Epoche didaktischer Schriften aller Art: Anleitungen zur Kindererziehung, Bücher über Haushaltsführung und sogar Witzesammlungen, die den Menschen beibringen sollten amüsant zu sein. Doch vieles davon war schlecht geschrieben und schlecht durchdacht und wurde als Schund abgelehnt. "Looking Backward" war eine geeignete Antwort auf dieses Problem. Es war eine unterhaltsame, fiktionale Anleitung zum Bau der Zukunft. Besonders interessant waren die Konzepte, die Bellamy in "Looking Backward 2000-1887" aufgriff und diskutierte. Seine Betonung der "absoluten und unveränderlichen" ökonomischen Gleichheit als ein Recht der menschlichen Existenz unterschied sein Buch von anderen Utopien des späten 19. Jahrhunderts.

Die Schaffung von mehr Gleichheit unter den Amerikanern war zwar das bedeutendste Ziel der meisten amerikanischen Utopisten, doch die Einbeziehung der Strukturen des Sozialismus, dessen Grundlage völlige ökonomische Gleichheit darstellte, war selten, ja fast einzigartig zu dieser Zeit.

Dieses einzigartige und neue Charakteristikum von "Looking Backward 2000-1887", kombiniert mit Andeutungen verwandter alternativer Auffassungen, wie der Betonung der Selbstverwirklichung und der Erholung anstatt lebenslanger Arbeitsmoral und der Mannigfaltigkeit alternativer Technologien, Wirtschaftsformen, religiöser Überzeugungen, Vorgehensweisen der Regierung, Geschlechterrollen und der Einstellung zur Erziehung, die von der ökonomischen Gleichheit abhingen, stellte Kontrastpunkte zur Verfügung, derer sich Bellamy bediente, um das Leben im Amerika des 19 Jahrhunderts als unmoralisch, ineffizient und unsinnig, das Leben im staatssozialistischen Boston des Jahres 2000 dagegen als moralisch, effizient und vernünftig erscheinen zu lassen.

Bellamy beabsichtigte, Klarheit, Hoffnung und Lösungsvorschläge anzubieten. Er wollte aber auch seine Leser verwirren und ihre selbstgefälligen Einstellungen zu ihrer Epoche dadurch zerstören, indem er Elemente der Grausamkeit und des Wahnsinns in ihrer Kultur hervorhob. Ein gutes Beispiel dafür ist die berühmte Kutschen- Analogie in Kapitel I.

Genauso wollte er erreichen, daß sich seine Leser schuldig fühlen sollten. Sie sollten sich ebenso schuldig wie Julian West fühlen, weil er nicht half, Amerika umzugestalten. Er versuchte die alltäglichen Details der Produktion, Distribution und Motivation herauszuarbeiten, wogegen viele seiner Kritiker, einschließlich William Morris, nur vage Andeutungen bezüglich der Organisierung und Aufrechterhaltung eines nationalen Arbeitskräftepotenzials anbieten konnten. Bellamy bezog auch kluge Details anderer Aspekte des Funktionierens der Lebenswelt seiner Utopier ein: z.B. das ausgeklügelte System von Auslieferungsröhren, Einrichtungen für Kreditaustausch, sowie ein Netz von Markisen über den Bürgersteigen, das spazierengehende Bostoner vor dem Regen schützen sollte.

Diese Details zogen die Aufmerksamkeit auf das Buch, verstärkten Bellamys Betonung der Gleichheit und ließen seine Utopie verständlich und Glaubhaft erscheinen. Der Gebrauch christlicher Konzepte und auch christlicher Rhetorik, Appelle an den amerikanischen Wettbewerbsgeist, die attraktive Figur der sentimentalen weiblichen Heldin Edith Leete und die überzeugenden Gefühlsregungen des Julian West, die es den Lesern erlauben, sich so zu fühlen, als reisen sie selbst mit einem glaubwürdigen Begleiter durch Utopia, schafften weitere Vertrautheit.

