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SPIEGEL ONLINE - 19. November 2004, 17:11 URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,328708,00.html

Zehn Jahre Kitty-Yo

Berlins lädiertes Aushängeschild

Von Ulf Lippitz

Die Entwicklung des kleinen unabhängigen Poplabels Kitty-Yo Records ist beispielhaft für die Entwicklung einer ganzen Alternativkultur im Berlin der Nachwendezeit: Guter Start, großer Hype, böse Bruchlandung. Zum zehnten Geburtstag betreibt die Heimat von Peaches, Gonzales und Maximilian Hecker verkatert Nabelschau.

Berlin, offene Stadt. So fühlte sich die Metropole nach der Wende an. Der kulturelle Aufbruch manifestiert sich in Namen, die heute Marken sind: X-Filme für das Kino, die "Kunstwerke" für die bildende Kunst - und Kitty-Yo Records für Popmusik. Doch das kleine unabhängige Label erlebte nach der großen Euphorie und dem bösen Erwachen eine harte Bruchlandung - stellvertretend für die ganze Alternativkultur der Hauptstadt. Nach zehn Jahren "Anything Goes" herrscht Katerstimmung und Verwirrung im Berliner Underground.

Kitty-Yo-Gründer Raik Hölzel übt sich in Optimismus. "Wir kommen langsam aus dem Tunnel heraus", sagt der 39-jährige Selfmade-Manager - und gratuliert sich mit der Prognose zum zehnjährigen Bestehen der Talentschmiede. International beachtete Musiker hat er auf dem Label veröffentlicht - allen voran die Elektro-Ikone Peaches, zu deren Fans Stars wie Madonna und Pink gehören. Nicht erst seit die kanadische Extrem-Künstlerin ihre Platten in Berlin betreuen lässt, gilt Kitty-Yo in britischen Lifestyle-Magazinen als trendscharfe Labelmarke und zugleich als Indiz für den aufgeblasenen Berlin-Hype.

Krise? Welche Krise?

In dieser Außenwirkung besteht die nicht zu unterschätzende Leistung: Die kleine Firma hat Berlin auf die Landkarte relevanter Musikproduktion gesetzt. Krautrock, Laptop-Pop und Elektroclash haben hier ihre besondere Prägung erfahren: eine Mischung aus laienhafter Verdrehtheit und rumpelnder Produktionstechnik. Die BBC dreht jetzt sogar eine Dokumentation über das Label. Von welchem Tunnel also spricht Hölzel?

Vor allem personelle Querelen haben dem Ansehen der Vorzeige-Firma geschadet. Hölzels ehemaliger Mitstreiter Patrick Wagner hat soeben seine eigene Plattenfirma gegründet, Louisville Records. In der "taz" kündigte er zum Jubeltag an, Raik Hölzel "aufs Maul hauen" zu wollen, wenn er ihm auf der Straße begegne - und ließ auch sonst kein gutes Haar an der früheren Wirkungsstätte.

Der Haussegen hängt schon seit drei Jahren schief. Damals verließ Wagner Kitty-Yo, ging zur Major-Firma Universal und nahm seine Rock-Band Surrogat gleich mit. Der Grund des Unfriedens: das liebe Geld. Aus dem anfangs idealistischen Projekt war ein knallhartes Geschäft, der subkulturelle Sound zur Massenmusik geworden. Das Aushängeschild für innovativen Berliner Pop war lädiert.

Dabei wurde Kitty-Yo eigentlich 1994 nur gegründet, um Wagners Band einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Kein Label wollte die schräge Kapelle Surrogat mit ihrem verrückten Sänger unter Vertrag nehmen. Raik Hölzel hatte sich damals gerade von der Buchhandlung auszahlen lassen, die er kurz nach der Wende übernommen hatte. Für seine Verhältnisse hatte er "unfassbar viel Geld" - und presste davon Vinyl-Scheiben für Surrogat. Die Platte erhielt gute Rezensionen, das Team arbeitete zusammen am Aufbau des Labels und wurde rasch der Pate Berliner Untergrundkultur: Hölzel als dröger Bürohengst, Wagner als die quasselnde Zeitbombe.

