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Totaler Krieg, totaler Profit

Die Debatte um die Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick: Nun wird auch die NS-Geschichte der Familie gründlich erforscht. Was man heute schon weiß, ist beklemmend genug

Von Thomas Ramge

Es war bereits dunkel, als sich der Stahlindustrielle Friedrich Flick am 20. Februar 1933 auf den Weg ins Regierungsviertel machte. Reichstagspräsident Hermann Göring hatte die Spitze der deutschen Industrie in seine Dienstwohnung geladen. Der neue Reichskanzler Adolf Hitler wollte sein wirtschaftspolitisches Programm vorstellen. Neben Flick standen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Georg von Schnitzler (I. G. Farben), die Generaldirektoren Albert Vögler, Fritz Springorum und Ernst Tengelmann auf der Gästeliste, ebenso Vertreter von AEG und Siemens, der Textilindustrie und verschiedenen Großbanken. Jüdische Bankiers waren schon nicht mehr dabei.

Hitler nahm am Kopfende des Tisches im Besprechungszimmer Platz und war sichtbar bemüht, das Image des Bierkeller-Agitators abzulegen, der mit Enteignungsfantasien seine proletarischen Anhänger bedient. Er versprach, privates Eigentum zu schützen, Streiks zu unterbinden und die Grundlagen für eine neue Hochkonjunktur zu schaffen. Die Rede endete mit einem Ausblick auf die Reichstagswahlen vom 5. März: »Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausfallen, wie sie will, einen Rückfall gibt es nicht mehr, auch wenn die kommende Wahl keine Entscheidung bringt.« Allen im Raum, auch Friedrich Flick, war damit klar: Die Demokratie hatte ihr Ende gefunden. Wer in Deutschland künftig erfolgreich wirtschaften wollte, musste sich mit den Nazis arrangieren. Genau das tat Flick – geschickter als viele seiner Konkurrenten.

Zum Zeitpunkt der braunen Machtübernahme war der Siegerländer bereits 49 Jahre alt. Aus bescheidenen Verhältnissen kommend, hatte er durch kluge An- und Verkäufe von Gruben und Stahlwerken einen der größten Metallkonzerne des Landes gezimmert. Politisch war er öffentlich nie in Erscheinung getreten, jedoch Mitglied der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei. Sie konnte mit großzügigen Spenden des Flick-Konzerns rechnen. Nachdem aber die DVP 1931/32 immer stärker an Boden verlor, verteilte der Konzernchef sein Geld nach dem Gießkannenprinzip von rechtsaußen bis Mitte-links. Der Konzern war im Zuge der Weltwirtschaftskrise ins Wanken geraten, und Flick versuchte, sich nach allen Seiten abzusichern. Die NSDAP kam dabei schlecht weg. Flick mochte Hitler und dessen laute Nationalproleten nicht.

Doch wenige Tage nach dem Industriellentreffen in Görings Wohnung gab er seine Zurückhaltung auf. Für den Anfang landeten 240000 Reichsmark in den Parteikassen. SS-Führer Heinrich Himmler holte das Geld persönlich in Flicks Büro ab. In den kommenden zwölf Jahren spendete Flick insgesamt 7,65 Millionen an die NSDAP. Eine gute Investition: Für den krisengeschüttelten Eisenindustriellen, dessen Unternehmen sich leicht in Rüstungsunternehmen konvertieren ließen, erwies sich der außenpolitische Revanchist Hitler als betriebswirtschaftlicher Glücksfall.

Am Ende besaß er ein Privatvermögen von über zwei Milliarden Reichsmark

Bereits kurz nach der »Machtergreifung« begann das Gerangel der deutschen Rüstungsunternehmen um erste Staatsaufträge. Im April 1933 schickte Flick den Aufsichtsratsvorsitzenden seiner Mitteldeutschen Stahlwerke, Heinrich Koppenberg, zu einer Besprechung ins Reichsluftfahrtministerium. Das Ministerium stellte, noch streng vertraulich, eine Verdreifachung der Flugzeugaufträge in Aussicht. Im Dezember war der Ausbau der Luftwaffe beschlossene Sache. Bei Flick traf die Zusage für den ersten Großauftrag ein: Seine Allgemeine Transportanlagen Gesellschaft (ATG) in Leipzig, seit 1919 erfolgreich im Maschinenbau tätig, könne »mit der Beschaffung der für die Durchführung des Auftrags erforderlichen Investitionen sofort beginnen«, so hieß es. Bald arbeiteten 8500 Menschen in Leipzig in der Flugzeugproduktion. Ab 1938 stellte das Werk zusätzlich Teile für Panzerwagen her, 1942 erhielt es das Prädikat »Rüstungsmusterbetrieb«.