Bellamy läßt West die Utopier von der Existenz des 19. Jahrhunderts überzeugen. Diese Umkehrung hat zwei bedeutsame Effekte. Wests anfängliche Kommentare über das 19. Jahrhundert bewirkten, daß Bellamys Leser des 19. Jahrhunderts sich den fiktiven Zuhörern des 20. Jahrhunderts überlegen fühlten, da die wirklich existierenden Menschen davon ausgingen, ihr Jahrhundert zu kennen. Doch genau dann beginnt West mit beunruhigenden rhetorischen Fragen, welche die Mißstände des 19. Jahrhunderts anprangern. So nach und nach verlieren die Leser ihre Sicherheit und beginnen über ihre Situation nachzudenken. Die Anwendung dieser literarischen Form hilft die Unglaubwürdigkeit der konventionellen Ansichten des 19. Jahrhunderts zu entlarven.

Der somit entstehende Gesamteffekt von "Looking Backward 2000-1887" besteht darin, die fiktive Welt des Jahres 2000 wirklich und vertraut, die des 19. Jahrhunderts dagegen verwirrend und unwirklich erscheinen zu lassen. Letztendlich wird man niemals genau sagen können, warum Looking Backward so populär und einflußreich war, obwohl die oben genannten Bedingungen sicherlich mit zum Erfolg beigetragen haben.


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5. Ergebnisse und Reaktionen auf "Looking Backward"

Das Buch rief gleichermaßen amerikanische politische Aktionen sowie literarische und politische Reaktionen überall auf der Welt hervor. In einem Deutschland, das von Wilhelm II. regiert wurde, der versuchte, die etablierten sozialistischen Organisationen zu unterdrücken, war die Reaktion auf Bellamy eine völlig andere als die in einem Amerika, wo Gewerkschaften in ihren Anfängen steckten, Sozialisten eine Seltenheit waren, und die Bellamyclubs Leser der Mittel- und Oberschicht anzogen. In Wirklichkeit war die Reaktion auf Bellamy in Amerika ebensosehr von Hoffnung wie von Verzweiflung abhängig. Die Amerikaner waren verwirrt, und viele litten in den Phasen der wirtschaftlichen Depression.

Die deutlichste politische Reaktion in Amerika waren die Gründungen von Bellamy- und Nationalisten- Clubs. Sie zogen eine verschiedenartige und einflußreiche Mitgliedschaft an. So gehörten z.B. dem ersten Club in Boston reformerische Verleger, Generäle im Ruhestand, Theosophen, christliche Sozialisten (wie W.D. Howells), Frauenrechtlerinnen und "radikale Kulturkritiker" an.

Noch bedeutender war, daß Bellamy das Konzept der Regierungsverantwortung für das politische, ökonomische und soziale Wohlergehen des Volkes populär machte. Seine Sicht der Regierung beeinflußte in sehr starkem Maße Franklin D. Roosevelts Administration und andere Architekten des modernen Wohlfahrtstaates. Dieser Einfluß hilft zu erklären, warum 1935 der Philosoph John Dewey, der Historiker Charles Beard und der Verleger Edward Weeks der Mei-nung waren, daß von allen Büchern, die seit 1885 veröffentlicht worden waren, nur Karl Marx’s "Das Kapital" mehr zur Gestaltung des Denkens und Handelns der Welt beigetragen habe.

Bellamys internationaler Widerhall wurde in mehr als Literatur überführt. Viele Bewegungen wurden von Bellamy beeinflußt und die Verschiedenheit der Arten der internationalen Reaktionen war in Deutschland besonders deutlich. Studien beschreiben die ungeheure Popularität von "Looking Backward 2000-1887" in Deutschland, wie sie in Rezensionen, Vorträgen, Sachbüchern, literarischen Utopien, positiven und negativen sozialistischen wie auch nichtsozialistischen Erwiderungen und natürlich in zahlreichen Ausgaben von "Looking Backward 2000-1887" zum Ausdruck kommt. Einige deutsche Sozialisten gingen sogar soweit, daß sie Bellamy - Slogans auf ihre Fahnen schrieben.....


