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Berlin ist wie Washington.

Und Washington ist tot.

Der Architekt Peter Eisenman über den jüdischen Sinn für Selbstironie, deutsche Überempfindlichkeit, Kompromisse und die Nächte von Berlin

Reich: Herr Eisenman, Sie sind Jude und wurden kürzlich beschuldigt, antisemitisch zu sein. Wie ist das für Sie?

Eisenmann: Sehr eigenartig ist das. Haben Sie den Aprilscherz über mich in der Zeitung gelesen?

Nein.

Oh, Sie müssen das unbedingt lesen. Es war in der taz, glaube ich. Da stand in einer Meldung, dass Peter Eisenman eine Honorarprofessur für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität erhält. Und alle haben das geglaubt. Michael Blumenthal, der Direktor des Jüdischen Museums, hat mich angerufen und mir gratuliert. Ich habe gesagt: Michael, das war ein Witz. Und Wolfgang Thierse hat angerufen und noch viele andere, die den Witz nicht verstanden haben.

Hat Sie das verletzt?

Nein. Ich bin nicht politisch korrekt. Ich mache mich über Schwarze lustig, über Chinesen, Juden, Deutsche, ich mache mich über mich selbst lustig. Du kannst nicht immer nur so ernst und korrekt durchs Leben gehen. Dann greift diese Haltung auf die ganze Gesellschaft über, und politisch korrekt zu sein wird zur Ursache dessen, wogegen Political Correctness ursprünglich war. Es wird zur bestimmenden Daseinsart. Wir sind ja schon auf dem besten Weg dahin. Man muss heutzutage ständig aufpassen, was man sagt und was man macht. Einem Studenten fasse ich zum Beispiel auf die Schulter und sage: Hey, beruhige dich! Oder irgend so was. Bei einer Studentin mache ich das nicht. Ein Professor darf seine Studentinnen nicht berühren.

Und Sie dürfen als Architekt eines Holocaust-Mahnmals keine Witze über den Holocaust machen.

Das mit Degussa war kein Witz. Überhaupt nicht.

Was war es dann?

Folgendes ist passiert: Das Mahnmal-Kuratorium hat getagt, und wir haben wieder über Degussa diskutiert. Degussa ist die Firma, die den Oberflächenschutz für die Stelen des Mahnmals herstellt und deren Tochterfirma im Dritten Reich Giftgas geliefert hat. Und ich habe mich bekanntlich dagegen ausgesprochen, dass Degussa vom Bau des Holocaust-Mahnmals ausgeschlossen werden soll, nur weil ein Subunternehmer vor über sechzig Jahren an verwerflichen Taten beteiligt war. Ich habe gesagt, niemals vergessen heiße nicht, nie zu vergeben. Ich meine, warum sind wir plötzlich gegen Degussa? Und nicht gegen die Deutsche Bank oder die IG Farben? Wo sollen wir anfangen und wo sollen wir aufhören? Ich habe gesagt, dass das wirklich keine vernünftige Diskussion ist. Und auf der Kuratoriumssitzung kam das alles wieder hoch. Dabei war das Thema eigentlich schon längst abgeschlossen. Sie müssen verstehen, ich war extra aus New York nach Berlin gekommen, nur um wieder zwei Stunden über das gleiche Problem zu reden. Irgendwann hat es mir gereicht. Ich habe mich gemeldet und gesagt: Wissen Sie was, ich war neulich beim Zahnarzt und der hat gesagt: Peter, ich hab gehört, du hast Ärger in Deutschland. Sage diesen Leuten, du hast Degussa in deinem Mund. Alle deine Füllungen sind von Degussa.

Das hat Ihr Zahnarzt wirklich gesagt? In den Zeitungen klang es immer mehr wie ein Witz.

Ja natürlich hat er das gesagt. Er hatte über die Debatte in der New York Times gelesen, es stand auf der ersten Seite. Und er weiß, es war nicht ich, der den Ärger verursacht hat, sondern Degussa. Degussa ist eine große Firma hier. Die machen Brücken und Füllungen und so. Gehen Sie zum Zahnarzt hier in New York? Fragen Sie ihn! Ihre Füllungen kommen sicher auch von Degussa.

Aber Lea Rosh und Alexander Brenner haben gedacht, Sie machen einen Witz über das Zahngold und haben den Raum verlassen.

Oh ja. Das war ein großes Missverständnis. Die waren ganz verstört von meiner Unsensibilität. Ich habe aber nicht von Zahngold gesprochen. Ich wusste gar nicht, dass Degussa dafür verantwortlich gewesen sein soll, Gold aus den Zähnen der KZ-Häftlinge entnommen zu haben.

