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George und die bündische Jugend

Walter Z. Laqueur

Die deutsche Jugendbewegung

IV / Der Weiße Ritter - Bündische Jugend und Stefan George

In ihrer zweiten, bündischen Phase wurde die Jugendbewegung sehr viel anspruchsvoller. Allein der Name ließ auf einen neuen Zug schließen. Während vor dem ersten Weltkrieg das Wandern im Mittelpunkt der Arbeit gestanden hatte, war es in der neuen Ära nur eine von vielen Aktivitäten, und nicht unbedingt die wichtigste. Der Wandervogel hatte der Gesellschaft kritisch gegenübergestanden, war aber nie auf den Gedanken verfallen, er sei berufen, die Welt zu verändern. Genau das aber wollten die Bünde tun; es war der romantische Versuch, es mit den Realitäten aufzunehmen. Im Wandervogel war die Gruppe ein verhältnismäßig lockerer Zusammenschluss gewesen; das Schwergewicht hatte auf dem einzelnen und seiner persönlichen Entwicklung gelegen; man hatte sich keine besonderen Gedanken um die Zukunft der Mitglieder gemacht, von denen erwartet wurde, dass sie nach und nach der Jugendbewegung entwachsen würden. Man hatte einer Gruppe angehört, weil es einem dort gefiel, es war wenig Überlegung und keinerlei Zweckdenken dabei im Spiele. In dem von Voelkel und seinen Freunden geschaffenen Bund galt jedoch die Gemeinschaft mehr als der einzelne. Es herrschte strengere Disziplin, und man sah im Bund eine allumfassende Verpflichtung, die den Einzelnen für den Rest seines Lebens total beanspruchte (1). Man gehörte einer Gruppe an, um einem Ziel zu dienen, und hinter allen Aktivitäten dieser Gruppe standen magische Formeln oder versteckte Andeutungen, die auf das eigentliche Ziel hinwiesen. In den Wandervogel konnten die Mädchen nach anfänglichen Kämpfen aufgenommen werden, und wenn auch alle prominenten Wandervögel männlichen Geschlechts waren, kann man sich doch den Wandervogel unmöglich als eine ausschließlich männliche Bewegung vorstellen. Demgegenüber kannte der Bund keine gemischten Gruppen, er war der Männerbund par excellence. Viele Bünde verfügten unlogischerweise über gesonderte Mädchengruppen, doch das waren bloße Anhängsel, die in der Bewegung keine Rolle spielten. Allzuviel war von Gefecht, Kampf und Schlacht die Rede, und nur schwer konnte man sich einen weiblichen Ritter vorstellen. Ganz allgemein hatte die lyrische Romantik des Wandervogels etwas Härterem Platz gemacht -- einer Romantik, auf die der erste Weltkrieg entscheidend eingewirkt hatte. Freiheit und Zwanglosigkeit waren der Pflicht und dem Dienst in freiwilliger Unterwerfung unter ein größeres Ganzes gewichen. Während der fahrende Scholar, ein Anarchist, wenn nicht Demokrat, Leitbild der


  1. Dazu gehörte auch nach ihrem Satzungsentwurf die Pflicht, vor der Eheschließung die Einwilligung der Führung einzuholen. Die Satzung blieb ein totes Stück Papier.

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Wandervögel war, zeigten sich die aristokratischen Tendenzen der Bünde nicht nur in der Leitvorstellung vom Ritter, der sich bewusst andere Verhaltensregeln setzt als die Masse, sondern auch in der strengen Hierarchie innerhalb des Bundes (1).

Der Bund entstand aus gemeinschaftlichen Erlebnissen und Gefühlen heraus; seine Ideen, bedeutend oder nicht, kamen erst später. Was war nun der Bund, und wie entstand er?

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Viele Jahre lang fesselte der Bund als soziales Phänomen Historiker und Soziologen (2), doch der stärkste Impuls ging, was die Jugendbewegung betraf, zweifellos von Stefan George und seinem Kreis aus. Sie hatten den Bund als geistiges Konzept bereits entwickelt, noch ehe der ''Stern des Bundes 1914 erschien. Die George-Gruppe war ein Bund -- ein geschlossener Kreis, der vorgab, einen Sinn an sich zu haben, der die Außenwelt nicht zur Kenntnis nahm und die gemeine und wilde Masse mit ihren banalen Ideen von Gleichheit und Fortschritt verachtete. Es ist gesagt worden, dass die gesamte junge Generation in Deutschland entscheidend von George geformt worden sei, ob die jungen Menschen seinen Namen je gehört, ob sie je eine Zeile von ihm gelesen hatten oder nicht (3). Sicherlich trifft es zu, dass George beträchtlichen Einfluss ausübte, aber er wirkte wohl mehr in die Breite als in die Tiefe.