"Patrick war ein Großmaul"

"Patrick war ein Großmaul", sagt Hölzel anerkennend. Die Plattenbosse aus Berlin-Mitte erhielten mehr Aufmerksamkeit als manches Unterhaltungs-Imperium - im Verkauf machte sich das jedoch wenig bemerkbar. Um Kosten zu dämpfen, lösten die Angestellten unbenutzte Briefmarken von Postsendungen ab und verwendeten sie neu. "Der Unterschied zwischen Image und Zahlen war wie Tag und Nacht", resümiert Hölzel in dem Loft am Prenzlauer Berg, das seit drei Jahren die Firma beherbergt. "Videos, Remixe - das kostete Geld und lief außer Kontrolle. Wir haben klassischen Künstleraufbau mit Geld kompensiert." Die Stimmung schlug gegen Kitty-Yo um, als die Firma 2001 eine Kooperation mit der Sony einging, um ihre erfolgreichste Künstlerin Peaches kommerziell zu vermarkten. Von deren Debüt-Album "The Teaches Of Peaches" waren 70.000 Stück ohne große Werbung verkauft worden - eine Goldgrube. Ein Büro in New York stand zur Disposition, Dutzende neue Künstler hofften als Stars bei Kitty-Yo herauszukommen. Doch der 11. September zerstörte alle Hoffnungen auf den amerikanischen Markt, der Deal mit Sony zerbrach 2002 nach einer gefloppten Single, die beiden Labelbosse gerieten sich über die Kosten in die Haare. Patrick Wagner verließ Kitty-Yo - das plötzlich ein Synonym für Ausverkauf und Arroganz war.

"Wir wurden als Gemischwarenladen bezeichnet", ereifert sich Hölzel. "Das hat mich sehr getroffen." Nach den Krautrock-Orgien von Surrogat, den Elektro-Spielereien von Tarwater oder Peaches war nun Zeit für die Sehnsucht nach Pop. Der Sänger Maximilian Hecker füllte die Lücke gehobener Schnulzen für den deutschen Markt, Rhythm King & Her Friends trommelten auf der Tonleiter des Gender-Pop. Einmal noch verbrannte sich Hölzel am Berlin-Hype, mit dem er so gar nichts zu tun haben will. Er verpflichtete das französische Trio Sex In Dallas und erlebte, wie eine Band an den an sie gestellten Erwartungen zerbrach.

Sex In Dallas, das waren drei junge Franzosen, die ein mediales Versprechen nach Berlin gelockt hatte. "Sie dachten, Berlin heißt, jede Nacht ausgehen, Party machen und Drogen nehmen", sagt der Plattenboss. "Aber bei Heroin im Backstage-Bereich hört für mich der Spaß auf." Heute ist von der Originalbesetzung nur ein Musiker übrig, zwei befreundete Künstler haben sich gut in die Struktur eingefügt und beginnen erstmals, der Band eine Kontur zu geben.

Zehn Jahre Kitty-Yo feiert Hölzel natürlich mit seinen Künstlern. Dazu gibt es eine Doppel-CD, die den neuen Geist erwecken soll: "Team Kitty-Yo". Auch ein Anlass, zehn Jahre Berlin-Bilder Revue passieren zu lassen: die Unruhe nach der Wende, der Triumph der Club-Kultur, der finanzielle Zusammenbruch der Stadt - und der leise Neuanfang. Berlin findet zu sich - so wie Raik Hölzel und sein Label. In seinem Büro thront das eingerahmte Bild einer Katze auf dem Fensterbrett; ein junger Riesenschnauzer wacht auf dem Teppich. Bürgerlichkeit macht sich bei Kitty-Yo Records breit. Man könnte auch sagen: Bescheidenheit. Der Ausnahmezustand in Berlin ist vorüber.

Diverse: Team Kitty-Yo (Kitty-Yo/Rough Trade) wurde am 15. November veröffentlicht

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