"Investieren in Kunst ist vollkommener Unsinn"

''Der Galerist Gerd Harry Lybke über den Irrtum der Spekulanten, die Langmut der Sammler und warum deutsche Malerei so teuer ist''

FRAGE: Herr Lybke, Sammler reißen sich um junge Maler aus Deutschland. Freuen Sie sich über sechsstellige Preise?

ANTWORT: Als Galerist kann ich mich über die Preisexplosion gar nicht freuen. Die Leute reden immer über die Preise auf Auktionen - aber die sind ja nicht normal. Auf einer Auktion werden 300 Prozent mehr gezahlt als in meiner Galerie. Dort bleibt es dabei, daß ich die Preise nicht ausreize.

FRAGE: Wäre das nicht verlockend?

ANTWORT: Ich verabscheue das Geld nicht. Aber ich weiß: Versteigerungen sind Grenzsituationen. Mehr als fünf Leute sind nicht bereit und in der Lage, einen Spitzenpreis zu zahlen. Wenn ich diesen Preis auch in der Galerie fordern würde, würde ich mich abhängig machen von fünf Leuten auf der Welt. Da bleibe ich mit dem Preis lieber so weit darunter, daß ich 600 oder 900 Mitspieler habe.

FRAGE: Mit Matthias Weischer, Tim Eitel und David Schnell vertreten Sie hochdotierte Maler. Wann haben Sie die Leipziger Schule entdeckt?

ANTWORT: Vor vier Jahren haben wir begonnen, gemeinsam zu arbeiten, da kannte ich die drei schon zehn Jahre und wußte ungefähr, wie sie ticken. Da haben sie Bilder noch für dreitausend Euro an Kumpels verkauft, die heute auf Versteigerungen für 300 000 Euro weggehen.

FRAGE: Warum gerade Malerei?

ANTWORT: Nach Video und Fotografie entstand eine Leerstelle. Keiner wußte, wie die zu füllen ist - bis klar war: Es gibt eine große Sehnsucht nach Malerei. Neo Rauch hat die Malerei weltweit wieder ins Gespräch gebracht.

FRAGE: Läßt sich der Erfolg wiederholen?

ANTWORT: Das läßt sich in der Malerei so schnell nicht wiederhole n. Da ist erst mal Schluß.

FRAGE: Aber die Jagd auf Talente hat doch gerade erst begonnen!

ANTWORT: Es stimmt: Die Leute rammeln los und versuchen Künstler im dritten oder vierten Studienjahr zu finden, die wirklich gut sind. Das klappt natürlich nicht. Die haben noch gar keine Fehler gemacht. Und ohne Fehler zu machen, kann man nicht wissen, wer man ist. Da braucht es ein bißchen mehr Zeit.

FRAGE: Warum warten? Die Goldgräberstimmung herrscht jetzt. Wer weiß, ob sich in fünf Jahren noch jemand für Male rei interessiert?

ANTWORT: Man kann natürlich niemandem sagen: Grabe das Gold nicht ab, wenn du es findest! Die Frage ist nur: Ist der Künstler so blöd, da mitzumachen?

FRAGE: Warum sollte er nicht?

ANTWORT: Vor 15 oder 20 Jahren war das noch anders: Da haben die gefragten Künstler angefangen zu produzieren wie wild. Das ist auf lange Sicht nicht verständlich. Da richtete sich vor 20 Jahren alle Aufmerksamkeit auf einen. Dann hat er plötzlich anstatt 20 Arbeiten 400 gemacht, hat die auch alle verkauft und viel Geld bekommen. Und das war's dann auch schon. Mehr ist nicht passiert. Wenn die Leute 50 geworden sind, sagt man: "Der war mal berühmt." Das ist doch traurig.

FRAGE: Kunst und Kommerz vertragen sich also nicht?

ANTWORT: Das Statussymbol des Künstlers sind heutzutage nicht mehr dicke Autos oder drei Frauen. Wichtig ist es, im Diskurs zu sein. Die meisten Künstler, die ich vertrete, sind nicht auf kommerziellen Erfolg aus, sondern darauf, in der Kunstgeschichte Erfolg zu haben.

FRAGE: Und das geht nur, wenn der Künstler arm ist?

ANTWORT: Das ist wahrscheinlich ein Klischee: Aber mir ist noch niemand begegnet, der nur Geld scheffeln will und trotzdem noch gute Kunst macht. Künstler wollen eigentlich alle unsterblich werden - sonst brauchen sie auch gar nicht erst anzutreten. Wenn man einmal im Staat der Künstler anerkannt ist, besitzt man ja einen gewissen Freibrief. Dann will man nicht mehr zurückgestuft werden ins Reich der Bauunternehmer, die nur Geld haben.

FRAGE: Sie verteufeln Geld?

