Im Zoo der Kunst
Die jüngste unter den großen Messen bestätigt den Hype um das Kunstsammeln: Die dritte Londoner Frieze Art
VON SILKE HOHMANN
Erster zu sein ist im Vereinigten Königreich immer schon ein bisschen wichtiger als in anderen Teilen der Welt, und die Hauptstadt ist auch in dieser Hinsicht London. Wo andere noch mutmaßen und abwägen, wird hier längst gehandelt. Nehmen wir nur mal die Werbung eines örtlichen Telefonanbieters auf den Plakaten in der U-Bahn, auf denen ein Model auf dem Catwalk einen schwarz-rot gestreiften Pullover trägt. Im Publikum sitzt der Ringelpulli bereits, seine Trägerin hatte den noch schnelleren Draht. Erster, und jeder soll es wissen, denn nur dann lohnt es sich.
So ist es auch, wenn in London die neueste aller internationalen Kunstmessen, die 3. Frieze Art eröffnet. Zur Preview um zwei Uhr mittags ist die Schlange im Regent's Park lang, international und trägt überdimensionierte Sonnenbrillen. Was nicht zwangsläufig auch mit glamourösem Verhalten zu tun hat: Manche Besucher versuchen, sich als Aufkleber-Lieferant der Galerien auszugeben, nur, um den entscheidenden Schritt schneller in den Kojen bei der Kunst zu sein und die Ware als Erster auswählen zu können. Sie werden abgewiesen, für Vordrängler gibt es kein Pardon. Auch das ist Sportsgeist.
Erster war erwartungsgemäß Londons berühmtester Kunstsammler Charles Saatchi, und zwar nicht nur auf der Frieze, sondern auch auf einer Veranstaltung, die noch weiter vornedran zu sein vorhat: Die kleine Messe "Zoo", die tatsächlich im nahe gelegenen Tierpark statt findet, ist mit rund 20 Galerien aus London die "junge Alternative" zur Frieze, die ihrerseits als Institution längst nicht grau und erneuerungsbedürftig scheint. So spazierte Saatchi schon im Zoo umher, bevor einige der Galeristen überhaupt aufgebaut hatten.
Vom Wagnis zum Tummelplatz der neuen Kunstsammler
Saatchi ist als Überfigur gewiss an der aktuellen Popularisierung des Sammelns beteiligt, aber so recht vermag immer noch niemand zu erklären, warum zeitgenössische Kunst in den letzten Jahren bei allen möglichen Leuten, die hip sein wollen, so gefragt ist. Gwyneth Paltrow und Elle Mc Pherson? fielen sich an Jay Joplings Stand in die Arme, Claudia Schiffer schaute sich schüchtern bei Gisela Capitain um.
Frieze Art Fair
Mit ein paar Zelten im Regent's Park hat die Frieze Art Fair im Oktober 2002 begonnen. Gegründet wurde sie von de Herausgebern des "Frieze Magazins", einem der führenden Kunstmagazine Europas. Im dritten Jahr hat sich die Frieze bereits als wichtiger Handelsplatz für Zeitgenössische Kunst etabliert. Ein ambitioniertes Beiprogramm zeichnet die Messe aus: Es gibt nicht nur zahlreiche Panels und Diskussionsveranstaltungen, sondern auch Konzerte: Heute abend zum Beispiel mit Karlheinz Stockhausen.
Hier in London hat die neue Messe, terminlich mutig angesiedelt zwischen Artforum Berlin, FIAC in Paris und der altehrwürdigen Art Cologne, das Marktpotential des neuen Kunsthypes nachhaltig bestätigt. Im letzten Jahr setzte die Frieze, die 2003 als Wagnis startete, mit 150 Ausstellern rund 26 Millionen Pfund um. Dieses Mal nehmen 165 Galerien von Peking bis Chicago und Kopenhagen bis Melbourne teil, die insgesamt mehr als 2000 Künstler vertreten.
"Wir befinden uns in einem Zustand totaler Corporatisierung und Vermarktung des künstlerischen Feldes. So verspielen wir die in einem Jahrhunderte langen Kampf gewonnene Autonomie wieder", urteilt die Künstlerin Andrea Fraser in der aktuellen Ausgabe des gleichnamigen Magazins Frieze, dessen Herausgeber die Messe gründeten. Das alte Spiel aus Nachfrage und Angebot bringt Künstler immer wieder in Legitimations- und Produktionsschwierigkeiten - oder nötigt ihnen handzahme Kompromisse ab, wie auch auf der Frieze gelegentlich zu beobachten ist, obwohl hier eigentlich die Regel galt, dass so gut wie alles gehe.
