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Flick und der Kanzler

Von Jens Jessen

Wenn der Bundeskanzler tatsächlich am 21.September, wie angekündigt, zur Eröffnung der Flick Collection in Berlin sprechen sollte, wird er just jenes symbolische Bild liefern, über das sich die Kritiker der Ausstellung, die überlebenden Zwangsarbeiter des Flick-Konzerns wie die Jüdischen Gemeinden seit Monaten vorauseilend empören. Es ist das Bild einer freudigen Versöhnung der nachgeborenen Deutschen, die beschlossen haben, dass sie sich fürderhin nichts mehr aus ihrer Nazivergangenheit vorzuwerfen haben. Der Kanzler der Bundesrepublik und der Enkel des Rüstungsindustriellen werden zur Feier einer Kunststiftung zusammenstehen, wie der Reichskanzler Adolf Hitler und der Großvater Flick einst bei der Aufrüstung Deutschlands zusammengestanden haben.

Es gehört, ganz ohne Frage, ein gewisses Übelwollen, mindestens ein starkes Misstrauen dazu, diese Berliner Szene von heute mit der anderen Szene von gestern zusammenzusehen. Die Bundesrepublik von heute, mag sie auch Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches sein, hat keine Ähnlichkeit mit dem Hitlerstaat von gestern, und Friedrich Christian Flick, mag er auch Erbe des großväterlichen Vermögens sein, trägt keine Schuld an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Zwischen den beiden Staaten und zwischen den Generationen liegen die Umkehr und Läuterung eines ganzen Volkes; aber in dem neu gewonnenen Bild der Lauterkeit kommen merkwürdigerweise die Opfer und ihre Angehörigen, ihre schwer zu erstickenden Zweifel und fortwirkenden Ängste nicht mehr vor.

Bei dem Berliner Staatsakt wird keiner von ihnen sprechen; gewiss auch, weil sie sich dem Bild verweigern wollten, das so fatal an jenes Selbstversöhnungsprojekt gemahnt, das die Enkel der Täter für sich ausgerufen haben. Trotzdem wird, wenn der Kanzler, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Museumsdirektoren und der Sammler gesprochen, wenn kurzum die Deutschen von heute sich reihum zu der köstlichen Kunstsammlung und ihrer neuen Unschuld gratuliert haben, der Eindruck einer Feierlaune entstehen, die sich durch niemand und nichts und schon gar nicht durch die Schatten der Vergangenheit stören lassen will.

Es sei denn… Es sei denn, der Kanzler Gerhard Schröder hält eine Rede, die wider alle Symbolik des Festaktes zu sprechen vermag, die das Protokoll der Selbstgerechtigkeit und Selbstfeier umstandslos beiseite fegt und an die Verantwortung vor der Geschichte mit strengen Worten erinnert. Eine solche Rede ist denkbar, hätte es aber nicht leicht. Sie müsste eine beachtliche Wucht entfalten, um der satten Zufriedenheit, die schon jetzt aus dem Programmheft tropft, jede Nährlösung zu entziehen. Es müsste eine Rede sein, die auch das symbolisch Verfehlte der Flickschen Leihgabe und ihrer Annahme durch den Staat deutlich anspräche. Es wäre aber eine Rede, die wirklich der Versöhnung diente, nämlich nicht mit den Nachkommen der Täter, sondern mit denen der Opfer. Eine solche Rede könnte nicht auftrumpfen; sie müsste eine Bitte formulieren.

(c) DIE ZEIT 16.09.2004 Nr.39

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