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Signale aus Salzteig

Die 3. Berlin Biennale gibt sich beleidigt, weil das große Hauptstadtversprechen der Neunziger nicht eingelöst wurde

VON SILKE HOHMANN

Es gab eine Zeit, da ließ sich das Versprechen auf die funkelnde, wilde, weite Zukunft ganz einfach zu einem fünfmarkstückgroßen Loch in der Wand verdichten: Im dritten Stockwerk der Kunst Werke? hatte Sean Snyder es für die erste Berlin Biennale ungefähr in Augenhöhe in die Wand bohren lassen, um den Blick freizugeben auf den prächtigen, in einiger Entfernung genau im Zentrum des runden Bildausschnitts liegenden Fernsehturm, der verheißungsvoll glitzerte wie eine Discokugel und mit seinen unglaublichen Proportionen und den weiß-roten Streifen kühn aussah und glamourös. Wenn das Brandenburger Tor für die neue Republik stand, so stand der Turm östlich davon, mittiger, als symbolischer Funkmast einer neuen Welle, die künftig das kreative Programm angeben würde in Europa. Das war 1998, und die erste Berlin Biennale unter dem Titel "Berlin Berlin" ein selbstbewusstes, selbst ernanntes Projekt zur Dokumentation des künstlerischen Lebens der Stadt abseits der Institutionen.

Inzwischen ist viel passiert: Teilnehmer dieser ersten Show wie Tobias Rehberger oder Olafur Eliasson, die ihre Arbeiten damals im morbiden Alten Postfuhramt zeigten, stellen längst auf den großen, etablierten Biennalen wie der in Venedig aus und geben damit dem vorausschauenden, optimistischen Statements des damaligen Leiters Klaus Biesenbach Recht. Von hier aus ist wirklich eine Menge passiert, bloß hat sich das am Standort selbst offenbar nicht zufriedenstellend niedergeschlagen, sonst wären heute alle ein bisschen weniger desillusioniert. "Berlin Berlin" indessen ist eine schon wieder vergessene Vorabendserie, der Fernsehturm wird in Miniatur als Lifestyle-Stafette in Restdeutschland herumgereicht, während der silbrig-futuristische Schimmer des Zentrums einem feuchtkalten Grau gewichen ist.

Miefig wie Berliner Luft

Das Versprechen, so heißt es, sei nicht eingelöst worden. Aber anstatt sich zu beschweren und auf den Tisch zu hauen oder wenigstens die Enttäuschung zu überspielen und so zu tun, als habe man ohnehin gerade was ganz anderes Interessantes vor, kramt die Biennale nun mit einer trotzigen Mischung aus Selbstmitleid und Selbstvergewisserung das ganze Programm "Vor-während-und-nach-der-Wende" wieder hervor. Wenn etwa Filmbeiträge wie Ich bin meine eigene Frau von Rosa von Praunheim gezeigt werden, die heute schon historisch wirkenden Fotografien von Thomas Struth von ostdeutschen Straßenzügen oder die Mauerfall-Fotos von Ulrike Ottinger, dann zeichnet das Kuratorium ein so abgenutztes Berlin-Bild nach, dass es fast ist, als hätte man Berliner Luft in Flaschen abgefüllt.

Hat man auch. Die Parfum-Kollektion der Norwegerin Sissel Tolaas hat den Titel "No So Ea We?", vier (Himmelsrichtungen, verstanden?) Flaschenhälse pro Falkon, und wenn sie per ausführlicher Wandbeschriftung darüber informiert, dass es im Westen nach Kaschmir und Geld riecht, während der Norden geschwängert ist vom Odeur billigen Alkohols, dann ist diese Art der künstlerischen Transformation von urbanen Zuständen noch oller als die Feststellung, dass Latte Macchiato in Mitte jetzt das neue heiße Ding ist.