Die Kunst selbst ist dieser Tage in London allgegenwärtig: die Museen und Kunsthallen flankieren die Frieze mit großen Einzelausstellungen wie etwa der von Rachel Whiteread der Tate Modern: Embankment in der Turbinenhalle besteht aus 14 000 aufeinander getürmten Kunststoff-Boxen. Die allerdings nun von Wachleuten beschützt werden müssen, damit eine Aktivistengruppe kämpferischer getrennt lebender Väter sie nicht erklettert. Die "Fathers 4 justice", die schon zuvor durch spektakuläre Kunst-Stunts auf sich aufmerksam gemacht hatten, sind allerdings wegen ihrer Superhelden-Kostüme einigermaßen leicht in der Menge auszumachen.
Die jungen wilden Briten erscheinen zur Verträglichkeit verdünnt
So scheint diese Gefahr zunächst gebannt, und auch sonst wirkt Vieles, was normalerweise planmäßig für Aufsehen und Erregung sorgt, auf der Frieze zur Verträglichkeit verdünnt.
Die jungen wilden Briten der frühen Neunziger, die einst unter der Schirmherrschaft von Charles Saatchi so selten gewordene Regungen wie kollektive Empörung in die zeitgenössische Kunst zurück gebracht hatten, zitieren sich selbst. Damien Hirst bei White Cube hat die Malmaschine wieder angeworfen, mit der er in den frühen neunziger Jahren unter Anderem Berliner Schüler erfreute: Die bunten Kreise auf Briefpapier sind zwar datiert auf 2005, knüpfen aber an eine alte Idee an, ohne sie nennenswert zu erweitern. Auch Hirsts neuer Apothekenschrank bei Gagosian wirkt wie ein marginales Detail seiner großartigen, raumfüllenden Pharmacy.
Jake und Dinos Chapman haben ihre apokalyptisch im Baum hängenden menschlichen Kadaver gleichfalls auf handliches Mitnahmeformat gebracht. The same thing only smaller, or the same size but a long way away heißt ihre aktuelle Skulptur bei Jay Joplings Galerie White Cube, als seien sie selbst der ganzen Verstümmelungsästhetik ein bisschen überdrüssig.
Ein doppelter Klosterfelde und 50 stumme Chinesen in grau
Bei Paragon Press gibt es ihre variantenreichen Meucheleien als Drucke, die Perversion der Niedlichen in Serie. Doch flauschige Flagellanten und grausige Clowns können trotz interessanter Hinrichtungstechniken und Stilvielfalt nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Streichelzoo der Sadisten - den auch andere Künstler ausgiebig pflegen - im Haushalt der aktuellen Kunst nun schon zu lange beheimatet ist, um nicht wie ein sich ständig wiederholender, grässlicher Witz eines nicht mehr ganz frischen Bewohners zu klingen. Die Serie von 35 Drucken blieb für 220 000 Pfund zunächst hängen.
Wer sich weiter gruseln möchte, muss zu dem New Yorker Galeristen Leo König weiter schlendern: Dort gibt es von Tony Matelli das naturgetreu nachgebildete, grobschlächtig abgehackte Bein eines haarigen Primaten, inklusive Axt und einer Pfütze Erbrochenem, selbstverständlich ungefährlich keimfrei.
Ein Spiel mit der Situation gehen nur ganz wenige Galeristen ein. Am besten machte es Martin Klosterfelde, der seinen Stand einfach zwei Mal aufbaute, inklusive eines Doubles seiner selbst und einer zweifachen Ausführung aller Werke. Darunter Christian Jankowskis sehr charmantes Video Puppet Conference, für das der Künstler sich Originalfiguren wie Fozzy aus der Muppetshow auslieh, um sie zu einem kunsthistorischen Vortrag mit anschließender Diskussionsrunde zu versammeln.
Die Irritation bei Eva Presenhuber aus Zürich hielt sich trotz ausgesägter Kojenwände in Grenzen, anders als bei Maurizio Cattelans Wrong Gallery aus New York, deren freundlich-subversive Einladung, die Kabine zu betreten, zu Unbehagen führen konnte: Die Künstlerin Paola Pivi hatte in Londons Chinatown 50 Chinesen gecastet, die einheitlich im grauen Sweatshirt stumm geradeaus blickten und von tiefsitzender diffuser Asien-Angst bis hin zu banalen Minderheitsgefühlen alles zurückwarfen, was der Besucher so an eigenen Regungen mitbrachte.
Trotzdem konnte man oft ein nörgelig gedehntes "not really" aufschnappen zwischen den Vernissagegästen - "nicht wirklich", wie man eine Negativentscheidung beim Shopping heute gerne begründet. "Jetzt nimm's doch, dann können wir nach Hause gehen", stöhnte ein männlicher Begleiter situationsgemäß. Claudia Schiffer verließ die Messe nach zwei Stunden allein mit einer gefüllten schwarzen Tragetasche, wie man sie eben zum Einkaufen benutzt. Dazu trug sie einen schwarz-rot geringelten Pullover.