Flugzeuge machten den Anfang, Bomben folgten. Der erste Großauftrag des Heerwaffenamtes über Stahlgussbomben, Geschosse für Feldhaubitzen und Granaten lag Flicks Mittelstahlgruppe im März 1934 vor. Auch von der Marine kamen erste Bestellungen. Flick intensivierte derweil seine Besuche im Heereswaffenamt. Am 15. März sprach er beim dortigen Stabschef Georg Thomas vor, der später zum Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht aufstieg. Das Ergebnis dieses Gesprächs hielt Flick in einer Aktennotiz fest: »Interessant war noch eine Bemerkung, die mir Herr Thomas allein gemacht hatte und die dahin ging, dass man zweierlei unterscheiden müsse, nämlich die Vergrößerung des stehenden Heeres und die Vorsorge für die Mobilmachung. Seiner Meinung nach müsse man für 4–5 Monate Vorräte schaffen, weil erst nach 4–5 Monaten nach Eintritt des A-Falls die Fabriken allgemein in die laufende Produktion gekommen sein würden. (Dieser Auffassung habe ich durchaus zugestimmt).« Mit A-Fall war Krieg gemeint. Zur Erinnerung: Die Notiz stammt aus dem Jahr 1934.

Zu Dumpingpreisen übernahm er Fabriken aus jüdischem Besitz

Von 1929 bis zum deutschen Überfall auf Polen 1939 verbuchten Flicks Mitteldeutsche Stahlwerke die größte Wachstumsrate aller deutschen Montanunternehmen. 1937 erhielt Flick den Titel »Wehrwirtschaftsführer«, kurz zuvor war er der NSDAP beigetreten, Mitgliedsnummer: 5918393. Drei Beamten des Heereswaffenamtes, die für die Vergabe von Rüstungsaufträgen mitverantwortlich waren, übersandte er zu Weihnachten einen freundlichen Gruß und eine bronzene Büste des Führers: »Um auch Ihnen vielleicht zur Ausschmückung Ihres Arbeitszimmers eine kleine Freude zu bereiten.«

Im Jahr 1937 beschäftigte Flick 85000 Mitarbeiter, fünf Jahre später war er zum zweitgrößten Stahlproduzenten im Reich aufgestiegen, vor Krupp und hinter den Vereinigten Stahlwerken. 1944 hielt er die Majorität von 132 Gesellschaften mit einem Nominalkapital von 550 Millionen Reichsmark und 120000 Beschäftigten. Die stellten für den totalen Krieg neben Kampfflugzeugen auch Geschütze, Panzer und U-Boot-Teile her. Besonders gut verkauften sich die Granaten der Sächsischen Gussstahlwerke Döhlen AG. Das Oberkommando der Wehrmacht schrieb am 4. Januar 1944 an Flicks dortigen Generaldirektor: »Für Ihre freundlichen Grüße zum Jahreswechsel danke ich Ihnen herzlich. Ich erwidere sie mit einem besonderen Glückwunsch zur Erreichung der erfreulichen Zahl von 1 Million 7,5-cm-Pzgr. in Ihren Werken. Sie haben damit der deutschen Wehrmacht ein Geschoss gefertigt, das sich in den schwersten Materialschlachten des Ostens hervorragend bewährt hat, den asiatischen Ansturm aufzuhalten.«

Je schrecklicher der Krieg wurde, desto größer wurden Flicks Profite. Sein Privatvermögen wuchs auf zwei bis drei Milliarden Reichsmark an. Am Ende des »Dritten Reichs« hatte er das größte private Industrieimperium in Deutschland geschaffen. Er selbst war somit vor allen Nazigrößen und seinen großbürgerlichen Konkurrenten Krupp, Klöckner Reusch, Stinnes junior und Karl Friedrich von Siemens der reichste Deutsche überhaupt.