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5.1. Versuche "Looking Backward 2000-1887" zu verwirklichen


Der wohl bekannteste Versuch, Bellamys Konzepte durchzusetzen, war die sowjetische Planwirtschaft. Sie sollte in der Sowjetunion ihrem Anspruch nach die volkswirtschaftlichen Produktions-, Investitions-, Innovations- Verwendungs- und Verteilungsprozesse und die aus ihnen resultierenden sozialen Veränderungen umfassend und zentral steuern. Planwirtschaft galt als grundlegende Methode zur Verwirklichung der Wirtschaftspolitik, die auf allseitigen Ausbau der Produktivkräfte und volle Befriedigung der geistigen und materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung gerichtet sein sollte.

In der Realität war die Umsetzung dieser Vorstellung jedoch von erheblichen Schwierigkeiten begleitet. Erste Ansätze entwickelten sich im Kriegskommunismus (Erster Weltkrieg). Mitte der 20-er Jahre wurde dann ein neuer Anlauf unternommen, die Grundgedanken der Planwirtschaft zu realisieren. Man begann mit einem System von Kontrollziffern und Fünfjahrplanentwürfen die Möglichkeit von Planwirtschaft zu erproben. Letztendlich kristallisierte sich ein System von drei Planformen heraus. Ein Generalplan, der auf 10-15 Jahre angelegt war und Grundlinien wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen vorgab, sollte den Rahmen für Perspektivpläne bilden, die fünf Jahre umfaßten. Die konkrete, operative Planung schließlich sollte im Rahmen von Jahresplänen erfolgen.

In der Realität aber hatte der Generalplan keine Bedeutung. Die eigentliche Planungsarbeit erfolgte im Rahmen der Jahrespläne, die sehr oft den im Fünfjahresplan vorgegebenen Rahmen korrigierten. Die Planungsorgane wurden mehrfach umstrukturiert, im Prinzip fanden zentrale, wirtschaftspolitische Entscheidungen im Politbüro, Zentralkomitee und Ministerrat statt. Der zentralen Planungsebene stand die Betriebsebene gegenüber, auf der im Rahmen der Vorgaben der vorgeordneten Stellen die konkrete Produktionsplanung erfolgte. Die einzelnen Funktio-nalorgane (z.B. Staatskomitees für Wissenschaft und Technik, Materialversorgung, Preise usw.) wurden phasenweise durchaus unterschiedlich gewichtet. Unter Chrucev wurde die regionale Komponente stärker betont, während später größeres Gewicht bei den Ministerien der einzelnen Industriezweigen lag.

Die Planwirtschaft zeigte im Verlauf ihrer Geschichte Stärken und Schwächen. Einerseits ermöglichte sie es, politisch gesetzte Prioritäten wirtschaftlich durchzusetzen (z.B. den raschen Ausbau einer schwerindustriellen Basis, Verhinderung von Arbeitslosigkeit), andererseits erwies es sich, daß Bürokratie, unkorrektes Verhalten von Betrieben und zunehmende Komplexität wirtschaftlicher Prozesse die optimale Ressourcenkalkulation immer wieder verhinderten. In der Perestrojka wurden die Elemente der zentralen Planung immer wieder geschwächt. In den Wirtschaftsreformprogrammen des Jahres 1990 und dem Antikrisenprogramm von 1991 wurde Planwirtschaft als Konzept weitgehend von sozial orientierter Marktwirtschaft abgelöst. In der Realität dominierten allerdings nach wie vor Strukturen und Denkweisen, die in den Jahrzehnten von Planwirtschaft geprägt wurden.

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6. "News from Nowhere"


Doch wie so vieles im Leben, hatte auch Edward Bellamys "Looking Backward 2000-1887" nicht nur wohlwollende Befürworter. Es gab auch Menschen, die von den Ausführungen Bellamys nicht sonderlich begeistert waren. Angefeindet wird "Looking Backward grundsätzlich von konservativer Seite, der auch Bellamys Eintreten für die Emanzipation der Frau nicht behagte. Zu deutlich war ihnen Bellamys Prinzip der Toleranz. Einer dieser Kritiker, war ein ebenfalls erfolgreicher Zeitgenosse Edward Bellamys: der Engländer William Morris.