War die Diskussion auf Englisch?

Nein, auf Deutsch.

Sprechen Sie Deutsch?

Nein, ich hatte einen Dolmetscher. Vielleicht war es ein Verständigungsproblem. Es hat mir auf jeden Fall sehr Leid getan. Ich wollte keinen Unmut stiften. Dafür habe ich mich auch entschuldigt. Ich habe einfach eine Tatsache dargestellt. Das würde ich mit meinem heutigen Wissen nicht mehr machen. Ich habe eine Lektion gelernt. Du kannst so etwas nicht in Deutschland sagen. Ich passe jetzt mehr auf, wem ich was sage. Hier, in diesem Land, verhält man sich einfach anders als in Deutschland. Das ist ganz normal. Ich benehme mich in New York auch anders als in Arizona, wo ich morgen hinfliege, weil wir da ein Stadion bauen.

Wie benehmen Sie sich denn in Arizona?

Ich bin zurückhaltender, nicht so gerade heraus. Das Thema, jüdisch zu sein, wird dort nie angesprochen. Es ist ein sehr konservativer Ort.

Sind Sie jetzt auch vorsichtiger, wenn Sie nach Berlin kommen?

Ich bin nicht vorsichtig. Das ist ein großes Problem. Ich müsste eigentlich immer darauf achten, was die Zeitungen, denen ich Interviews gebe, über das Mahnmal denken. Was für ein Spiel gespielt wird. Ich weiß natürlich, wenn Focus anruft, dann suchen die nach irgendwas Schmutzigem, deswegen bin ich bei Focus vorsichtiger oder beim Stern. Wenn die Frankfurter Allgemeine anruft oder die ZEIT, weiß ich, dass die fair sind. Aber ich bin wohl immer noch zu unvorsichtig. Bei der jüdischen Gemeinde in Berlin spüre ich ständig diese Angst, dass ich wieder daneben haue, wieder irgendetwas sage, was ich nicht sagen darf. Ich weiß auch nicht. Ich habe ein sehr problematisches Verhältnis zu meiner eigenen jüdischen Identität. Das ist nicht so leicht zu verstehen.

Können Sie es erklären?

Ich bin in einer sehr seltsamen Familie aufgewachsen. Meine Großmutter wurde am 4. Juli 1876, dem 100. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung, in den USA geboren. Ihre Eltern waren aus Strassburg. Sie hätte sagen können, dass sie aus einer französischen Familie kommt oder einer amerikanischen, aber sie hat darauf bestanden, deutsch zu sein. Deutsche Juden im Ausland sind eigenartige Menschen. Sie sind deutscher als Deutsche. Wir hatten Weihnachtsbäume bei uns zu Hause. Mein Vater war ein Linker, fast ein Kommunist, er ist nie in den Tempel gegangen. Ich wusste nicht, was Chanukka und Seder ist, ich habe nicht Bar-Mizwa gefeiert. Ich habe zweimal geheiratet, beide Frauen sind nicht jüdisch. Meine Kinder gehen nicht in die Synagoge, ich auch nicht. Ich würde mich selbst mehr als metaphysischen Juden denn als religiösen Juden bezeichnen.

Heißt das, Sie fühlen sich nicht jüdisch?

Lassen Sie es mich so sagen: Ich habe mit meinem Therapeuten viel über mein jüdisches Problem geredet. Und ich bringe es langsam fertig zu sagen: Ich bin jüdisch. Ich meine, ich schwenke keine Fahnen oder so, auf denen steht, dass ich jüdisch bin. Michael Blumenthal hat einmal gesagt, er fahre als Amerikaner nach Deutschland und komme als Jude zurück. Mir geht das ständig so. Ich fahre als amerikanischer Architekt nach Berlin und kehre als jüdischer Architekt nach New York zurück. Die Deutschen versuchen, so nett zu Juden zu sein und so gut, sie haben Angst, etwas Falsches sagen. Das ist diese Political Correctness. Da fühlst du dich gleich viel jüdischer. Haben Sie schon mal "Curb your Enthusiasm" mit Larry David gesehen?

Ja, natürlich. Das ist diese Comedy-Show auf dem Kabelsender HBO, in der ein älterer jüdischer Herr pausenlos in absurde Situationen gerät.