Friedrich Flick erkämpfte sich nicht nur ein großes Stück vom Rüstungskuchen. Der gläubige Protestant profitierte auch kräftig von der »Entjudung« der deutschen Wirtschaft. Bereits 1927 hatte er ein Auge auf das letzte reine Hochofenwerk in Deutschland geworfen, die Lübeck AG. Die jüdischen Hauptaktionäre, Familie Hahn und die Berliner Eisenhandelsfirma Rawack & Grünfeld, lehnten damals ein Kaufangebot Flicks ab. Zehn Jahre später erwirkte Flick in enger Zusammenarbeit mit dem Heereswaffenamt »die Überführung der Aktien der Lü. auf ein anderes Konsortium, um aus Lü. ein wichtiges Glied der Landesverteidigung zu machen.« Flick übernahm die Aktienmehrheit der Lübeck AG für 3,4 Millionen Reichsmark. 1935 hatten die Aktien des Unternehmens noch einen Nennwert von 14,3 Millionen gehabt. Die jüdische Familie emigrierte tief verbittert, aber gerade noch rechtzeitig. Sohn Rudolf Hahn traf Flicks Privatsekretär Otto Steinbrinck, im Ehrenamt Brigadeführer im Stab des Reichsführers SS, zufällig bei seiner Ausreise aus Deutschland nach London. Zackig erklärte der SS-Mann dem Emigranten: »Sie haben Glück gehabt, dass Sie überhaupt noch rauskommen.«

Der größte Zugriff auf jüdisches Eigentum folgte in den Jahren 1938 und 1939. Nach zähem Ringen mit »arischen« Konkurrenten erwarb Flick die Kohlegruben der tschechisch-jüdischen Familie Petschek zum Spottpreis. Damit verfügte er über ein Drittel der deutschen Braunkohlereserven. Tatkräftig unterstützt wurde Flick hierbei von Vierjahresplaner Hermann Göring, zu dem er seit dem Treffen am 20. Februar 1933 immer engere Kontakte pflegte. »Flick war bei Göring absolut Persona grata«, sagte Görings engster Mitarbeiter Erich Gritzbach in Nürnberg aus. Die offensichtliche Sympathie der beiden überraschte, war dem Siegerländer Eisenmann doch der Hang zu Prunk und Protz grundsätzlich unangenehm. Dennoch war er immer Gast bei Görings Geburtstagen, die der Barocknazi mit großem Aufwand inszenierte. Flick brachte als Geschenk wertvolle Gemälde mit, die seine Mitarbeiter in Holland ersteigerten.

Als einziger deutscher Stahlindustrieller half er, die Reichswerke Hermann Göring aufzubauen, ein riesiges Hüttenkombinat in Salzgitter mit Schwerpunkt auf der Rüstungsproduktion. Für die Stahlkönige an Rhein und Ruhr war dies eine lästige Konkurrenz, und sie boykottierten, wo sie nur konnten. Flick lieferte Steinkohle – und bediente Görings Eitelkeit. Der Lohn waren schriftliche Anweisungen Görings, Flick bei »Arisierungen« zu begünstigen.

Den »Arisierungen« folgte das dunkelste Kapitel in der Geschichte des Konzerns. Mindestens 40000 Zwangsarbeiter schufteten in den Kriegsjahren für Werke der Flick KG. Die DDR-Forschung ging für den Sommer 1944 gar von 60000 Arbeitssklaven in Flick-Betrieben aus. Die Betriebe griffen unter anderem auf jüdische KZ-Häftlinge aus Buchenwald, Dachau, Groß-Rosen und Auschwitz zurück. Bereits sechs Wochen nach dem Überfall auf Polen trafen in der bayerischen Maxhütte die ersten polnischen Zwangsarbeiter ein. Der Konzern nutzte seine Verbindungen zur NS-Bürokratie, um sich eine ausreichende Zahl von Zwangsarbeitern zu sichern.