Er war Zeit seines Lebens ein eigenwilliger, oft auch eigensinniger Verfechter seiner Ideen, der im Gegensatz zu vielen seiner sozialistisch gesinnten Freunde keine Kompromisse mit dem bestehenden System schließen wollte. Er war von der Notwendigkeit einer revolutionären Änderung der Gesellschaftsordnung (im Sinne von Karl Marx) überzeugt. Bellamys Utopie dagegen ist eine Version eines Paradieses, die bei einem Engländer wie William Morris auf schärfste Ablehnung stieß. In einem Brief an seinen Freund Bruce Glasier schrieb er:

"I suppose you have seen or read, or at least tried to read Looking Backward. I had to on Saturday, having promised to lecture on it. Thank you, I wouldn’t care to live in such a Cockney paradise as he imagines."

Edward Bellamys "Looking Backward 2000-1887" war also der Anstoß für Morris‘ Utopie "News from Nowhere". Dort versucht er seine entschärfte Variante einer besseren Welt darzustellen. In seiner Besprechung von Looking Backward in Commonweal , dem Organ der Socialist League – in dem auch "News from Nowhere" erschien – verlieh er seinen Vorbehalten gegen Bellamys Utopie deutlichen Ausdruck. Ihn störten vor allem der "bürokratische und technokratische Perfektionismus und die unkritisch- enthusiastische Bewunderung allen technischen Fortschritts"

William Morris gehörte zu den Autoren des 19 Jahrhunderts, die zwar eine radikale, revolutionäre Veränderung der bestehenden Verhältnisse unterstützen, sich als Ziel der Menschheitsgeschichte aber eine Rückkehr zur Natur erhofften.


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7. Schlußwort


Ironischerweise kann die Tatsache, daß sich die Welt nicht auf dem von Bellamy vorgezeichneten Kurs zu befinden scheint, in Zusammenhang mit seiner Brillianz gebracht werden. Er hat erfolgreich seine radikale Alternative so vielen unterschiedlichen Menschentypen vertraut gemacht, daß es unwahrscheinlich, ja fast utopisch wäre, wenn seine Anhänger jemals die gleiche Interpretation und Durchführung seiner Utopie im Sinn gehabt hätten. Tatsächlich bekämpften sich sogar Mitglieder des Bostoner Bellamy-Clubs. Es war einfach für jeden Leser zu leicht, seine eigenen Reformvorstellungen auf den Text zu übertragen.

Die letztendliche Ironie der Wirkung von "Looking Backward 2000-1887" ist es jedoch, daß es für Bellamy ein Glücksfall sein könnte, daß er keine einheitliche Anhängerschaft gewinnen konnte. Solch eine Bewegung hätte durchaus eine Stadt reformieren oder ein Staat schaffen können. Aber solche Bewegungen sowohl in der Geschichte, z.B. der Sowjetunion, oder in der Literatur werden oft zu Opfern stagnierender Bürokratien und veralteten Ideologien. Bellamys Traum wird dieses Schicksal niemals ereilen. Statt dessen hat er viele unterschiedliche Reformer wie die amerikanischen Populisten im Westen, englische Fabianer, deutsche Sozialdemokraten und indische Theosophen inspiriert und wird es auch weiterhin tun.

Dieses Buch ist als utopischer Roman unbedingt zu empfehlen. Es liest sich, trotz der detaillierten technischen und wirtschaftlichen Darstellungen, sehr flüssig und macht neugierig auf mehr Antworten zu den Problemen der damaligen Zeit. Es stellt eine provokante aber auch einfache Methode dar, an der Selbstverständlichkeit unserer Lebensweise zu rütteln. Looking Backward wird Leser fortdauernd dazu zwingen, ihre vertraute Umgebung auf neue Art und Weise zu erfahren. Einige Leser mögen nach dem Lesen von Bellamys Utopie nicht so schuldgeplagt sein wie Julian West. Aber sie werden niemals wieder eine Zeitung, eine Werbeanzeige, eine berufliche Tätigkeit, ja vielleicht sogar ihr Leben auf genau die gleiche Art wahrnehmen, nachdem sie mit den Inhalten von "Looking Backward 2000-1887" konfrontiert worden sind.