Können Sie sich an die Folge über den Holocaust-Survivor erinnern? Wo Larry David mit einem Survivor, einem Überlebenden, zum Essen eingeladen ist. Und er denkt, das ist jemand, der den Holocaust überlebt hat, aber in Wirklichkeit ist der Survivor ein junger, durchtrainierter Kandidat aus der Reality-Show "Survivors".

Und der Kandidat streitet sich dann mit einem alten Juden, der im KZ war, wer Schlimmeres erlebt hat, wer der größere Survivor ist.

Genau. Wenn Sie das gesehen haben, verstehen Sie, was ich meine. Das ist jüdischer Humor, das ist der Sinn fürs Selbstironische. Als ich gesagt habe, ich habe Degussa in meinem Mund, war das ironisch gemeint. Ich wollte niemanden angreifen. Larry David oder Woody Allen oder Mel Brooks hätten so etwas auch gesagt. Ich wollte schon die Videokassetten von "Curb your Enthusiasm" rüber nach Deutschland schicken.

Meinen Sie, die Deutschen würden diese Art von Humor verstehen?

Ich kann mir vorstellen, dass es gut wäre, "Curb your Enthusiasm" auch in Deutschland zu zeigen. Und es wäre sicher gut für die jüdische Gemeinde dort. Michael Blumenthal findet das auch. Aber ich fürchte, sie finden es nicht lustig. Deutschland überreagiert bei solchen Sachen. Ich denke, es ist verkehrt, so zu tun, als sei nichts geschehen. Aber diese Überempfindlichkeit ist auch nicht hilfreich. Man muss nach vorne blicken. Geschichte ist Geschichte. Du kannst ihren Lauf nicht verändern.

Es gab ja mal den Anspruch, dass die Debatte um das Holocaust-Mahnmal Teil des Mahnmals selbst ist. Was halten Sie davon?

Ich denke, die Debatte über den Holocaust ist sehr wichtig. Ich schätze das sehr, auch wenn die deutsche Presse das vielleicht nicht so darstellt. Diese Kuratoriumssitzungen sind unvergleichlich. Da ist der Bundestagspräsident anwesend, Vertreter aller Parteien und jüdischen Gruppen. Zwanzig Leute, die alle sechs Wochen zu diesen Sitzungen kommen. Das würde es hier nie geben. So etwas wie das Holocaust-Mahnmal im Zentrum von New York? Die ganze Diskussion darum? Die Überlegung, Architektur als kulturelles Phänomen zu betrachten? Niemals. Allein die Tatsache, dass wir dieses Interview haben. Ich meine, ich treffe mich jetzt in Berlin mit Richard Bernstein, dem Berliner New York Times Korrespondenten. Er hat mich vorher noch nie interviewt.

Die New York Times hat bisher überhaupt wenig über das Mahnmal berichtet.

Die New York Times ist ja im Grunde eine jüdische Zeitung, und ich denke, sie wollen sich da irgendwie raushalten.

Anders die deutsche Presse.

Oh ja, und glauben Sie mir, das ist erst die Spitze des Eisbergs. Warten Sie, bis das Mahnmal eröffnet wird. Das wird ganz verrückt werden. Es wird öffentliche Zeremonien geben und so. Und jeder wird seine Meinung äußern.

Vielleicht sind dann ja die jahrelangen Diskussionen um das Mahnmal vorbei. Vielleicht ist es das Ende des Streits.

Ich weiß nicht, wie es sein wird. Ich weiß es wirklich nicht. Das Problem ist: Wie kann sich denn jemand über ein Mahnmal freuen, das dich traurig stimmen soll. Ich meine, wenn du da durchläufst, ist das nicht so, als würdest du im Park spazieren gehen. Das Mahnmal ist sehr problematisch. Das ist das, was ich daran liebe, aber für den Durchschnittsbürger ist es sicher nichts.

Ist es denn für den Durchschnittsbürger bestimmt?

Ich weiß nicht, für wen es bestimmt ist. Wenn du vom Mars kommst, würdest du dann wissen, dass das ein Holocaust-Mahnmal ist? Nein. Für mich symbolisiert das Mahnmal Leere und Schweigen. Es spricht nicht, es sagt nicht, was es ist und was es meint.

Sie haben das Stelenfeld mal mit einer Sitzung beim Therapeuten verglichen und prophezeit, dass die Stille die Menschen zum Reden bringt. Woher wissen Sie, dass es so wirken wird?

Es ist ein bisschen so wie bei einem Musiker. Er sieht die Noten und kann die Musik in seinem Kopf hören. Bei den meisten Gebäuden weiß ich, wie sie aussehen und wirken. Das hier war schwieriger. Schwieriger als alles, was wir je gemacht haben. Ich habe das Gefühl, es wird nicht angenehm werden, zwischen den Stelen herumzulaufen.