Zwangsarbeiter wurden so gequält, dass selbst NS-Behörden aufmerkten

Doch nicht überall klappte die Zuweisung zur Zufriedenheit der Manager. Die Mitteldeutschen Stahlwerke monierten im August 1942, dass die zuständigen Behörden in den Monaten Juni und Juli »nur« 1052 Zwangsarbeiter vermittelten; angefordert worden waren 4084. Leitende Mitarbeiter Flicks beschwerten sich auch über »ungeeignete Transporte«. Gemeint waren Frauen, Kinder und Greise. In Amberg gab das Arbeitsamt Mitarbeitern der Maximilianshütte den Tipp, »daß es zweckmäßig ist, wenn Abholer möglichst früh in Neumarkt eintreffen, damit sie sich die besten und brauchbarsten Leute heraussuchen können«.

Zahlreiche Dokumente belegen, wie die Zwangsarbeiter behandelt wurden. Die Geschäftsleitungen verboten den Kontakt zwischen »deutschen Arbeitskameraden« und »Ostarbeitern«. In einem Aushang in den Anhaltinischen Kohlewerken hieß es: »Es wird von jedem Gefolgschaftsmitglied strengste Zurückhaltung gegenüber den Gefangenen erwartet. Gefolgschaftsmitglieder, welche die vorstehenden Bestimmungen übertreten, haben ihre sofortige Verhaftung und Überführung in ein Konzentrationslager zu gewärtigen.«

Hilfe war streng verboten. Der Arbeiter Karl Kummert im Stahlwerk Oberschwaig der Maximilianshütte musste diese Erfahrung machen, als er einem sowjetischen Arbeiter Brot zusteckte. Der stellvertretende Betriebsleiter teilte ihm schriftlich mit: »Dieses Verhalten ist so unglaublich, daß wir Sie eigentlich den zuständigen Stellen zur Aburteilung überweisen müssten. Da Sie scheinbar auf die Ihnen vom Betrieb zugewiesenen zusätzlichen Lebensmittelmarken nicht angewiesen sind, wird Ihnen für 14 Tage die Schwerstarbeiterkarte entzogen.«

Die unterernährten Kriegsgefangenen mussten in der Maxhütte bis zu 98 Stunden in der Woche arbeiten. Die Ankläger in Nürnberg trugen bei den Harpener Bergwerken Beweise zusammen, »daß die russischen Gefangenen ihre Essgeschirre verbogen, um mehr Nahrung zu fassen; daß die Röntgenaufnahmen von russischen Gefangenen, die in Harpen beschäftigt waren, einen hohen Prozentsatz von offener Tuberkulose aufzeigten und daß russische Gefangene Streifen von ihren Hosen rissen, um sich die Lappen um ihre Füße zu wickeln«. Der Arzt, der das Lager der Zeche Gottfried Wilhelm betreute, berichtete, die »Ostarbeiter« seien mit »reiner Haut« angekommen. Im August 1944 waren in den Flick-Betrieben im Ruhrbergbau 8922 Männer aufgrund schwerer Krankheit nicht in der Lage zu arbeiten. Von ihnen hatten 7429 Tuberkulose. Friedrich Flick war nachweislich über diese Zahlen informiert.

Im sächsischen Lauchhammer-Werk arbeiteten zeitweilig 950 KZ-Häftlinge, permanent von der SS überwacht, 12 Stunden am Tag. Ihre Tagesverpflegung bestand aus 250 Gramm Brot, 5 Gramm Fett und einem halben Liter Suppe. Die Zustände bei der Essener Steinkohle AG und dem dazu gehörenden Lager Katharine waren so katastrophal, dass selbst eine staatliche Untersuchungskommission im Dezember 1942 Kritik übte: »Die Ostarbeiter sind gegenwärtig in Baracken für Kriegsgefangene mit schwerstem Stacheldraht und vergitterten Fenstern untergebracht. Entwesung (Desinfektion) mangelhaft. Viel Ungeziefer. Strohmatratzen mussten entfernt werden, daher Schlafen nur auf Drahtmatratzen. Zuweilen Prügel. Lohnfragen ungeklärt. Essen nicht besonders.« Zwangsarbeitern, die nicht spurten, drohten Verhaftung und Tod. Leitende Flick-Angestellte denunzierten reihenweise »faule« und »renitente« Arbeiter. Die Ankläger in Nürnberg fassten zusammen: »Die Beweise in den Akten erlauben keinen Zweifel daran, daß die Zwangsarbeiter und die Kriegsgefangenen in den Ruhrbergwerken des Flick-Konzerns unter schrecklichen Bedingungen ausgebeutet wurden und daß Krankheit und Tod in ungeheurem Ausmaß die Folgen dieser Bedingungen waren. Auch ist es offensichtlich, daß in allen Betrieben des Flick-Konzerns besonders schlechte Bedingungen herrschten; in vielen Fällen waren die Unterkünfte elend, die Arbeitszeit übermäßig lang; Angst und Freiheitsentziehung, körperliche Leiden und Krankheit, Misshandlungen aller Art, darunter Auspeitschungen, waren an der Tagesordnung.« Wie viele Menschen in den Fabriken von Friedrich Flick starben, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Tote wurden nicht gezählt. Die Zahl dürfte fünfstellig sein.