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Abstract

Edward Bellamy’s Looking Backward talks of an economic system of the 21st century. The book explains his view of the future wich is dominated by only one monopoly. The story takes place in Boston in the year 1887. This story is told by Julian West. He is an insomniac and he falls asleep in a special chamber under his house. There he was put in a kind of trance by his butler. At this nigth his House was burning down and nobody could wake him up until he was found by Dr. Leete in the year 2000.

Julian has now the chance to see what happend if the human kind make a positiv change. Dr. Leete guide him truth Boston 2000.

Bellamy’s view of this future is similar, and yet very different from today’s society. He explain how the great corporations of the late 1800’s grew bigger and stronger, forming monopolies trough pools or trusts. This left no room for new smaller businesses to expand in the different industries. Because of the problem of the total control of the industries by monopolies, Bellamy thought that in the future the government would take over the responsibility of all the industries and become one huge monopoly.

In his book he explains that the needs of the people were met by the government. The labour problems of the last century were eliminated because all the jobs were used to be benefit of the society through the distribution of the government.

Edward Bellamy’s twentieth century society in Looking Backward appears to be the perfect utopia. It shows the transformation of the United States from a living hell into a heaven on earth.

This paper will show you the influence and the effects of Edward Bellamy’s Looking Backward. We look for reasons why Looking Backward became such an important utopia and why the people in the whole world are so fascinated by this utopia.


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Literaturverzeichnis

Edward Bellamy, Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887, Reclam

Françios Bondy, Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Band I, 2. Aufl. 1989, Harenbergs Lexikon Verlag, Dortmund

Gerhardt Taddey, Lexikon der deutschen Geschichte, 2. Aufl. 1983; Alfred Kröner Verlag, Stuttgart

Hans Joachim Torke, Historisches Lexikon der Sowjetunion 1917/22 – 1991, C.H. Beck Verlag 1993, München

Hans R. Guggisberg, Geschichte der USA, 3. Aufl. 1993, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart

Hubert Zapf, Amerikanische Literaturgeschichte, J.B. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar 1997

Dr. Irmfried Hiebel, Literatur der Arbeiterklasse, Band I, Aufbau – Verlag, Berlin und Weimar 1974

Klaus Z. Berghahn/ Hans Ulrich Seeber, Literarische Utopien von Morus bis zur Gegenwart; 2. Aufl. 1986; Äthenäum Verlag GmbH, Königsstein/ Ts.

- daraus:

- Kenneth M. Roemer, Bellamy : Looking Backward,S. 146ff

- Egon Schwarz, Skinner : Walden Two, S. 220ff

- Hans Ulrich Seeber, Zum Begriff der ‚Gegenutopie‘, S. 164ff

- Hans Ulrich Seeber, Wells : The Time Maschine/ A Modern Utopia

Walter Jens, Kindlers Neues Literaturlexikon, Band II, Kindler Verlag GmbH, München 1989

Werner Conze, Volker Hentschel, Deutsche Geschichte- Epochen und Daten; 5. Aufl. 1991; Ploetz Verlag, Freiburg

Werner Habicht, Der Literatur Brockhaus, Band A – F, F.A. Brockhaus Verlag, Mannheim 1988

Wolfgang Biesterfeld, Die literarische Utopie, Band 127, 2. Aufl., J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 1982

Wilhelm Voßkamp, Utopieforschung, Erster Band 1985, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Stuttgart

Willi Erzgräber, Utopie und Anti- Utopie; 2. Aufl. 1985; Wilhelm Fink Verlag, München

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