Man kann sich verlaufen.

Man kann sich nicht verlaufen. Es scheint nur so. Aber genau das wollten wir ja.

2 752 Betonstelen auf einer Fläche, so groß wie drei Fußballfelder, in einem Abstand von 95 Zentimetern. Wie sind Sie auf diese exakten Ausmaße gekommen?

Die Behindertenvertreter wollten einen Meter Abstand zwischen den Stelen.

Damit ein Rollstuhl durchpasst?

Genau. 95 Zentimeter reichen aber für einen Rollstuhl. Ein Meter erinnert mehr an den Abstand vom Spülbecken zum Herd in der Küche. Diese Entfernung schien uns zu vertraut zu sein, zu alltäglich. Wir wollten aber das Gefühl erzeugen, dass es ein bisschen zu eng ist. Wir wollten nicht die richtige Dimension. Auf keinen Fall. Holocaust-Erinnerung wird schnell kitschig und zu sentimental.

Was meinen Sie? Kinofilme?

Ja Filme, diese Besuche in den K Zs? und so. Ich wusste zum Anfang auch nicht, ob ich etwas bauen kann, das so stark ist, dass es Kitsch vermeidet. Ich habe dann den Bildhauer Richard Serra eingeladen, mit uns zu arbeiten. Und Richard hat mich davor bewahrt, Jegliches zu machen, das mit Kitsch zu tun hat. Von Richard stammt auch der Einfall, dass man in dem Stelenfeld herumlaufen kann. Das war eine sehr starke Idee.

Warum ist Richard Serra später ausgestiegen?

Wir hatten ein Treffen mit Helmut Kohl, der damals noch Bundeskanzler war und ein großer Unterstützer unseres Vorschlags. Wir dachten, das Gespräch würde nur fünf Minuten dauern, aber Kohl verlangte von uns, den Entwurf zu verändern. Er wollte, dass wir Gehwege bauen, Haine und Bänke ringsherum. Und Richard war dagegen. Er war nicht bereit, sich auf Kompromisse ein- zulassen.

Aber Sie haben Kompromisse gemacht.

Ja, das musst du. Wenn du ein Architekt bist, kannst du nicht so rigide sein. Architekten erfüllen die Wünsche ihrer Auftraggeber. Wenn jemand sagt, wir wollen eine Garage, baue ich ihm eine Garage. Ich meine, Daniel Libeskind musste hier in New York praktisch sein ganzes Projekt aufgeben.

Reden Sie mit Daniel Libeskind über Ihre Probleme in Berlin? Er hatte es dort ja auch nicht leicht mit seinem Jüdischen Museum.

Nein, wir reden nicht darüber. Ich fürchte, dass alles, was ich sage, missverstanden werden könnte. Vergessen Sie nicht, ich habe mich um Ground Zero beworben.

Und Sie haben verloren.

Ja, und deshalb wäre es nicht fair, den Siegerentwurf zu kommentieren. Wir rechnen immer damit, dass wir verlieren. Immer. Du gewöhnst dich daran. Du verlierst viel öfter, als du gewinnst.

Libeskind ist von London nach Berlin gezogen, als er das Jüdische Museum gebaut hat. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, in Berlin zu wohnen?

Ich könnte in Berlin leben, lassen Sie es mich so sagen. Ich glaube an die Diaspora. Wenn mir der Senat ein großes Gebäude wie das Max-Reinhardt-Haus geben würde, würde ich vielleicht nach Berlin ziehen. Aber bisher haben sie immer abgelehnt. Peter Strieder hat gesagt, wir bauen das nicht. Hans Stimmann hat gesagt, wir bauen das nicht. Jetzt ist Peter Strieder weg. Wir werden sehen, was geschieht. Würde ich es gerne machen? Ja. Würde ich nach Berlin ziehen und eine Weile dort leben? Ja.

Warum sind Sie nicht für das Holocaust-Mahnmal nach Berlin gezogen?

Wenn du ein kompliziertes Gebäude baust, musst du dabei sein. Du musst darüber entscheiden, was für Fenster und Wände und Klimaanlagen eingebaut werden. Für ein Mahnmal ist das nicht nötig. Wichtig ist das Design und das Material, wenn du das hast, muss nicht mehr viel entschieden werden. Das kann ich auch von hier aus machen. Außerdem sind die Jungs aus meinem Büro ständig vor Ort. Sie sind gerade erst wieder aus Berlin zurückgekommen. Haben Sie die letzten Bilder gesehen? 600 Stelen stehen schon.