Wie Kaschmir riecht, davon dürften die Arbeiter, deren Kleider Bojan Sarcevic sorgsam zusammen gefaltet und mit Dreck bestäubt hat, kaum eine Ahnung haben: Blaumänner, aus der Mode gekommene Sweatshirts und Acrylpullover liegen wie Auslegware auf Tischen aus und vereinen zwischen Sozialdokumentation, Ästhetisierung von Alltäglichem und demonstrativem Verweis auf die künstlerische Produktionsweise die Merkmale zeitgenössischer Kunst, wie sie auf den Biennalen und Manifestas der letzten Jahre häufig zu sehen war.

Keine Hits aus der Hauptstadt

Überhaupt spielt Bekleidung als Träger von soziokulturellen Informationen auf der 3. Berlin Biennale eine überproportionale Rolle: Angefangen von Wickelröcken, die mit Botschaften wie "Feminismus" bedruckt sind, und die sich laut Herstellerangabe auch als Transparent auf Demonstrationen verwenden lassen, über ein Laufstegvideo des belgischen Designers Walter van Beirendonck, der nach Jean-Paul Gaultier als der offensivste Schwule der Modebranche gilt, bis hin zur ausgiebig vertretenen Berliner Modemacherin Regina Möller, die Damenmode aus Geschirrhandtüchern entwirft, wird dem Thema wenig Überraschendes abgewonnen. Fehlt beim großen Berlinbeweis bloß noch der Popvorteil: 1992 drehten Rolf S. Wolkenstein und Christoph Dreher die Dokumentarreihe Lost in Music für 3Sat, Arte und ZDF. Eine Folge über die Loveparade und eine über die produktiv-dilettantische Szene der frühen Achtziger werden wie dekorative Fußnoten gezeigt, denn akustisch zu verstehen sind die parallel laufenden Beiträge, platziert in einem Bühnenbild des Chefausstatters der Volksbühne, Bert Neumann, nicht.

Nicht nur räumlich ist die Biennale in die Institutionen wie den Martin Gropius Bau vorgerückt, sondern weist auch in formalen Fragen eine gewisse Gewichtigkeit auf: Der preisgünstige Kurzführer im Taschenbuchformat und der flankierende Katalog voller Geschichte und Theorie folgt der Methodik der documenta-11-Publikationen, und auch das feierliche Veröffentlichen der an sich nicht besonders spannenden Künstlerliste mehrere Wochen vor Ausstellungsbeginn ist sonst Praxis der Großbiennalen. Die einst als Pionierveranstaltung angelegte Independent-Ausstellung versteht sich nicht mehr einer subjektiven Standorttopografie verpflichtet, sondern hat sich das Große Ganze vorgenommen: Berlin, die Stadt, aus der es, glaubt man der Berlin Biennale, wenig Neues und schon gar nichts Subversives mehr zu berichten gibt.

Dabei ist es zu einfach, zu behaupten, das Versprechen Berlin sei nicht eingelöst worden. Hätte schließlich die Erfüllung der ganzen Neuziger-Jahre-Verheißung lauter dicke, glückliche Künstler in Jaguar Coupés hervorgebracht, wäre der Nährboden für alle Nachwachsenden längst übersättigt und tot.

Dass die Stadt sich nicht als ständiger Hitlieferant zur Verfügung stellt, dass der uneingeschränkte Glaube an den subjektiven Standpunkt als künstlerische Materialbasis zu Recht ein bisschen zurück genommen werden musste, dafür revanchiert sich die Biennale nun beleidigt mit einer merkwürdig historisierenden Schau, als sei die Gegenwart nach dem großen Ausverkauf nicht mehr groß der Rede wert und der Signale vom rot-weiß-silbernen Sendemast nur noch ein gleichförmiges Murmeln. Wie im Andenkenladen stehen im Martin Gropius Bau die Multiples der pittoresken Siegessäule aus goldbemaltem Salzteig.

Berlin Biennale, Martin Gropius Bau, Kunst Werke? und Kino Arsenale, bis zum 18. April. Weitere Informationen unter: www.berlinbiennale.de

[ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 13.02.2004 um 16:52:18 Uhr Erscheinungsdatum 14.02.2004

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