Bis zu seinem Tod verweigerte er den Arbeitssklaven jede Entschädigung

Bereits Ende 1944 ließ Friedrich Flick die alten Spendenbelege an demokratische Parteien der Weimarer Republik zusammensuchen. Nach einem Sieg der Alliierten sollten Beweise für seine demokratische Gesinnung sofort zur Hand sein. Nach eigenen Angaben nahm Flick auch Kontakt zu einem Verschwörer des 20. Juli auf. Angeblich versteckte er auch eine Zeit lang einen Regimegegner in seiner Villa in Berlin. Flicks Widerstandskontakte konnten nie bestätigt werden. Die Nürnberger Staatsanwälte wiesen alle Zeugenaussagen als unglaubwürdig zurück. Belegt hingegen ist, dass Flick kurz vor Kriegsende der in die USA emigrierten Braunkohle-Familie Petschek anbot, über den Verkaufspreis »neu zu verhandeln«. Einen Tag vor Kriegsende zog er sich auf seinen Landsitz Hof Sauersberg in Oberbayern zurück, wo ihn amerikanische Soldaten fünf Wochen später verhafteten. Die kommenden zwei Jahre besohlte Flick Schuhe, schälte in der Gefängnisküche Kartoffeln und bereitete sich auf seinen Prozess vor dem Nürnberger Tribunal vor.

Am 22. Dezember 1947 hatte die Familiengeschichte der Flicks dann ihren historischen Tiefpunkt erreicht. Richter Charles B. Sears verlas das Urteil: sieben Jahre Gefängnis. Die Untersuchungshaft wurde angerechnet. Mit der Strafe konnte sich Flick nie abfinden. Aus seiner Sicht hatte er immer aus Notstand gehandelt und das NS-Regime innerlich verachtet. Als einziger Industrieller reichte er bei der Hohen Kommission der amerikanischen Besatzungsmacht Widerspruch ein. Bereits am 25. Februar 1950, zwei Jahre vor dem eigentlichen Ende seiner Haft, verließ Flick das Landsberger Gefängnis. Er war 67 Jahre alt.

Drei Viertel seines Konzerns hatten im Osten des Reiches gelegen und waren von den Sowjets konfisziert. Binnen zehn Jahren baute Friedrich Flick durch geschickte An- und Verkäufe zum zweiten Mal einen gigantischen Privatkonzern auf – und stieg zum zweiten Mal zum reichsten Deutschen seiner Zeit auf. Bis zu seinem Tode weigerte sich Flick, Zwangsarbeitern auch nur eine einzige Mark an Entschädigung zu zahlen. Geld für die Zwangsarbeiter wären aus seiner Sicht einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. In Nürnberg hatte er den amerikanischen Richtern zugerufen: »Ich protestiere gegen die Tatsache, daß in meiner Person Deutschlands Industrielle vor der ganzen Welt als Sklavenausbeuter und Räuber verleumdet werden. Niemand unter den vielen Leuten, die meine Mitangeklagten und mich kennen, wird glauben wollen, daß wir Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und niemand wird uns unterstellen, dass wir Kriminelle sind.«

Der Autor ist Historiker und Journalist; in diesen Tagen erscheint sein Buch »Die Flicks. Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik«, Campus Verlag (290 Seiten, 24,80 Euro)

(c) DIE ZEIT 12.08.2004 Nr.34

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