Vor ein paar Jahren haben Sie mal gesagt, Sie glauben nicht daran, dass das Mahnmal je fertig wird. Sind Sie jetzt davon überzeugt?

Ja, jetzt habe ich es geschafft. Aber damals dachte ich, ich schaffe es nie. Helmut Kohl war gerade abgewählt worden, und Christoph Stölzl, Kohls Vertrauter, mit dem ich bis dahin alles abgesprochen hatte, war auch nicht mehr da. Das Mahnmal war praktisch tot.

Wie haben Sie dann Gerhard Schröder überzeugt?

Michael Blumenthal hat mich Michael Naumann vorgestellt, weil der Schröders Kulturminister war. Ich habe Naumann das Modell gezeigt. Und der hat zu Schröder gesagt, dass das Modell hervorragend sei.

In ein paar Tagen fliegen Sie nach Berlin, um auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung darüber zu reden, wie Sie als Architekt Berlin sehen. Wie sehen Sie denn Berlin?

Wissen Sie, was ich an Berlin sehr seltsam finde? Nachts ist es tot. In New York City ist Leben auf den Straßen bis drei, vier Uhr morgens. Ich finde das wundervoll, du spürst diese Energie der Stadt. Und in Berlin spüre ich das nicht. Wenn du abends nach sieben Unter den Linden entlang läufst, ist es ein fast unheimlich, so leer ist es.

Viele Leute in Berlin bleiben abends lieber zu Hause.

Ja, und wissen Sie warum? Die Stadt ist nicht dicht genug gebaut. Das Schöne am Central Park zum Beispiel sind diese sehr hohen Apartementhäuser auf allen Seiten. Es sind wunderbare Häuser. Das Gleiche würde ich mit dem Tiergarten machen. Ich würde Hochhäuser darum bauen, 20- bis 30-geschossige Wohnhäuser mit Geschäften, Restaurants und Bars. Einen belebten Ort daraus machen.

Berlin beruft sich gern auf die Traufhöhe. Es ist gar nicht so leicht, hier Wolkenkratzer zu bauen.

Die Berliner sind für mich, was du mit dem Wort "Pünktlichkeit" beschreibst. Alles ist ganz genau festgelegt. In New York ist das anders. Wenn du um drei Uhr morgens Milch brauchst, gehst du in den Supermarkt und kaufst Milch. Wenn du ein Bier willst, kaufst du dir ein Bier. Du kannst einen Hamburger um Mitternacht bekommen oder chinesisch essen gehen. Und Berlin! Nehmen Sie nur die Restaurants! In Berlin kannst du nicht essen gehen. In London, New York oder Madrid gibt es ein bestimmtes Niveau an Kultiviertheit. Und das hat vor allem mit der Dichte im Stadtzentrum zu tun. Dort wohnen Menschen.

Gehen Sie nie in Berlin essen?

Doch, meine Frau geht gerne ins Borchardt, vor allem im Sommer, weil man dort so schön im Garten sitzen kann. Michael Naumann hat seinen Lieblingsitaliener und Michael Blumenthal auch. Ich gehe am liebsten in die Paris Bar. Dort gibt es natürlich keine richtige Haute Cuisine. Es ist mehr eine Art Bistro. Aber das Gute ist, ich kann dort anrufen und bekomme sofort einen Tisch. In New York kann ich das nicht. In Berlin bin ich bekannter. Missverstehen Sie mich nicht. Berlin ist eine sehr lebenswerte Stadt. Es gibt viele Viertel, in denen du sehr gut wohnen kannst. Aber wenn du es mit London oder Madrid vergleichst, kann Berlin nicht mithalten. Und wissen Sie, das Holocaust-Mahnmal genau im Stadtzentrum zu bauen, ist eine erstaunliche Entscheidung. Es ist gut, es zu machen, ich habe dagegen gekämpft, es woanders hinzubauen, aber ich denke auch, es wird dem Leben in der Stadt nicht zugute kommen. Berlin ist wie Washington. Und Washington ist tot. Es ist eine symbolische Stadt. Ich würde dort um keinen Preis hinziehen.

Werden Sie sich in Berlin auch mit der Jüdischen Gemeinde und dem Kuratorium treffen?

Nein, dazu wird es nicht kommen. Das Treffen wurde verschoben. Ich komme gerade an einem jüdischen Feiertag nach Berlin. Wahrscheinlich trete ich damit schon wieder ins Fettnäpfchen.

Das Interview führte Anja Reich.

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