Ein Bild ist es nicht. Was ist es dann?

Ein Gespräch mit dem Maler Georg Baselitz über Heimat, Volkskunst und Provokationen

 von Uta Baier

Georg Baselitz: Die berühmten Kopfstand-Bilder sind sein Markenzeichen

Die Zeit der Provokationen, mit denen die Karriere des Georg Baselitz begann, ist vorbei: Der Maler denkt über seine Vergangenheit nach und würde gern die Kamenzer Bemühungen, ein Baselitz-Museum zu gründen, unterstützen. Mit Georg Baselitz sprach Uta Baier

Die Welt: Herr Baselitz, ich würde gern mit Ihnen über das Zurückkommen in die Heimat sprechen.

Baselitz: Da hätten Sie besser Gerhard Richter fragen sollen, der in Dresden wohl glücklich ist.

Die Welt: Aber Sie wollen doch die Stadt Kamenz bei ihren Plänen für ein Baselitz-Museum unterstützen.

Baselitz Ja schon, nur Kamenz nach der Wende ohne die frühere Bevölkerung ist sicher nicht so leicht zu einer Stadt mit Kunsttourismus zu machen. Bisher gibt es Jägermeister, Müllermilch und Radeberger Bier. Kunst ist schon eine Chance, wenn man an die Insel Hombroich im Rheinland denkt. Es gibt in Kamenz den interessanten Umbauplan von Josef Paul Kleihues für das ehemalige Krankenhaus, nur gibt es das interessierte Publikum auch? Denn schließlich geht es um zeitgenössische Kunst und dafür fehlt doch oft das Verständnis, in Kamenz ist es sicher nicht anders als in Deutschland allgemein. Gibt es letztlich Besucher mit Neugier?

Die Welt: Na ja, schon einige ...

Baselitz: ... aber immer erst dann, wenn andere Faktoren dazukommen. Die Ausstellung der Sammlung Flick in Berlin hat einen unangenehmen Beigeschmack bekommen, durch die Blutgeld-Diskussion, wegen der ausgestellten Objekte selbst wären ganz sicher weniger Besucher gekommen. Oder die so hochgerühmte Mo MA? Schau in der Nationalgalerie ist doch nur dadurch interessant, daß man eben die gesammelten Objekte in Berlin nicht hat. Die Sammlung der Nationalgalerie in Berlin ist einfach schlecht, schon im Vergleich mit Düsseldorf. Ein wenig verändert hat sich die Position der zeitgenössischen Kunst schon, der Erfolg der Künstler ist etwas in die Nähe der anderen Erfolgreichen aus der Sport- und Kinowelt gerückt. Daß man durch Leistung etwas erreichen kann, wird zu Recht bewundert, neuerdings zählen auch Maler dazu.

Die Welt: Heimat kommt auch in Ihrer Kunst in den letzten Jahren immer wieder vor.

Baselitz: Ja, das ist wahr. Das sind Dinge, die im Alter auf einen zukommen, die einen im Alter beschäftigen und bewegen, die einen im Alter vielleicht auch stimulieren, die Anregung geben und in der Situation der Midlife Crisis positive Auswirkungen haben.

Die Welt: Midlife?

Baselitz: Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit bietet Haltepunkte. Ich beschäftige mich sowieso nur mit der Vergangenheit, wo ich gelebt habe, wo meine Familie gelebt hat. Die Musik, die Kultur, Ostereier malen und Volkstanz beschäftigen mich enorm. Ich habe darüber Bilder und Skulpturen gemacht. Das hat manchmal mit Rechtfertigung zu tun, weil ich ja von meiner Familie in der DDR getrennt war. Ich empfand das immer als schicksalhaftes Problem, nicht als Glück, auf der anderen Seite gewesen zu sein. Doch ich bin dem entwachsen, im Laufe der Jahre immer weiter. Und als die Mauer fiel, war alles das, was weg war, wieder da.

Die Welt: Und dieser Mauerfall beschäftigt Sie immer noch?

Baselitz: Diese Beschäftigung ist so intensiv und so nachhaltig, daß ich mich dem Rest der Welt gar nicht mehr zugehörig fühle. Ich weiß gar nicht, was die anderen treiben. Wenn ich Zeitung lese, weiß ich nicht, was das bedeuten soll, was da geschrieben steht. Also, ich kenne mich wirklich nicht mehr aus. Ich bin so sonderlich geworden in dieser Beschäftigung, daß ich ziemlich teilnahmslos dem gegenüber geworden bin, was andere so antreibt.

Die Welt: Sie sagen gern, daß Sie sächsische Volkskunst machen.

Baselitz: Das klingt vielleicht komisch, aber ich habe bei meiner Vergangenheitsbewältigung irgendwann festgestellt - jetzt weiß ich nur nicht, werde ich bewältigt, oder bewältige ich? -, also bei meiner Vergangenheitsbewältigung bin ich darauf gestoßen, daß es nicht nur schwäbische Volkskunst gibt, sondern auch oberlausitzer. Volkskunst ist für mich eine ganz saubere Form von Kunst. Ich beschäftige mich viel damit, vor allem in Form von Musik. Und ich muß sagen, ich bin fasziniert davon.

