Mitnahmeeffekt

07. Februar 2007

Sollen wir uns nun freuen oder nicht - über den Rummel der Rundgänge, der derzeit wieder an den Kunstakademien um die ganz junge Kunst veranstaltet wird? Gestern Düsseldorf, heute Leipzig und Mainz, morgen Frankfurt und Saarbrücken - der Rest im Sommer. Ein gesunder Wettbewerb unter dem Motto: Zeigt, was ihr könnt? Oder sind das alles nur Rumpelstilzeleien, Tänze ums wärmende Feuer der Aufmerksamkeit? Folgt die Leistungsschau der Jüngsten womöglich der immergleichen Melodie: Heute mal' ich, morgen zeig' ich, und übermorgen hole ich mir des Galeristen Gunst? Debütanten allerorten, Diplomausstellungen und Shows im Klassenverbund wie Sand am Meer. Damit all jenen, die darauf hoffen, schon bald zu den leuchtenden Sternen am Firmament der Kunst zu gehören, der Wind schon ins Gesicht bläst, wenn sie sich gerade einmal in einem halben Dutzend Arbeiten ausprobiert haben? Wie groß muss in den Kunstakademien der Zwang zur Selbstdarstellung und zur Selbstberuhigung sein, dass die Rundgänge, bei denen vorgeführt wird, was die Studierenden so alles draufhaben, angekündigt werden, als handelte es sich um ein Ereignis wie die documenta? Das geht so weit, dass die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig jetzt um Faxantwort bittet, ob man an der "Medienpreview zum Rundgang an der HGB" teilnimmt oder nicht. Schließlich hat man sich was Besonderes einfallen lassen. "500 mal 21 mal 15 - Leipziger Schule zum Mitnehmen" heißt die Marketing-Aktion, für die Lehrende und Studierende eigens Arbeiten im Format 21 mal 15 Zentimeter angefertigt haben, die anonym für dreißig Euro das Stück erworben und gleich mitgenommen werden können. Wer den Neo Rauch wohl bekommt? Wer in ein paar Jahren die Rendite einstreicht? Natürlich werden am Ende Namen genannt, und der Erlös kommt den Studierenden zugute. Natürlich sind Rundgänge wichtig. Aber so wichtig dann auch wieder nicht. Wichtig sind sie nicht, weil Sammler und Galeristen nach Schnäppchen und Frischlingen Ausschau halten, sondern weil Tante, Hausmeister, Mama und Papa bei solchen Gelegenheiten sehen und verstehen können, was Professoren und Studierende das Jahr über treiben und warum das nicht alles Quatsch ist. Sich angstfrei erproben zu können, scheitern lernen und trotzdem weitermachen, darauf kommt es an. Wenn der Galerist vor der Tür steht, ist Schluss mit Experimenten. Der Zwang, alles, was entsteht, sogleich auszustellen, scheint heutzutage übermächtig. Je mehr aber ausgestellt wird, desto weniger Freiräume bleiben. Dabei sind sie nötiger denn je. An aufgeblasenen Nichtigkeiten herrscht kein Mangel. Und mit einem Ausverkauf, bevor es überhaupt angefangen hat, ist keinem gedient, der voll Hoffnung und Erwartung die ersten Schritte wagt. Und so ist es eben, wie es ist: Wir freuen und wir ärgern uns. tw

Text: F.A.Z., 08.02.2007, Nr. 33 / Seite 31