Man imitierte seinen Stil, und bestimmte Zitate waren immer wieder zu hören - Phrasen über den, der je die Flamme umschritt und der der Flamme Trabant bleibe, über den neuen Adel, über den Führer, der seine Gefolgschaft durch Sturm und grausige Signale ins neue Reich leitet und so fort. Georges Reich war indes nicht von dieser Welt: Sein Bund war eine kleine Gruppe von Freunden, dem Kult bestimmter Riten und ästhetischer Formen geweiht. Was die Jugendbewegung anzog, war das aristokratische Element in all seinem Idealismus und seine Verachtung für trockenen Rationalismus. Doch diese intellektuellen Strömungen waren bereits allgemein Mode geworden:


  1. Diese Bemerkungen beziehen sich hauptsächlich auf die ersten Vorboten des Bundes, die Neupfadfinder. Es gab eine Vielfalt der Formen und Inhalte in der gesamten Jugendbewegung, und in den letzten zwanziger Jahren herrschte allgemein eine realistischere Haltung vor, aber es gab kaum eine Gruppe, die nicht bis zu einem gewissen Grade von der frühen bündischen Ideologie beeinflusst worden wäre.
  2. Vgl. Hermann Schmalenbach, Die soziologische Kategorie des Bundes, in Die Dioskuren, I (München, 1922). Helmut Kittel bezieht sich auf die (unveröffentlichte) Untersuchung von Prof Eduard Hahn, die, wie er nachweist, die Haltung der Neupfadfinder entscheidend beeinflusst hat. (Das junge Deutschland, 12, 1929, S. 509).
  3. Hans Naumann, Die deutsche Dichtung der Gegenwart (Stuttgart, 1933); S. 398.

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George mag mitgeholfen haben, sie zu popularisieren, ausgelöst hat er sie aber gewiss nicht. Aus seinem Werk bezog der Bund bestimmte Symbole, doch nichts lag George ferner als die Absicht, eine Massengefolgschaft zu gewinnen oder zu führen. Einige seiner Schüler betrachteten ihren Meister als den ungekrönten König Deutschlands und glaubten, er verfüge über magische Kräfte; für sie gab es ein böses Erwachen, als ihre Wahnwelt an den finsteren Realitäten der dreißiger Jahre zerschellte.

Zwischen Georges Begriff des Bundes und dem der Jugendbewegung, wie Martin Voelkel ihn formulierte, bestanden zahllose Unterschiede. Nach Voelkel war der Bund seit undenklichen Zeiten in die deutsche Seele gegraben vielleicht hätte es etwas mit dem nordischen Himmel oder dem grauen, winterlichen Zwielicht zu tun. Deshalb sei die Jugendbewegung nur bei germanischen Völkern nordischen Blutes zu finden; wo deutsches Blut rauscht, da ist der Helden Heimat (1) . Stefan George aber, Sohn des katholischen Rheinlands, war frei von nordisch-germanischer Mystik und wusste mit grauen Winterhimmeln nicht das geringste anzufangen: Hellas und Rom waren seine großen Vorbilder (2). Die Aristokratie in Georges Dichtung war keine Aristokratie der Rasse, und das war einer der Gründe, warum George von einigen radikaleren Ideologen des Dritten Reiches als antivölkisches Element betrachtet wurde (3). Das Misstrauen, das man ihm in diesen Kreisen entgegenbrachte, war vielleicht nicht gänzlich fehl am Platze; als Claus Graf Schenk von Stauffenberg nach dem Attentatsversuch auf Hitler im Jahre 1944 verhaftet wurde, fand man bei ihm einen Ring, der die Inschrift ''Finis initium trug (4).

George starb 1933, ein Jahr, bevor die Bünde aufgelöst wurden. Vierzehn Jahre später trafen sich einige ehemalige Mitglieder der Jugendbewegung im Kloster Altenberg wieder, um die Lehren der Vergangenheit zu diskutieren. Einer sagte, die esoterischen Geheimnisse hätten dämonische Macht erlangt, weil sie der Masse ausgeliefert worden und in die Hände von Demagogen gefallen seien (5). Das war wahrhaftig eine sehr unbefriedigende Erklärung dessen, was wirklich geschehen war.


  1. Hie Ritter und Reich, passim.
  2. In späteren Jahren gab es einen kleinen Bund, die Südlegion, die Georges Südorientierung übernahm. Siehe Kurt Lahn, ''Von der geistigen Heimat deutscher Jugend (Plauen, 1933).
  3. Max Nitzsche, ''Bund und Staat (Würzburg, 1942), ein detaillierter Angrif auf den George-Kreis und die bündische Ideologie der Jugendbewegung.
  4. Der Titel eines berühmten George-Gedichts. Claus Stauffenberg und sein Bruder gehörten eine Zeitlang zur Peripherie des George-Kreises.
  5. Freideutscher Rundbrief, I, 1947, S. 9.

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