ANTWORT: Ich verteufle Geld keineswegs. Ein Galerist, der das verteufelt, hat nicht verstanden, daß ein Künstler Geld braucht. Es ist ziemlich wichtig, das Geld. Da erzähle ich nichts Neues. Geld ist Macht. Und die setze ich ein - gnadenlos. Für alle Künstler, die ich habe, und gegen alle anderen. Wenn ich einen Künstler exklusiv vertrete, dann heißt das auch, daß ich ihm dabei helfe, Geld zu verdienen, dafür sorge, daß er Umsatz macht - egal wie unkonventionell seine Kunst auch sein mag. Es ist Unsinn, daß die Kunst durch das Geld beschmutzt wird. Genauso wie der Künstler real in der Welt einkaufen muß, muß seine Arbeit real für Geld bewertet werden.

FRAGE: Wie entsteht der Preis eines Kunstwerks?

ANTWORT: Es gibt immer einen Anfangspreis. Wenn man als Student fertig geworden ist, ist der sehr niedrig - es sei denn, man ist wahnsinnig. Der Preis ist so gering, daß man nicht darüber nachdenken muß: 250 oder 300 Euro. Wenn jemandem eine Arbeit gefällt, dann nimmt er sie mit. So testet man, ob es einen Markt gibt.

FRAGE: Wie geht es weiter?

ANTWORT: Hat ein Hochschulabsolvent alle 15 Arbeiten aus dem letzten Jahr verkauft, macht man die nächsten 15 etwas teurer. Wenn die Leute da auch mitgehen und 800 Euro zahlen, erreicht man eine Leiter, die nach fünf Jahren bei 3000 Euro ankommt. Das ist eine Spanne, in der sich viele Arbeiten von jungen Künstlern bewegen.

FRAGE: Und da ist dann meist Schluß?

ANTWORT: Es kommt darauf an, auf welchen Ausstellungen und Biennalen jemand zu sehen ist. Hat er einen Katalog gemacht? Haben sich Kunstvereine und Museen für ihn interessiert? Diese Details vermitteln eine gewisse Sicherheit. Aber endgültig rechtfertigt sich der Preis nur durch den Kauf. Wenn niemand das Geld in die Hand nimmt und ausgibt, helfen die vielen Ausstellungen wenig.

FRAGE: Was bekommt der Sammler für sein Geld geboten?

ANTWORT: Kunst hat nicht wirklich einen Wert, das ist ja nur eine Verabredung. Wer sein Geld für Kunst ausgibt, weiß, daß es verloren ist. Das Geld geht an den Künstler und den Galeristen. Das ist eine Einbahnstraße.

FRAGE: Kunst taugt nicht als Geldanlage?

ANTWORT: Aus meiner Sicht ist Investieren in Kunst vollkommener Unsinn. Der Sammler geht nicht wirklich davon aus, daß er eine Anlage besitzt, die er später mit Gewinn verkaufen kann. Wer das versucht, hätte bei uns in der Galerie auch gar keine Chance, ein Bild zu bekommen.

FRAGE: Warum nicht?

ANTWORT: Ich habe schon genügend damit zu tun, die Museen und privaten Sammler, die wirklich bekannt sind, immer mal wieder mit einem Bild zu versorgen. Da bleibt nichts mehr, um einen Fehler zu machen und einem Investor ein Bild zu verkaufen.

FRAGE: Dem bleibt nur die Auktion?

ANTWORT: Ja. Aber dann ist er mit seiner Investition schon an der Preisspitze angelangt. Mehr kann er nicht erreichen.

FRAGE: Wann ist der Hype der zeitgenössischen Kunst vorbei?

ANTWORT: Es ist kein Hype, da bläst niemand etwas auf. Die Künstler, die Sammler, die Biennalen, die Museen, die sind alle real. Es werden immer mehr. Kunst hat die Masse ergriffen. Es stört sich niemand daran, daß mit Literatur und Musik Milliarden umgesetzt werden. Warum soll keine Industrie für bildende Kunst entstehen?

FRAGE: Stößt der Markt gerade in eine neue Dimension vor?

ANTWORT: Vor zehn Jahren haben höchsten 15 Sammler den Kunstmarkt bestimmt - weltweit. Jetzt gibt es weltweit mindestens 3015 Sammler, die auf hohem Niveau arbeiten. Allein in Peking entstehen 24 neue Museen für aktuelle Kunst. Die brauchen alle Arbeiten. Das gab es früher nicht, deshalb hat die Kunst noch viele Chancen.

FRAGE: Wie lange währt die Hochphase der Gegenwartskunst also noch?

ANTWORT: Die dauert noch zehn Jahre. Dann kommt eine neue Periode.

FRAGE: Worauf setzen Sie?

ANTWORT: Ich bin gerade auf der Suche nach Skulpturen. Sie sind der logische Schritt aus der Malerei heraus - und eine Domäne der Frauen.

Das Gespräch führte Catherine Hoffmann. Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27.08.2006, Nr. 34 / Seite 33