Die Welt: Ihr Name taucht in letzter Zeit als biographischer Zusatz bei jungen Künstlern auf, die bei Ihnen studiert haben.

Baselitz: Ich denke immer, ich bin der junge Künstler.

Die Welt: Wie gefällt Ihnen diese neue, junge Malerei Ihrer Schüler, von denen manche sehr erfolgreich sind?

Baselitz: Ich bin als Professor nicht ohne Eigennutz an die Akademie gegangen. Ich wollte wissen, was ich zu sagen, was ich zu vermitteln habe. Das hat mir viel Spaß gemacht. Als ich anfing zu malen, hieß es, die Malerei sei tot. Wir haben trotzdem gemalt. Jetzt malen die Jungen, also ist die Malerei nicht tot, sie verändert sich unentwegt. Alle machen neue Bilder, niemand malt wie Rembrandt oder Picasso, vor allem in Deutschland ist das so. Hier ist es ähnlich wie in Paris zu Zeiten der Emigration - nicht ganz so toll. Paris lebte vom Zustrom der Emigranten aus Ost- und Südeuropa. In Berlin findet sie heute statt.

Die Welt: Ist die Malerei die innovativste der Künste?

Baselitz: Die Malerei ist abhängig vom Markt. Nicht von der Subvention. Das ist der Unterschied zur Musik und zum Theater, das treibt sie an und motiviert auch, das erneuert sie und macht sie interessant. Amerika, eben auch die Kunst Amerikas nach dem Kriege, dominiert. Sie war zunächst nur Erziehungsprogramm gegen die Nazikunst, schließlich wurde sie Vorbild, und das haben wir, die Maler, nicht verschlafen.

Die Welt: Wegen des Marktes erneuert sich die Malerei?

Baselitz: Ja, auch. Das war doch bei Mozart und Beethoven auch so. Mozart hat nicht überlebt als Bach-Interpret, sondern als Mozart, ebenso Beethoven.

Die Welt: Woran arbeiten Sie momentan?

Baselitz: Ich hab mehrere Stalinporträts gemalt, wie ihn Picasso gezeichnet hat, als freundlichen jungen Mann mit Schnurrbart.

Die Welt: Sie haben sich die Picasso-Zeichnung als Vorlage genommen?

Baselitz: Ja. Von meinen Stalinbildern sind nur zwei, drei gut. Die anderen hab ich überstrichen. Nach meiner Theorie: Ein Ding über das andere malen. 1963 habe ich meine ersten Füße gemalt, und diese Füße kommen jetzt immer wieder vor. Inzwischen habe ich Füße mit Schuhen gemalt, mit schwarzen Schuhen. So genannten Halbschuhen. Schwarzen Herrenhalbschuhen. Inzwischen hängt mein ganzes Atelier voll mit diesen Halbschuhen. Ein bißchen idiotisch, aber so lange es geht, mach' ich das. Es ist nur blöd zu sehen, daß überall diese Halbschuhe herumhängen, manche mit Hosenbeinen. Gestern fiel mir nun ein, nachdem ich so 30 Halbschuhe gemalt habe: Mal doch mal nur - ein genialer Einfall! -, mal doch mal nur die Halbschuhe, ohne Hose. Nur die Halbschuhe. Und siehe da, es funktioniert. Es ist so doppelbödig, daß man davor steht und sagt: Ein Bild ist es nicht. Was ist es dann?

Die Welt: Und damit geht es nun weiter?

Baselitz: Nun sitze ich wieder da und grüble und versuche Motive, mit denen ich sowieso immer arbeite, wie das Porträt meiner Frau und mein eigenes, in diese Situation zu bringen, in diese Situation der schwarzen Halbschuhe. Neulich hab ich die Beine von Munch gemalt, weil es ein Foto von Munch als alter Mann gibt, wo die Beine fehlen. Mit Munch beschäftige ich mich schon immer.

Die Welt: Sie haben Munch vervollständigt.

Baselitz: Wieder diese schwarzen Halbschuhe.

Die Welt: Sie wollten immer das "neue Bild" malen. Ist es nicht Zeit für neue Provokationen?

Baselitz: Ich denke unablässig darüber nach. Viele meiner Bilder sind provokativ, selbst wenn sie nicht provozieren sollen.

Die Welt: Würden Sie Ihre Kunst ändern, damit sie wieder provoziert?

Baselitz: Ich ändere unentwegt. Ich hab so oft meinen Stil, meine Thematik, meine Formate geändert. Niemand bemerkt Auffälliges daran, alle finden das in Ordnung. Ein Beispiel: Ich habe das Porträt meiner Frau als Negativ gemalt, nach einem alten Porträt. Das hab ich sechs Mal gemalt, hervorragend. Ich dachte: Jetzt ist dir wieder was eingefallen! Nicht nur umgekehrt, sondern sogar noch negativ. Ich habe es ausgestellt in New York, alle fanden es prima. So ist es mit Provokationen.

Artikel erschienen am Mi, 2. Februar 2005

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